Kliniken im Kriegsfall

Ärzte demonstrieren vor der Charité: „Prävention von Kriegen ist die beste Medizin“

Berlin könnte im Kriegsfall Aufmarschgebiet für Nato-Streitkräfte werden. Ärzte-Organisationen warnen vor einer Militarisierung des Gesundheitswesens.

Kundgebung am Portal zum Campus Virchow der Charité.
Kundgebung am Portal zum Campus Virchow der Charité.Cristina Beretta/Berliner Zeitung

Etwas ist anders als sonst an diesem frühen Morgen vor dem Portal der Charité Berlin, vor dem Campus Virchow in Wedding. Menschen kommen vom nahen U-Bahnhof Amrumer Straße, verlangsamen ihren Schritt, weil hier gerade eine Kundgebung läuft: Gegen die Militarisierung im Gesundheitswesen, darüber unterrichtet ein großes Transparent die stutzenden Passanten.

Am anderen Ende des Campus beginnt gerade ein Symposium. Drei Tage wird es dauern und sich mit vielen Bereichen des Rettungsdiensts beschäftigen. Die Demonstranten allerdings sind wegen eines Themenblocks gekommen: „Zivile Verteidigung – Vorbereitung deutscher Krankenhäuser am Beispiel Berlin.“  Dagegen richtet sich der Protest von „Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges“ (IPPNW), „Demokratische Ärztinnen und Ärzte“ (Vdää) und anderen Organisationen an diesem Morgen.

Eine Diskussion setzt im Gesundheitswesen ein. Sie beschäftigt sich mit dem Szenario eines Kriegs, in den Deutschland involviert und Russland mutmaßlich der Aggressor ist. Es geht um sogenannte Kriegstüchtigkeit. Die Debatte birgt besondere Brisanz: Nirgendwo sonst geht es um derart existenzielle Fragen wie in der Medizin: um das Leben und seine Unversehrtheit. Zudem befindet sich das deutsche Gesundheitssystem jetzt bereits in einer schwierigen Lage, auch ohne die Herausforderungen eines militärischen Konflikts.

Die wären enorm. „Die Bundeswehr rechnet mit bis zu 1000 verletzten Nato-Soldaten täglich über Jahre hinweg“, sagt Angelika Wilmen von IPPNW. „Dem stehen aber bundesweit nur fünf Bundeswehrkrankenhäuser mit insgesamt 1800 Betten gegenüber.“ Diese wären somit binnen zwei Tagen voll belegt. „Das zivile Gesundheitssystem müsste einen erheblichen Teil seiner räumlichen und personellen Ressourcen dem Militär zur Verfügung stellen.“

Knappes Personal ist ein wachsendes Problem im Gesundheitssektor. Die geburtenstarken Jahrgänge verabschieden sich aus dem Berufsleben, weniger Fachkräfte rücken nach. Die Krankenhausreform wiederum sieht einen Abbau von stationären Kapazitäten vor, da Kliniken in Deutschland der größte Kostenfaktor für die gesetzliche Krankenversicherung sind.

Die Mitglieder der IPPNW beschäftigt eine weitere Sorge, nicht zuletzt aus ihrem traditionellen Selbstverständnis heraus. Gegründet haben die internationale Organisation zwei Kardiologen, in den Achtzigerjahren, der eine aus der UdSSR, der andere aus den USA. „Zu den Folgen eines konventionellen Krieges kommt die Eskalationsgefahr zum Atomkrieg“, sagt Angelika Wilmen.

Dieses Szenario werde bisher in fast allen schriftlich fixierten Plänen zum Zivilschutz ausgeklammert. „Dabei stellt allein die Zahl der Verbrennungspatientinnen durch einen Atomschlag ein großes Versorgungsproblem dar.“ Bundesweit stünden derzeit etwa 170 Betten für schwere Verbrennungen zur Verfügung. „Die Atombombe von Hiroshima hat schätzungsweise 60.000 Verbrennungsopfer gefordert, und die hatte eine niedrigere Sprengkraft im Vergleich zu heutigen Atomwaffen.“

Elisabeth Furian ist an diesem Morgen für den Vdää zum Campus Virchow gekommen. Die junge Medizinerin treiben insbesondere die militärischen Szenarien für die Hauptstadt um. Demnach soll Berlin im Kriegsfall Aufmarschgebiet für Nato-Streitkräfte werden. Im Juli hatte die Senatsverwaltung Eckpunkte für einen „Rahmenplan zivile Verteidigung Krankenhäuser“ skizziert. Darin geht es unter anderem um die Reihenfolge, in der Patienten behandelt werden.

Umgekehrte Triage: „Militärisches Personal hat Vorrang“

Elisabeth Furian spricht von umgekehrter Triage: „In Krankenhäusern“, sagt sie, „würde geringfügig verletztes militärisches Personal Vorrang vor Schwerverletzten und Zivilistinnen bekommen, um Soldaten schnellstmöglich wieder einsatzfähig zu machen.“

Bei ausgeschöpften Kapazitäten könnten bereits aufgenommene Patienten „nach Möglichkeit entlassen bzw. in eine Klinik oder Station mit niederer Versorgungsstufe verlegt werden“, wie es in dem Rahmenplan heißt. Es sei zu prüfen, ob diese Krankenhäuser ebenfalls „Patientinnen/Patienten entlassen und Betten für die Rehabilitation verletzter Streitkräfte vorhalten können“. Ärztin Furian sagt: „Wir sind schockiert über das Ausmaß, mit dem die Autorinnen des Papiers die Missachtung der ärztlichen Berufsordnung als auch des ärztlichen Gelöbnisses des Weltärztebunds fordern.“

Etwa 30 Demonstranten stehen an diesem Morgen vor dem Portal der Charité in Wedding. „Gar nicht schlecht bei diesem Wetter“, meint einer der Teilnehmer. Es ist kalt und nass. Angelika Wilmen sagt, man merke, dass die Debatte langsam in Gang komme. Inzwischen würden sie bei IPPNW nicht nur Mediziner, sondern auch andere Berufsgruppen aus dem Gesundheitswesen aufnehmen. Und Medizinstudenten. „Vor allem junge Menschen schließen sich uns an“, sagt Wilmen.

Und dann erzählt sie von einer Kampagne, die IPPNW Anfang September gestartet hat. Angelika Wilmen zitiert einen Satz aus der dazugehörigen Erklärung: „Die Prävention von Kriegen, ob konventionell oder nuklear, ist die beste Medizin.“ Knapp 800 Menschen haben die Erklärung bisher unterschrieben.