Gerichtsprozess

Frau in Berlin 500 Meter weit zu Tode geschleift: Autofahrer bekommt Geldstrafe

Ein Familienvater bemerkte in seinem SUV den Unfall mit einer Fußgängerin nicht und fuhr erst mal weiter. Nun wurde er wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Der Unfallort: Polizisten sichern nach dem tödlichen Unfall Spuren auf der Marienfelder Chaussee in Buckow.
Der Unfallort: Polizisten sichern nach dem tödlichen Unfall Spuren auf der Marienfelder Chaussee in Buckow.M. Pudwell

Für Robert N. war der 17. November vergangenen Jahres ein ganz normaler Tag – eigentlich ein Tag der Freude. Zunächst. Die Familie hatte endlich die ärztliche Überweisung für die ältere Tochter an die Charité erhalten. Sie war an Long Covid erkrankt. Am Abend dann fuhr Robert N. mit seinem Renault Kadjar zur Apotheke in der Marienfelder Chaussee in Neukölln, um noch Medikamente für seine erkältete jüngere Tochter zu holen. So erzählt er es jedenfalls.

Seine beiden Kinder saßen auf dem Rücksitz und seine Frau auf dem Beifahrersitz, die mit ihrer Mutter telefonierte. Als er mit dem SUV gegen 19.15 Uhr den Parkplatz der Apotheke verließ, um nach rechts auf die Marienfelder Chaussee einzubiegen, piepten die Sensoren im Auto. Robert N. hielt an, fuhr mit dem Wagen etwas zurück. „Da war nichts, keine Menschenseele“, erinnert sich N. an diesem Dienstag im Amtsgericht Tiergarten. Auch seine Ehefrau beteuert: „Da war kein Schrei, kein Knall, nichts, gar nichts.“

Robert N. fuhr weiter, wendete an der Kreuzung zum Lichtenrader Damm, um nach Hause zu fahren. Dann habe der Motor eigentümliche Geräusche gemacht, Robert N. bemerkte einen Widerstand unter dem Wagen. Ein paar Meter weiter fuhr er dann rechts ran und schaute nach. Dann rief er zu seiner Frau: „Ruf die Feuerwehr und die Polizei. Da liegt eine Frau unter dem Auto.“

Robert N. hatte mit seinem Fahrzeug, ohne es zu merken, eine Fußgängerin erfasst, sie etwa 500 Meter weit mitgeschleift. Die 56-Jährige war tot.

Zehn Monate später sitzt Robert N. wegen fahrlässiger Tötung auf der Anklagebank des Amtsgerichts Tiergarten. Die Erschütterung über den Tod der Frau ist dem 36-Jährigen anzumerken. Und auch seine Frau bricht bei ihrer Aussage in Tränen aus. Nebenkläger gibt es keine in dem Verfahren, offenbar hatte die getötete Frau keine Verwandten mehr.

Der Staatsanwalt wirft dem Bauleiter vor, die Fußgängerin mit dem Auto bereits beim Verlassen des Apothekenparkplatzes erfasst und mitgeschleift zu haben. Die 56-Jährige erstickte durch die „Krafteinwirkung durch das Fahrzeug auf ihren Körper“, so die Anklage.

Der Staatsanwalt ist überzeugt, dass der Unfall vermeidbar gewesen wäre, wenn Robert N. sich beim Verlassen des Parkplatzes ausreichend vergewissert hätte, dass sich kein Fußgänger vor seinem Auto befindet.

Robert N. sagt vor Gericht, dass er damals langsam gefahren sei. Er sei entspannt gewesen, weil es ja gute Nachrichten gegeben habe. Ohne Stress habe er sich auf den Heimweg gemacht. Es war bereits dunkel, die Straßen waren nass, geregnet hatte es nicht mehr, als er den Parkplatz verließ. Die wenigen Autos, auf die er achten musste, kamen von links. „Es ist ein ganz, ganz schreckliches Gefühl zu wissen, was passiert ist“, sagt er.

