Verlängerung der Autobahn

Experte: Warum die A100 niemals nach Lichtenberg verlängert wird

Der Bund gibt erste Daten für das Autobahnprojekt im Osten Berlins bekannt. Doch ein Forscher erwartet, dass es an einer entscheidenden Hürde scheitern wird.

Sechsspurig durch den Berliner Osten. Am 16. Abschnitt der Autobahn 100, der von Neukölln nach Treptow führt, wird seit 2013 gebaut. Jetzt will der Bund den 17. Bauabschnitt in Angriff nehmen.
Sechsspurig durch den Berliner Osten. Am 16. Abschnitt der Autobahn 100, der von Neukölln nach Treptow führt, wird seit 2013 gebaut. Jetzt will der Bund den 17. Bauabschnitt in Angriff nehmen.dpa/Carsten Koall

Der Bund hält daran fest: Die Autobahn 100 soll nach Friedrichshain und Lichtenberg verlängert werden. Vorgesehen ist, dass ein Tunnel die sechsspurige Schnellstraße durch die dicht bebauten Wohnviertel am Ostkreuz führt. Jetzt gab das Verkehrsministerium erste Jahreszahlen für die weiteren Etappen des Verkehrsprojekts bekannt. Danach wird die bundeseigene Autobahn GmbH im Spätsommer 2022 den Planungsauftrag vergeben, teilte der Parlamentarische Staatssekretär Oliver Luksic (FDP) mit. Den Beginn des Planfeststellungsverfahrens, das zur Genehmigung führen soll, stellt der Bund für 2027 in Aussicht. Doch der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin bezweifelt, dass das Projekt jemals realisiert wird. „Es wird exorbitant teuer“, sagte er der Berliner Zeitung. Das Vorhaben werde die Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht bestehen.

Die Berliner Stadtautobahn wächst – Stück für Stück. Am 16. Bauabschnitt der A100 nach Treptow wird bereits gearbeitet, seit mehr als acht Jahren schon. Im vierten Quartal 2024, so hat es der Bund erst kürzlich wieder bekräftigt, soll die erste Verlängerung des Stadtrings in den Osten Berlins eröffnet werden. Mit erwarteten Baukosten von bis zu 700 Millionen Euro gilt das 3,2 Kilometer lange Teilstück, das von Neukölln zur Straße Am Treptower Park führt, derzeit als kostspieligste Autobahn Deutschlands.

Zwei Straßen in Friedrichshain werden zu einer Tunnelbaustelle

Doch der 17. Bauabschnitt nach Friedrichshain und Lichtenberg, für den der Bund jetzt die Vorbereitungen vorantreibt, würde das jetzige Projekt in puncto Kosten toppen. Davon geht Andreas Knie aus. Die geplante 4,1 Kilometer lange innerstädtische Autobahn wäre das mit Abstand teuerste Straßenprojekt, das es jemals in Deutschland gegeben hat.

So müsste der Bund in dem dicht besiedelten Gebiet am Rande des Stadtzentrums mit enormen Grundstückskosten rechnen, so der Mobilitätsforscher. Außerdem werde für den Bau des rund zwei Kilometer langen und zum Teil zweistöckigen Tunnels die „mit Abstand teuerste Variante angepeilt: eine offene Baugrube“, sagte er. Deren Aushub würde die Neue Bahnhofstraße sowie einen Abschnitt der Gürtelstraße auf Jahre hinaus blockieren. Baufachleute haben bereits darauf hingewiesen, dass das rund 16 Meter breite unterirdische Bauwerk in einem Bereich mit schwierigen Bodenverhältnissen und viel Grundwasser entstünde – was Risiken birgt. Dass die Baukosten allgemein steigen, würde bei der A100 besonders heftig zu Buche schlagen, fügte Knie hinzu.

