Verkehrsunfälle

Todesfalle Autotür: Warum guckt ihr nicht in den Spiegel, verdammt!?

Täglich crasht ein Fahrrad in Berlin in eine Autotür. Unsere Autorin entkam nur knapp einem dieser Dooring-Unfälle. Dabei könnten sie einfach vermieden werden.

Eine Fahrradfahrerin fährt zwischen parkenden und fahrenden Autos hindurch (Archivfoto).
Eine Fahrradfahrerin fährt zwischen parkenden und fahrenden Autos hindurch (Archivfoto).Imago

Berlin-Zugegeben, im Straßenverkehr bin ich eine Fluch-Schleuder. Egal ob mit dem Rad, zu Fuß oder in den seltenen Fällen, in denen ich hinter dem Steuer eines Autos sitze: Ich finde, meistens sind die anderen Transportmittel (nicht unbedingt die Menschen) schuld, wenn der Verkehr ätzend ist.

Das ist natürlich eher eine ironische Haltung als mein voller Ernst. Die offene Straße in Berlin täglich zu meistern, erfordert Überlebensstrategien. Eine meiner Strategien ist es, ab und an etwas in mich hinein-, und manchmal etwas in Richtung der anderen Verkehrsteilnehmer hinüberzuschimpfen.

Ich bin da nicht die Einzige. Oft wirken Staus und Kreuzungen auf mich wie die perfekten Orte für Stressabbau der Stadtbevölkerung, wo viele einfach alles rauslassen. Der Ton ist mit Sicherheit nicht immer angemessen, aber es hört ja meistens niemand. Und oft passiert zum Glück auch nichts. Dass nicht selten doch etwas passiert, zeigen allerdings die über 7000 jährlichen Radfahrunfälle in Berlin. Und manchmal passiert eben nur beinahe etwas. Mindestens dann finde ich Fluchen wirklich angemessen.

Vergangene Woche hätte nur ein Haarbreit gefehlt und ich wäre in die Berliner Dooring-Statistik aufgenommen worden. Von der lese ich in dieser Woche beim rbb: Seit 2018 hat im Schnitt jeden Tag ein Fahrradfahrer, eine Fahrradfahrerin einen Unfall wegen einer plötzlich aufgerissenen Autotür.

6,5 Prozent der Fahrradunfälle durch Dooring von rechts

Laut rbb fallen 8,3 Prozent der Radunfälle in die Kategorie „Dooring“: 6,5 Prozent der Opfer werden von rechts, also von Fahrertüren, und 1,8 Prozent von Beifahrertüren getroffen. Was für eine Horrorvorstellung. Die Fahrradfahrerin wird gebremst, geblockt, zum Ausweichen gezwungen – oder kracht im schlimmsten Fall mit einer solchen Wucht gegen das aufschlagende Ding, dass sie Saltos auf die Fahrbahn macht.

Als wäre das nicht schlimm genug, ist bei dieser Sorte Unfall auch noch der Kopf den anderen Körperteilen voran, das macht Vorstellung und Realität des Doorings noch furchtbarer.

Ich fuhr also vergangenen Dienstag von Kreuzberg nach Neukölln. Diese Strecke fahre ich fast im Schlaf, sie war früher ein Teil meines Arbeitswegs. Sie führt durch die Zossener Straße, keine besonders breite, aber eine geschäftige Straße. Das Gewusel aus Lkw, Pkw, Fahrrädern, Fußgängerinnen, Kurieren und E-Rollern gleicht eher einem Rummelplatz als einem Abbild der Straßenverkehrsordnung. Es hupt, blinkt und blökt von allen Seiten.

Weniger als 80 Zentimeter Abstand? Mitschuld!

Fahrräder werden die Fahrbahn entlanggeleitet, da ist immerhin glatter Beton auf dem Boden und man muss nicht mit einem der wurzelbefallenen Gehwege kämpfen (anderes Thema). Die Radspur ist nicht auf der ganzen Straße markiert, den Abstand zu parkenden Autos zu halten, fällt mitunter schwer, zumal auf der linken Seite diverse andere Gefährte vorbeirauschen.

