Man sieht sie immer öfter in Berlin: Airbags für Radfahrer. Sie werden wie ein Kragen um den Hals getragen und ersetzen den Helm auf dem Kopf. Auch andere Sicherheits-Gadgets nehmen zu: blinkende Lichter, Leuchten am Körper, Spiegel in Brillen, Spiegel am Rad – es gibt eigentlich nichts, was es nicht gibt. Wir haben den Technikexperten René Filippek vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) gefragt: Was brauche ich wirklich als Radfahrer in Berlin – und was nicht?
Herr Filippek, angesichts neuer Airbag-Konstruktionen für Radfahrer fragen sich viele: Hat der klassische Fahrradhelm ausgedient?
Zunächst mal ist es absolut sinnvoll, einen Helm zu tragen, und wir raten beim ADFC auf jeden Fall dazu. Es gibt zwar kontroverse Meinungen, was zum Beispiel eine Helmpflicht angeht, und darüber kann man sicher trefflich streiten. Aber im Sinne der eigenen Sicherheit ergibt das Tragen eines Fahrradhelms auf jeden Fall Sinn. Weil er Kopfverletzungen verhindern und bei Unfällen den Unterschied ausmachen kann zwischen Leben und Tod.
Andererseits kann er auch nicht alle Verletzungen verhindern ...
Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass man trotz Helm nicht komplett geschützt ist. Nach wie vor muss man vorsichtig und defensiv fahren, gerade in einer Stadt wie Berlin, wo die Rad-Infrastruktur vielerorts nicht die beste und das Verhältnis zwischen Rad- und Autofahrern belastet ist. Autofahrer haben schnell das Gefühl, ihnen wird etwas weggenommen, wenn die Stadt etwas für Radfahrer tut. Da wird dann gern ausgeteilt und die Emotionen kochen hoch – man schaue sich nur nach Radunfällen die Kommentare in sozialen Medien an. Auf der anderen Seite gibt es Radfahrer, die fühlen sich mit Helm auf dem Kopf gut geschützt und fahren dann zu risikoreich. Nur: Wenn man unter einen rechts abbiegenden LKW gerät, kann ein Helm gar nichts ausrichten.
Wenn man aber zum Beispiel auf der nassen Straße wegrutscht und auf den Kopf fällt, dann kann der Helm Verletzungen verhindern oder zumindest abmildern. Oder bei den gefürchteten Dooring-Unfällen, wenn der Kopf auf die scharfe Türkante knallt, da ist ein Helm total sinnvoll. Wir empfehlen Helme auch für Kinder, die in Lastenrädern, Kindersitzen oder Fahrradanhängern sitzen. Es gibt extra abgeflachte Modelle, damit sich die Kleinen trotzdem noch anlehnen können.

Worauf muss ich beim Kauf eines Helmes achten?
Beim Helmkauf ist vor allem entscheidend, dass das Modell richtig passt – und nicht so sehr, wie viel es kostet. Es müssen ohnehin alle in Deutschland verkauften Produkte standardisierte Normen erfüllen, egal ob sie zehn Euro beim Discounter oder 100 Euro im Fachhandel kosten. Teurere Modelle sind in der Regel leichter und besser belüftet, was besonders im Sommer angenehm ist. Der Helm sollte nicht drücken und nicht zu locker sitzen. Viele Radfahrer tragen ihn auch falsch und schieben ihn zu weit in den Nacken. Dort kann er aber bei einem Aufprall zur Gefahr für die Wirbelsäule werden. Richtig sitzt der Helm, wenn er ein bis zwei Fingerbreit über den Augenbrauen sitzt. Und wenn er beim Kopfschütteln nicht wackelt oder verrutscht.
Viele Radfahrer greifen dennoch inzwischen lieber zum rund 300 Euro teuren Hövding – dem schon angesprochenen Fahrrad-Airbag. Was halten Sie davon?
Es ist ein interessantes Konzept, das es schon relativ lange gibt. Aber man sieht Airbags erst in letzter Zeit häufiger, seit der schwedische Hersteller mit dem Preis runtergegangen ist. Allerdings ist die Anschaffung immer noch recht kostspielig. Der Airbag ist in jedem Fall sicherer als ein Helm, weil er mehr Energie auffangen kann als der klassische Styroporschaum und weil er den Kopf viel weiter umschließt. Der Hövding wird um den Hals getragen und erkennt sensorgesteuert anhand von einprogrammierten Bewegungsmustern, wenn der Träger stürzt. Dann bläst sich der Airbag als eine Art luftgefüllter Helm um den Kopf herum auf und schützt ihn beim Aufprall.

