Die Veränderung manifestiert sich in einer vierstelligen Ziffer hinter der Windschutzscheibe eines koreanischen Kleinwagens: 5900 Euro ist auf dem Schild zu lesen. Und außerdem: Baujahr 2013, Tachostand: 118.971 Kilometer. Im Ernst? Der Händler nickt. „Das ist der Preis“, sagt er in einem Ton, der die Hoffnung auf erfolgreiches Feilschen erfrieren lässt. Dann gibt er sogar zu, dass er für diesen Preis vor einem Jahr keinen Käufer für das Auto gefunden hätte. Aber jetzt seien andere Zeiten, sagt er und ist sich sicher: „Der ist bald weg.“
Tatsächlich hat sich der Automarkt in den vergangenen Monaten radikal verändert. Machte zunächst nur der Chipmangel der Autobranche zu schaffen, brachten bald gestörte Lieferketten das Just-in-Time-Modell ins Wanken. Nun lässt der Ukraine-Krieg den Herstellern die Kabelbäume und den Speditionen die Fahrer ausgehen. In der Folge haben etliche Autohersteller die Produktion gedrosselt. Es gibt weniger Neuwagen, die Wartezeiten werden immer länger. Etliche Firmen haben sogar Bestellstopps für verschiedene Modelle verhängt.
Neuwagenmarkt im März um 20 Prozent eingebrochen
Als vor wenigen Tagen das Kraftfahrt-Bundesamt die neuesten amtlichen Zulassungszahlen für fabrikneue Autos bekannt gab, waren die Auswirkungen auf den Neuwagenmarkt klar ablesbar. Im März, eigentlich einer der absatzstärksten Monate eines jeden Jahres, ging die Zahl der Pkw-Neuzulassungen in Deutschland gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat um mehr als 20 Prozent auf 241.330 Neuwagen zurück.
Anders in Berlin: Hier wurden im März sogar noch etwas mehr Neuwagen zugelassen als vor einem Jahr. Offenbar war die Produktionslücke im März in Berlin noch nicht angekommen. Zugleich geht man in der Branche davon aus, dass hierhinter dem Zuwachs vor allem Bestellungen von Firmen und Flottenbetreibern stecken. „Kein Ahnung, was da los ist. Für Privatkunden gibt es jedenfalls kaum Autos“, sagt Anselm Lotz, Co-Chef der Kfz-Innung Berlin.
Wer ein neues Auto kaufen will, muss sich auf eine lange Wartezeit einstellen. Der Chefverkäufer eines Berliner VW-Händlers erzählt, dass er gerade ein Auto an einen Kunden übergeben hat, der den Wagen 2020 bestellt hatte. Wer heute einen Golf bestellt, bekomme ihn mit einer große Portion Glück noch in diesem Jahr, sagt er. Wahrscheinlicher sei ein Liefertermin im Frühjahr 2023. Selbst auf einen Polo müsse man zwölf Monate warten. Doppelt so lange wie vor einem Jahr.
Auf dem Automarkt löst dies eine Kettenreaktion aus. Wer keinen Neuwagen bekommt, fährt gezwungenermaßen sein altes Autos weiter. Also verkauft er es auch nicht. Damit werden Autos auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt rar. Da zugleich aber eine Nachfrage nach Fahrzeugen vorhanden ist, steigen dort die Preise.
Im Europarc Dreilinden bei Kleinmachnow am südwestlichen Stadtrand weiß man über den hiesigen Gebrauchtwagenmarkt so viel wie wohl nirgendwo sonst. Dort hat das Unternehmen Mobile.de seinen Sitz. Es ist eigenen Angaben zufolge Deutschlands größte Online-Gebrauchtwagen-Börse. Rund 1,5 Millionen Fahrzeuge sind dort inseriert. Wie sich der Berliner Gebrauchtwagenmarkt entwickelt hat, wurde anhand der Daten für die Berliner Zeitung analysiert, die zugleich die Knappheit an Neuwagen belegen. „In Berlin hat sich das Angebot in den vergangenen zwölf Monaten um rund 27 Prozent verringert“, sagt Nils Möller von Mobile.de. Während den Daten zufolge im März 2021 noch 46.800 Gebrauchtwagen in Berlin angeboten wurden, waren es ein Jahr später nur noch 34.000 Fahrzeuge. Parallel stiegen mit dem knappen Angebot die Preise von durchschnittlich 21.650 auf 25.536 Euro. Ein Plus von 17,9 Prozent binnen eines Jahres.
„Wer sein Auto verkauft, verlangt 20 Prozent mehr“
Was das bedeutet, erlebt Alexander Heidborn täglich. Er ist Chef eines großen Gebrauchtwagen-Centers an der B1 in Biesdorf. Die Filiale gehört zur Autoland-Kette, die sich als „Deutschlands größter Autodiscounter“ versteht. Für ihn wurde vor allem der Ankauf gebrauchter Fahrzeuge teurer. Waren bislang die Preiseempfehlungen der Marktbeobachter DAT oder Schwacke feste Größen, seien sie heute nur die Basis. „Wer sein Auto verkauft, verlangt 20 Prozent mehr“, sagt Heidborn.
Zudem fehlten ihm Fahrzeuge mit Tageszulassung. Die machten bislang bis zu drei Viertel des Bestands aus. Doch heute seien sie kaum noch zu bekommen, weil diese von den Vertragshändlern selbst verkauft werden. Insgesamt hat Heidborn heute etwa 40 Prozent weniger Fahrzeuge im Angebot. Zugleich stieg aber der Aufwand, da mehr Gebrauchtwagen und weniger Tageszulassungen angeboten werden. Heidborn: „Wir haben gerade erst vier Leute in der Werkstatt und in der Fahrzeugaufbereitung eingestellt.“