Auch die Ehefrau ist noch immer bestürzt über das Geschehene. „Als Beifahrer hätte ich doch etwas mitbekommen müssen. Ich hätte es doch sehen müssen“, sagt sie. Doch da sei absolut nichts gewesen. „Und trotzdem lag jemand, der tot ist, unter dem Auto.“ Es sei schlimm, dass ein Mensch nicht mehr lebt. Und was passiert ist, sei auch für ihre Familie furchtbar.

Polizei entdeckte keine Aufprallspuren am Auto

Die Polizeibeamtin Bianca H. kann sich ebenfalls nicht erklären, wie die Frau unter das Auto gekommen ist. „Und dabei mach ich das schon ein paar Jahre“, sagt sie als Zeugin vor Gericht. In Höhe der Apotheke habe man eine Tasche gefunden, die wohl der Toten gehört habe. Ebenso einen Krückstock. Der Angeklagte habe damals einen sehr schockierten Eindruck gemacht, sagt die Beamtin. Am Auto von Robert N. wurden nach ihren Worten keine Aufprallspuren entdeckt.

Und auch an der Toten wurden keine Spuren eines Anpralls gefunden, fügt der Rechtsmediziner kurz darauf hinzu. Einen Kontakt mit einem der Räder des SUV könne er auch ausschließen. Er habe an der Toten auch keine größeren Gewebszerstörungen feststellen können. Offenbar, weil die Frau eine dicke Daunenjacke trug.

Licht ins Dunkel soll der Unfallgutachter bringen. Er hat Spuren am Auto gefunden und kommt letztlich zu dem Schluss, dass es an der Ausfahrt von der Apotheke auf der Beifahrerseite einen ersten Kontakt mit der Fußgängerin gegeben haben muss. Dabei sei die Frau nicht überrollt, sondern unter das Auto gezogen worden.

Dass sie schon auf der Straße lag, schließt der Sachverständige aus. „Wenn sie auf der Fahrbahn gelegen hätte, hätte man es wegen des Widerstands gemerkt“, sagt er. Der Sachverständige erklärt auf Nachfrage des Richters, dass der Unfall bei voller Aufmerksamkeit – also wenn der Fahrer vor dem Einbiegen auf die Marienfelder Chaussee nach rechts geschaut hätte – vermeidbar gewesen wäre.

Für Richter Karsten Parpart ist die Schuld des Angeklagten bewiesen. Er verurteilt Robert N. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 Euro. Zeugen für das Geschehen gebe es nicht, sagt Parpart. Aber durch den Sachverständigen sei der Vorfall relativ gut aufgeklärt worden. „Sie hätten die Fußgängerin sehen können und müssen“, erklärt der Richter. Eine Fußgängerin falle schließlich nicht vom Himmel, sie sei sichtbar gewesen.

Parpart sagt, dass der Angeklagte nur für einen Moment unachtsam gewesen sei. Mit schrecklichen Folgen. Das habe einen Menschen das Leben gekostet. „Wenn Sie über einen Fußweg fahren, müssen Sie nach rechts und links schauen“, sagt Parpart.

Richter hält 90 Tagessätze für angemessen

90 Tagessätze hält der Richter für angemessen, weil der Angeklagte vorbelastet sei. Im Juli 2018 war Robert N. wegen Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Euro und einem fünfmonatigen Fahrverbot verurteilt worden.

Der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 60 Euro gefordert. „Ein Mensch ist gestorben, Sie wollten das nicht“, hatte der Anklagevertreter gesagt. Er gehe davon aus, dass der Angeklagte selbst noch lange an dem Geschehenen „zu knabbern“ haben werde.

Der Verteidiger von Robert N. erwägt indes, gegen das Strafmaß in Berufung zu gehen. Er hatte auf Freispruch plädiert, weil aus seiner Sicht nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich die Fußgängerin zum Zeitpunkt, als sie erfasst wurde, nach ihrer Tasche gebückt habe. Außerdem müsse sein Mandant als unbestraft gelten, denn die 2018 gegen Robert N. verhängte Strafe hätte nach fünf Jahren gelöscht werden müssen.