Ob hinter den Prognosen zur Zukunft von Deutschlands letztem Warenhauskonzern tatsächlich Realismus oder nur großer Pessimismus steckt, vermag man derzeit noch nicht genau einzuschätzen. Fakt ist aber: Finster sind die Vorhersagen allesamt. Bereits am Montag hatte Galeria-Chef Miguel Müllenbach angekündigt, dass das Filialnetz „um mindestens ein Drittel“ reduziert werden müsse. Prompt meldeten sich Branchenexperten zu Wort, um die Zahl der überlebensfähigen Kaufhäuser irgendwo zwischen weniger als 100 und höchstens 30 abzustecken. Der eingesetzte Insolvenzverwalter, Arndt Geiwitz, verzichtete am Dienstag auf eine genaue Zahl. Zugleich stellte er jedoch klar, dass nur ein harter Kern von den jetzt 131 Kaufhäusern übrig bleiben werde. Welche, das solle in spätestens drei Monaten feststehen.
Es ist bereits die zweite Pleite von Galeria Karstadt Kaufhof innerhalb kurzer Zeit. Im Frühjahr 2020 hatte der Konzern schon einmal Insolvenz angemeldet. Seinerzeit wurden bundesweit 40 Warenhäuser geschlossen, 4000 Beschäftigte verloren ihren Job. Nun bangen 17.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihre Zukunft bei Galeria. Die Gewerkschaft Verdi erklärte umgehend, um die Arbeitsplätze bei Deutschlands letzter großer Warenhauskette kämpfen zu wollen.
Darüber hinaus sind im Umfeld der Häuser viele Arbeitsplätze in Gefahr. Am Dienstag sprach sich daher auch der Deutsche Städtetag für den Erhalt möglichst vieler Standorte und Arbeitsplätze aus. „Kaufhäuser in Innenstädten und Stadtteilzentren wirken auch heute noch als Kundenmagnet und ziehen viele Menschen an“, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe. Davon profitierten im Umfeld andere Händler und Gastronomiebetriebe und deren Beschäftigte.
In Berlin gehören insgesamt zehn Filialen zu der Essener Kaufhauskette. Knapp 1900 Beschäftigte arbeiten in der Stadt direkt für Galeria. Erst vor wenigen Tagen war ein weiterer Galeria-Ableger in Tegel eröffnet worden. „Die Sicherung der Beschäftigten und dieser wichtigen Orte“ werde „natürlich“ Prämisse des Senats sein, sagte Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey am Dienstag auf der Pressekonferenz des Senats.
Unklar ist jedoch, ob die Landesregierung eine Anschlusslösung für den im August 2020 mit dem Galeria-Eigentümer René Benko vereinbarten Letter of Intent anstrebt. Mit der Übereinkunft konnte seinerzeit erreicht werden, dass in Berlin statt sechs nur drei Filialen geschlossen wurden, während Benko im Gegenzug Unterstützung bei Bauprojekten in Berlin erfuhr. Die Gewerkschaft Verdi hatte am Montag in dieser Zeitung eine Neuauflage der Vereinbarung gefordert. Nach den Ankündigungen aus der Konzernzentrale in Essen befürchtet man nun vor allem in Berlin harte Einschnitte.
Verdi-Fachfrau Conny Weißbach: „Wo ist eigentlich René Benko?“
Conny Weißbach leitet bei Verdi den Fachbereich Handel in Berlin-Brandenburg. Sie sieht fünf der zehn Berliner Galeria-Filialen akut gefährdet und zählt auf: „Es geht um die Häuser in der Müllerstraße, der Wilmersdorfer Straße, am Tempelhofer Damm und zudem um die Häuser am Hermannplatz und am Kudamm“, sagt sie. Insgesamt seien mehr als 700 Beschäftigte betroffen.
Allerdings fragt Weißbach zugleich, wo eigentlich der Milliardär und Firmeninhaber René Benko sei. Im Letter of Intent sei für Berlin auch die Investition von 45 Millionen Euro vereinbart worden. Geschehen sei jedoch nichts. Nach wie vor gebe es Häuser, in die es reinregne, sagt die Gewerkschafterin und verlangt von Benko darüber hinaus Investitionen in ein tragfähiges Geschäftsmodell. „Wenn das geschieht, muss gar kein Arbeitsplatz aufgegeben werden“, sagt sie.
Möglicherweise wird die Realität etwas anders aussehen. Als vor zwei Jahren die Galeria-Häuser in Gropiusstadt und Hohenschönhausen sowie die Filiale von Karstadt Sport am Kranzler Eck dichtmachten, verloren insgesamt 150 Menschen ihre Arbeit. Seinerzeit fanden die meisten schnell wieder einen Job. Ein Großteil der gekündigten Mitarbeiter war bei der in Berlin ansässigen Deutschen Rentenversicherung untergekommen. Einige konnten auf andere Filialen verteilt werden.
Und wie sähe es heute aus? In der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit ist man tatsächlich zuversichtlich, dass von Entlassung betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Galeria in Berlin bald einen neuen und gleichwertigen Job finden könnten. „Der Arbeitsmarkt in unserer Region ist aufnahmefähig, insbesondere für Fachkräfte mit Berufserfahrung“, sagt Christian Henkes von der Berliner Arbeitsagentur. Das betreffe aufgrund der Vielzahl der offenen Stellen auch den Bereich Einzelhandel. Seinen Angaben zufolge hätten Berliner Unternehmen derzeit 1879 offene Stellen im Bereich Verkauf und Einzelhandel gemeldet. Das sind etwa 850 zur Verfügung stehende Stellen mehr als im Herbst 2020.