Wissenschaftler erwartet Baukosten von fünf Milliarden Euro

Die jüngste Kostenschätzung datiert von 2013. Danach käme der Bund beim 17. Bauabschnitt der A100 mit etwas mehr als einer halben Milliarde Euro davon. Diese Kalkulation basiere allerdings auf Daten, die vom Beginn der Nullerjahre stammen, gab Andreas Knie zu bedenken. Aus heutiger Sicht wäre ein Milliardenbetrag realistisch. Der Wissenschaftler verwies auf das Projekt Stuttgart 21 der Deutschen Bahn. Dort hätten sich die Kosten im Vergleich zur ersten Schätzung ungefähr verzehnfacht.

Nach Andreas Knies Einschätzung ist ungewiss, ob das Projekt die vorgeschriebene Wirtschaftlichkeitsprüfung mit einem positiven Ergebnis abschließen wird. „Der Nutzen-Kosten-Faktor müsste über 1 liegen“, so Knie. Doch der Wissenschaftler rechnet nicht damit, dass der Faktor bei einer aktuellen Kalkulation diesen Wert übersteigen wird. Damit wäre es durchgefallen – und dürfte nicht gebaut werden.

Doch obwohl die Grünen auf Bundesebene gegen die weitere Verlängerung der A100 sind und es in der Ampelkoalition deshalb hörbar grummelt, hat das Verkehrsministerium kürzlich bekräftigt, dass es an dem Plan festhält. Nach dem Fernstraßenausbaugesetz von 2016 bestünde ein Planungsauftrag für die Projekte des vordringlichen Bedarfs, so Oliver Luksic in einem Schreiben an den Verkehrsausschuss des Bundestags. „Danach gilt es, vordringliche Projekte bis zur Baureife zu planen und baldmöglich zu realisieren, so auch den 17. Bauabschnitt der Berliner Stadtautobahn A 100.“ Mit der Ausschreibung von Planungsleistungen komme die Autobahn GmbH des Bundes diesem Auftrag nach.

Erst wenn der Stadtring A100 in den Osten Berlins zur Storkower Straße führt, sei eine „teilungsbedingte Lücke im Bundesfernstraßennetz geschlossen“, betonte Luksic. Dann bestünde die Möglichkeit, städtische Straßen großräumig zu entlasten und Verkehr aus den Wohnquartieren zu verlagern.

Zu den Kosten teilte das Verkehrsministerium mit, dass diese noch ermittelt werden müssen. Auch was genau gebaut wird, sei zu konkretisieren. Das gelte unter anderem für den „voraussichtlich rund zwei Kilometer langen und zum Teil auf zwei Ebenen geführten Tunnel“, so Luksic. Wie berichtet spricht sich die Berliner CDU dafür aus, den geplanten 17. Bauabschnitt zu einer „Klimaautobahn“ zu machen. Ein Vorschlag lautet, das Autobahngelände für die Erzeugung von Solarstrom zu nutzen. Der Parlamentarische Staatssekretär kündigte an, diesen „grundsätzlich begrüßenswerten Ansatz im Zuge der Planungen zum 17. Bauabschnitt zu prüfen“.

Koalition in Berlin will keine Autobahn nach Lichtenberg

Die rot-grün-rote Koalition in Berlin lehnt das Projekt weiterhin ab. „Wie in den Richtlinien der Regierungspolitik geeinigt und festgeschrieben, wird der Senat Planung und Bau des 17. Bauabschnitts der A100 nicht vorantreiben“, bekräftigte Staatssekretär Markus Kamrad (Grüne) in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der AfD.

„Das Ansinnen des Bundesverkehrsministers, den 17. Bauabschnitt der A100 in alter Form ohne eine Beteiligung des Lands Berlin zu forcieren, ist falsch“, bekräftigte der SPD-Verkehrspolitiker Stephan Machulik. „Wir halten an unserem Vorschlag fest, darüber die Berliner Bevölkerung entscheiden zu lassen. Wir brauchen den Bund und die finanziellen Mittel für einen vernünftigen Abschluss der A104, die Umgestaltung der A103 sowie für den Neubau der Rudolf-Wissel Brücke. Diese Maßnahmen machen die umliegenden Kieze lebenswerter und verbessern den Fließverkehr.“