Feuerwehr

Rettungsdienst in Berlin: Warum Sie im April keinen Herzinfarkt haben sollten

Bei der Berliner Feuerwehr geht es wieder los: Ausnahmezustand in der Notfallrettung – dreimal am Tag.

Mitarbeiter des Rettungsdienstes der Berliner Feuerwehr  transportieren einen Patienten ab.
Mitarbeiter des Rettungsdienstes der Berliner Feuerwehr transportieren einen Patienten ab.imago stock&people

In diesem Monat sollte man in Berlin besser keinen Herzinfarkt bekommen. Oder einen Schlaganfall. Denn es geht wieder los: Bei der Berliner Feuerwehr häufen sich die Krisen im Rettungsdienst. Noch im Januar hatten viele den Eindruck, dass sich die Lage beruhigt habe. Doch im März wurde 13-mal der „AZ Rettungsdienst“, der Ausnahmezustand ausgerufen.

Die Situation erinnert an das chaotische vergangene Jahr, als in Berlin zeitweise nicht ein Rettungswagen (RTW) frei war und sogar Drehleitern zur Ersthilfe losgeschickt wurden.

Dabei war es nach Silvester zunächst ruhig. Denn Urlaube und freie Tage waren genommen, der Krankenstand niedrig. Und im Januar und Februar gibt es – keiner weiß warum – generell weniger Notrufe. Luxuriös viele Rettungswagen standen bereit. Doch am 13. März ging es nach Informationen der Berliner Zeitung wieder los, als es hieß: „Ausnahmezustand Rettungsdienst“. So ging es in den folgenden Tagen weiter. Am 20. März gab es zweimal Ausnahmezustand und am 30. März gleich dreimal – von 10.07 Uhr bis 14.29 Uhr, von 17.38 Uhr bis 19.24 Uhr und spätabends von 21.34 Uhr bis 23.13 Uhr. Am Freitagabend klang der März mit einem weiteren Ausnahmezustand aus.

Ausnahmezustand wird ausgerufen, wenn die RTW zu mindestens 80 Prozent ausgelastet sind und die vorgegebenen zehn Minuten zwischen Notruf und Eintreffen nicht eingehalten werden können. Dann müssen die Wagen mit Mitarbeitern besetzt werden, die eigentlich auf Löschfahrzeugen eingeteilt sind, was zulasten der Brandbekämpfung geht.

Rettungswagen können jetzt anders besetzt werden

Wegen dieser Missstände änderte das Abgeordnetenhaus im Januar das Rettungsdienstgesetz – was bei Politikern und auch bei den einen oder anderen Feuerwehrleuten für Freude sorgte. Denn die Gesetzänderung machte eine Verordnung möglich, nach der die Funktionen des Rettungsdienstes nun „in besonderen Lagen“ verändert besetzt werden können, um die Zahl der RTW zu erhöhen.

An diesem Dienstag verschickte Feuerwehrchef Karsten Homrighausen innerhalb seiner Behörde eine interne Mitteilung mit Erläuterungen. Demnach tritt die 1. Stufe der Verordnung in Kraft, wenn die Prognosen ergeben, dass mindestens zehn Prozent des Personals fehlen. Dann könne „eingesetzt werden, wer eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin oder zum Rettungssanitäter abgeschlossen hat und wer in den letzten zwei Jahren regelmäßig im Rettungsdienst eingesetzt wurde“. Im Klartext heißt das: Bei hoher Auslastung des Rettungsdienstes muss ein Rettungswagen dann nicht mehr mit einem Notfallsanitäter besetzt sein. Notfallsanitäter haben eine höhere Qualifikation als Rettungssanitäter.

Der Info ist außerdem zu entnehmen, dass wenn mehr als 20 Prozent des Personals fehlen, die 2. Stufe der Verordnung ausgerufen werden kann. Auf Notarzteinsatzfahrzeugen und Intensivtransportwagen können dann auch Rettungssanitäter eingesetzt werden. Bislang steht einem Notarzt ein höher qualifizierter Notfallsanitäter zur Seite.