Das klingt nach relativ komplexer Technik. Ist die Handhabung schwierig?
Man sollte zunächst einmal nicht vergessen, den Airbag auszuschalten, wenn man vom Rad steigt. Sonst kann es sein, dass die Sensoren auslösen, wenn man zum Beispiel beim Bäcker steht und nach unten in seine Tasche greift, um das Geld rauszuholen. Das hat es schon gegeben – sehr ärgerlich, weil man dann den Airbag für viel Geld einschicken oder neu kaufen muss. Darüber hinaus brauchen die Airbags eine gewisse Zeit, bis sie auslösen, während die Schutzwirkung des Helmes sofort da ist. So kann es zum Beispiel sein, dass beim Aufprall auf eine Autotür oder beim Zusammenstoß mit einem Auto der Airbag nicht rechtzeitig auslöst und er bei der Kollision noch nicht genug Druck in der Blase hat, um wirklich zu schützen. Wenn man hingegen mit dem Kopf auf den Boden stürzt, dann schützt der Airbag besser als ein Helm.
Wie halten Sie es persönlich – Helm oder Hövding?
Ich selbst nutze keinen Airbag, das ist aber mein persönliches Empfinden. Ich finde es unangenehm, so ein doch recht schweres Teil am Hals hängen zu haben, gerade wenn es warm ist. Ich verstehe aber auch, wenn Leute den Airbag angenehm finden, weil sie dann den Kopf frei haben. Mir persönlich ist ein Helm lieber.
Gerade in der dunklen Jahreszeit sieht man auf Berlins Straßen gern zwei Extreme: Schwarz gekleidete Gestalten auf unbeleuchteten Rädern oder Radfahrer, die besser ausgeleuchtet sind als eine Landebahn am BER. Wieviel Licht braucht ein Fahrrad?
Fürs Bauchgefühl ist es sicher gut, wenn ich beim Radfahren ordentlich beleuchtet bin – auch am Körper. Gerade wenn man wie ich eher dunkle Kleidung trägt. Ein Helm mit rotem Rücklicht schadet da sicher nicht. Ich würde aber von allem abraten, was blinkt. Das Blinken kann man als Autofahrer schlecht verorten, die Entfernung lässt sich schwer einschätzen. So lenkt es eher ab und kann die Unfallgefahr erhöhen. Überhaupt rate ich dazu, es beleuchtungstechnisch nicht zu übertreiben.
In der Straßenverkehrszulassungsordnung ist genau geregelt, welche Beleuchtung an Fahrrädern vorhanden sein muss. Also ein weißer Frontscheinwerfer und ein rotes Rücklicht, dazu einige Reflektoren. Wer sich an die Vorschriften hält, riskiert kein Bußgeld und wird im Dunkeln von anderen Verkehrsteilnehmern auch sofort als Radfahrer erkannt. Wenn ich hingegen wie der elektrische Reiter umherfahre, sorge ich womöglich für Ablenkung und damit für Unsicherheit. Was sinnvoll sein kann, gerade am Stadtrand oder auf unbeleuchteten Landstraßen, sind Warnwesten oder Jacken aus reflektierendem Material.

Und was ist mit Blinkern am Fahrrad, die wie beim Auto einen Richtungswechsel anzeigen?
Blinker sind am Fahrrad gar nicht zulässig, sie sind nur an mehrspurigen Cargobikes und an Lastenrädern mit Aufbauten erlaubt. Man darf nun mal nicht alles an sein Rad bauen, was leuchtet. Und man muss auch auf Lastenrädern mit Blinkern Handzeichen geben. Manchmal sieht man in Berlin auch Helme und Rucksäcke mit integrierten Blinkern. Das ist theoretisch sogar erlaubt, aber ich halte es nicht für sinnvoll. Bei komplexen Vorgängen wie dem Linksabbiegen, wenn man die Spur wechseln und auf den Gegenverkehr achten muss, da will ich doch nicht noch ans Blinken denken müssen. Ich wage auch zu bezweifeln, dass der Autofahrer hinter mir das Blinken als solches erkennen würde. Fazit: Wenn Radfahrer auf einen Richtungs- oder Spurwechsel hinweisen wollen, dann ist das Handzeichen Pflicht.
Neulich fuhr vor mir eine Frau auf dem Radweg, die hatte sich einen Rückspiegel an den Lenker montiert. Was halten Sie davon?
Das habe ich in Berlin auch schon öfter gesehen, besonders bei älteren Radfahrern. Zunächst erscheint das praktisch – man kann den rückwärtigen Verkehr im Auge behalten, etwa, wenn man links abbiegen will. Das Problem ist: Auf den Blick in den Spiegel kann man sich nicht verlassen. Nach wie vor besteht die doppelte Rückschaupflicht – erst rechtzeitig vor dem Einordnen und dann nochmal unmittelbar vor dem Abbiegen. Ein Schulterblick ist dabei unerlässlich, auch weil der Spiegel nur ein begrenztes Blickfeld bietet. Man kann damit nicht die gesamte Situation erfassen.