Trotzdem – ich habe ja, wie gesagt, ohnehin die Horrorvorstellung, gegen eine Tür zu knallen – fahre ich lieber etwas weiter auf der Fahrbahn als zu nah an den parkenden Autos. Lieber die fahrenden Autos nerven, als in eine Tür crashen.

Gut so, lese ich jetzt beim rbb: Hält die Radfahrerin weniger als 80 Zentimeter Abstand, hätte sie an einem Dooring-Unfall sogar Mitschuld.

Ganz vermeiden lässt sich ein Tür-Crash durch den Abstand aber nicht. Während ich mich also die Zossener entlangmanövriere, geht mit einem Ruck ein paar Meter vor mir – sind es zehn oder zwanzig?– die Tür eines weißen Transporters auf.

Ausweichen? Keine Chance. Vollbremsung also.

Mein Hinterrad hebt leicht ab – kein Witz – und ich komme mit nur einem Millimeter Abstand zwischen meinem Vorderreifen und dem grauen Innenfutter der Autotür zum Stehen.

Atmen. Ich hatte schon meine Backe über den Asphalt schrammen sehen.

Mein Blick wandert von einer dünn behaarten Hand, die auf dem Türgriff liegt, ein schmales Ärmchen hoch und landet auf dem Schnauzer eines jungen Typen. Für eine halbe Sekunde sind wir uns unangenehm nah.

Der rbb empfiehlt einen Trick für Autofahrer

Ich glotze dieses Gesicht entgeistert an. Schwitze, weil der Berliner Mai in dieser Woche tut, als sei es schon August. Vielleicht wegen des Adrenalins. Der Fahrer macht Anstalten, auszusteigen, wendet sich von mir ab und murmelt, ohne mich dabei anzuschauen: „Sorry.“ Während er sich an meinem Vorderrad vorbeischiebt, bleibe ich versteinert.

„Sorry reicht nicht“, platze ich ihm entgegen. Wahrscheinlich sage ich auch „Alter“, oder so. Ich bin sauer. Kommt dieser Schlaks jetzt mit einem achtlosen „Sorry“ davon?

Der Schlaks zuckt bloß mit den Schultern. Ist schon fast um sein Auto vorne herumgelaufen, muss wahrscheinlich irgendetwas ausliefern, ist allein, muss sich beeilen. Wie ist er an mir vorbeigekommen? Ich muss ein paar Schritte zurückgegangen sein, das Fahrrad mitgeschoben haben.

Er soll mich mindestens fragen, ob alles okay ist, rufe ich ihm zu. Ich komme mir streng vor, dabei will ich wirklich nichts auf der Welt weniger, als irgendeinen Schlaks zu maßregeln. Und er? Guckt mich an, guckt weg, guckt wieder, schiebt die Seitentür des Transporters auf, verschwindet darin. Ziemlich sicher: Er hat sich auch erschrocken.

Der rbb empfiehlt allen, die aus einem parkenden Auto aussteigen, einen wie mir scheint klugen Trick: Die Fahrertür auf der linken Seite mit der rechten Hand aufmachen. Mit dieser „untypischen Bewegung“ erzwinge man einen Schulterblick, sagt der rbb. Bei sich selbst. Werde ich dem nächsten Schlaks erklären.

Seine Überlebensstrategie ist wohl Ignoranz. Ich steige in die Pedale, fahre weiter, steige lieber wieder ab, schiebe ein Stück. Scheiß Hitze.

Anmerkung: In einer früheren Version des Textes war die Rede von der Mittenwalder Straße. Ein aufmerksamer Leser macht auf Facebook darauf aufmerksam, dass sie mit Kopfsteinpflaster ausgelegt ist. Das stimmt. Die Autorin meinte die parallele Zossener Straße.