Feuerwehrleute fordern Ende der standardisierten Notabfragen bei der 112

Mit der Regelung soll Personal frei werden, um mehr RTW zu besetzen. Doch nicht bei allen kommt das gut an. „Anstatt die Einsatzzahlen zu drücken, wird das vorhandene Personal zusammengefasst und in die Rettungsdienstschlacht geworfen. Formell geringer Qualifizierte sind dann plötzlich wieder gut genug, die Lücken zu stopfen“, sagt ein Mitglied des Vereins Berlin brennt, in dem sich Feuerwehrleute organisiert haben. Die jüngsten neuerlichen Maßnahmen seien nicht geeignet, die grundsätzlichen Probleme zu lösen. Zu wenig Personal werde durch Hin- und Herschieben nicht mehr.

Bei der Berliner Feuerwehr sind die Rettungstransportwagen in mehrere Klassen aufgeteilt – etwa den RTW C, der die dringenden Notfälle wie Brustschmerz oder Atemnot anfährt. Und es gibt den RTW B, der zum Beinbruch oder zur Schnittwunde fährt, manchmal mit und manchmal ohne Blaulicht. Das macht laut Manuel Barth von der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft rund ein Viertel der Einsätze aus. Für diesen „Basic Life Support“, wie es im Fachjargon heißt, reicht es laut Barth, lediglich Rettungssanitäter zu schicken. Bis jetzt sei das aber nur möglich, wenn die Verordnung gezogen werde. Ziel müsse es aber sein, dies dauerhaft im Rettungsdienst zu verankern. „Denn in den nächsten Jahren wird es weniger Notfallsanitäter geben, schon wegen der Altersabgänge“, sagt er. Deshalb brauche es anlassbezogene und nicht maximale Versorgung. „Dazu gehört es, regelmäßig Rettungssanitäter auf dem RTW B zu haben und dieses Basic-Life-Segment zu etablieren. Doch das lässt akut nur die Rechtsverordnung zu, also nur bei erklärter Personalunterdeckung“, so Barth.

Der Verein Berlin brennt fordert hingegen, die Zahl der unnötigen Einsätze zu senken. So solle das standardisierte Notabfrageprotokoll (Snap) bei der 112 abgeschafft werden, das einen festgelegten Fragenkatalog enthält. Die Deutsche Feuerwehrgewerkschaft hält davon nichts, sondern will lieber eine „richtige Anwendung“ von Snap.

Änderung des Rettungsdienstgesetzes 2016 sorgte für massiven Anstieg

Für die dauernden Engpässe im Rettungsdienst gibt es verschiedene Ursachen. Da wäre zum einen das Rettungsdienstgesetz, das auf Betreiben der Grünen 2016 geändert wurde. Damals wurde der Rettungsdienst nicht mehr nur bei unmittelbarer Lebensgefahr für zuständig erklärt, sondern auch für Gefahren, die für die Gesundheit drohen können. Das sorgte für eine massive Zunahme der Einsätze. Landesbranddirektor Karsten Homrighausen sagte deshalb im Januar der Berliner Zeitung: „Wir sollten uns beschränken auf die lebensbedrohlichen Lagen.“

Zum anderen fehlt bei der Feuerwehr dauerhaft Personal. Es mangelt vor allem an Notfallsanitätern. Dem soll mit Einstellungen und Ausbildungsoffensiven begegnet werden. Allerdings dauert die Ausbildung Jahre. Zudem ist die Konkurrenz innerhalb der Bundesländer groß, weil auch andernorts Notfallsanitäter fehlen. Und so bildet Berlin seit Jahren auch für andere Bundesländer aus. Neue Notfallsanitäter wandern ab, weil andernorts Bezahlung und Perspektiven besser und die Wohnungen billiger sind.

Für die Engpässe bei der Notfallrettung gibt es auch hausgemachte Gründe. So müssen die Mitarbeiter innerhalb eines Tertials – derzeit bis Ende April – ihren Resturlaub genommen und die Überstunden, die sie zum Beispiel in der Silvesternacht angesammelt haben – abgebummelt haben. Das führt erfahrungsgemäß zu Personalnot, so wie aktuell wieder. Und sie dürfte sich in diesem Monat noch weiter verschlimmern. Auch in diesem Monat, im April, gab es bereits einen „Ausnahmezustand Rettungsdienst“: Am Sonnabend begann er um 20.55 Uhr und endete um 23.30 Uhr.