Wer im Zoo Berlin (Charlottenburg) die zwei Zweifinger-Faultiere Fidelma (13) und Charlie (8) sehen will, muss den Hals mächtig recken und sie in den Kronen der Ficusbäume suchen. Die Herrschaften hängen weit oben ab und machen ihrem Namen alle Ehre. Sie halten zwölf bis 20 Stunden am Tag Nickerchen; natürlich auch, als ich sie jetzt zusammen mit dem Zoo-Tierarzt André Schüle in ihrem Gehege zwischen Menschenaffen- und Tropenhaus besuchte.
Durch unsere halblaute Unterhaltung erwachte das Weibchen; Fidelma öffnete die kugeligen dunklen Augen und schaute träge auf uns runter. Ein Salatblatt, das ihr der Tierarzt entgegenhielt, interessierte sie null. Gleich wurde weitergeschlafen. Dabei lehnt der Rücken an einem Ast, und der Baumstamm wird fest umklammert, die Krallen helfen. Bloß nicht runterplumpsen! Da wartet der Tod, erklärt der Tierarzt die Haltung. Im heimatlichen südamerikanischen Dschungel könnte unten am Erdboden der stets hungrige Leopard lauern.
Vorsicht und Gelassenheit bestimmen das Lebensgefühl der Faultiere. Nur im Zeitlupentempo können sie sich vorwärtsbewegen; sie haben nur wenige Muskeln. „Sie haben keine Power“, sagt André Schüle. Man ist, was man isst, das gilt auch für die Tiere. Faultiere nehmen täglich geschätzt nur rund 130 Gramm Salat und Blätter zu sich. Und sie trinken kaum.
Mit der ausgesprochen nährstoff- und energiearmen Kost hat man keine Kraft zum Rumhampeln. Der Tierarzt weiß: „Durch die intensive Verdauung der pflanzlichen Kost besteht ein Drittel des Tieres aus Gas.“
Bei den nur drei bis vier Kilo schweren Faultieren, die bis zu 90 Zentimeter lang sind, ist das ganz schön viel. Trotz Blähbauch: Sie pupsen nicht. Sie atmen die Gase einfach aus, nachdem sie über den Blutkreislauf in die Lunge gelangt sind.
Wer wenig isst, muss selten auf die Toilette. Einmal wöchentlich reicht, hat André Schüle beobachtet. Sparsam sind Faultiere auch beim Sex. „Sie sind Einzelgänger; aber manche leben auch wie unsere friedlich auf kleinem Raum zusammen.“ Dass Fidelma und Charlie mindestens einmal näher zusammenrückten, beweist ein trauriger Fund.
Ein totes Faultierbaby lag vor einigen Jahren eines Morgens im Gehege. Anscheinend war es für die Weiterentwicklung im Mutterleib nicht kräftig genug gewesen und vorzeitig geboren worden. Seitdem hofft man im Zoo auf ein zweite erfolgreiche Paarung. Zeit ist noch, Faultiere werden etwa dreißig Jahre alt. Depressionen sind etwas für Menschen, Faultiere sind emotional durchgängig stabil: Bei Filomena hinterließ die Fehlgeburt keinen sichtbaren seelischen Schmerz.



