Am Sonnabend ist es so weit. Nach vier Jahren endet der Probebetrieb auf der Schorfheidebahn nordöstlich von Berlin. Um 19.25 Uhr startet in Joachimsthal noch einmal ein Dieseltriebwagen, um in 37 Minuten nach Templin Stadt zu fahren. Danach fällt dieser Abschnitt der Regionalbahnlinie RB63 in einen tiefen Schlaf – und es ist ungewiss, ob und wann er daraus wieder erwacht. Doch es gibt Menschen aus Brandenburg und anderswo, die sich nicht damit abfinden wollen, dass die 26 Kilometer lange Strecke lahmgelegt wird. Kurz vor Schluss sind vielfältige Protestaktionen geplant.
Was mit der Strecke passiert, sei „einfach nur erbärmlich“, meint Ingmar Arnold. Er will an diesem Freitag aus Berlin anreisen, um Abschied zu nehmen. „Ich fahre als stiller Trauernder los und nutze diesen Tag für ein Requiem“, sagte er. Arnold, bekannt als Mitgründer des Vereins Berliner Unterwelten, hat „Rolling In“ angekündigt.
Pfarrer Schwieger schreibt: „Die RB63 muss weiterfahren. Kommt alle!“
Sein Plan ist, aus Oranienburg kommend um 11.38 Uhr in Templin Stadt in die RB63 nach Joachimsthal zu steigen. Dort soll es so weitergehen: „Auf den Gegenzug warten, zurück nach Templin. Dann wieder zurück nach Joachimsthal und entweder weiter nach Eberswalde oder zurück nach Templin.“ Arnold will ein Brandenburg-Berlin-Ticket kauft, mit dem er ab 9 Uhr den ganzen Tag lang fahren darf.
Auch in der Uckermark und im Barnim wird protestiert. „Die RB63 muss weiterfahren. Kommt alle!“, schreibt zum Beispiel Ralf Schwieger bei Facebook. Er ist evangelischer Pfarrer in Friedrichswalde, einem der Dörfer entlang der Strecke. Schwieger ruft dazu auf, den vorletzten Zug nach Templin, der am Sonnabend um 17.25 Uhr in Joachimsthal abfahren soll, gebührend zu verabschieden. 2006 habe die Region schon einmal Abschied vom Zug genommen. „Jetzt könnten wir wieder Unmut äußern. Am 10. Dezember, mit Fantasie, Grog, Liedern und vollen Zügen“, hofft Schwieger. „Wer ist dabei?“
Es wird „bunt, ein wenig laut und hoffentlich voll werden“
Die „Frauen am Zug RB63“ mit Beatrix Spreng aus Ringenwalde, Pfarrerin im Ruhestand, wollen ebenfalls zur vorletzten Fahrt am Bahnhof Joachimsthal sein. „Wir werden mitfahren, unterwegs werden zahlreiche Fahrgäste zusteigen. Im Zug werden wir lautstark unseren Protest äußern und die Wiedereröffnung der Strecke fordern“, teilte Spreng mit. „Wir verstehen nicht, warum die von Bundes- und Landesregierung mehrheitlich beschlossenen Ziele aufgegeben werden. Bahnstrecken sollen reaktiviert und ausgebaut werden. Dann werden auch mehr Menschen die Bahn benutzen.“
Es werde „bunt, ein wenig laut und hoffentlich voll werden“, hofft die Initiative. Sängerinnen und Sänger, die kurz zuvor ein Konzert geben, könnten dabei sein. „Gerüchten zufolge gibt es Fahrgäste, die sich in der Bahn ankleben wollen…“, hieß es.
Minister Beermann: „Das angepeilte Ziel wurde nicht erreicht“
In Ringenwalde, einem weiteren Ort an der Strecke, soll es ebenfalls eine Aktion geben. Die 2021 gegründete Bürgerinitiative „Mehr Eisenbahn für Brandenburg“ plant einen Infostand am Bahnhof – unweit vom Gasthof zur Eisenbahn, der seinen Namen nach dem Ende des Probebetriebs erst einmal wieder zu Unrecht tragen wird.

Gut möglich, dass es am letzten Tag des Probebetriebs in den blau-weißen Triebwagen der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) auch aus einem anderen Grund voller als sonst sein wird. In Templin öffnet der Weihnachtsmarkt. Am Bahnhof Templin Stadt baut die NEB von 11.15 bis 14.30 Uhr ein Zelt auf, in dem Märchen vorgelesen werden.
Unterm Strich seien die Fahrgastzahlen zwischen Joachimsthal und Templin zu niedrig, bekräftigt Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann. Als das Land, die Kommunen und Landkreise die probeweise Wiederaufnahme des Zugverkehrs beschlossen, habe es eine „klare Abmachung“ gegeben, sagt der CDU-Politiker. Danach soll der Probebetrieb wieder enden, wenn die Züge nicht im Schnitt von 300 Fahrgästen pro Tag genutzt werden. Obwohl er verlängert wurde und in diese zwölf Monate auch der Verkauf des 9-Euro-Tickets fiel, sei die RB63 über durchschnittlich 130 Fahrgäste pro Tag nicht hinausgekommen. Offizielle Zahlen zeigen aber auch, dass im Juni 2022 an Wochenenden täglich im Schnitt rund 200 Fahrgäste mitfuhren.
Trotzdem: „Das angepeilte Ziel wurde nicht erreicht“, bilanziert Beermann. Die Kosten waren gleichwohl beachtlich: Pro Jahr steuerte das Land zwei Millionen Euro bei, Landkreise und Kommunen schossen 200.000 Euro zu.
Grüne: „Was wir wollen, ist eine Zukunft für die RB63 – Sanierung und Ausbau“
Warum können die Züge nicht einfach weiterfahren? „Aus Sicherheitsgründen ist es nicht möglich, weiterhin Zugverkehr zuzulassen“, sagt Beermann. „Diese Strecke ist in einem Zustand, den man nur noch als marode bezeichnen kann.“ Die von der Deutschen Bahn gepachtete Trasse dürfe weitgehend nur mit 40 bis 60 Kilometer in der Stunde befahren werden. Der Probebetrieb sah zuletzt montags bis freitags acht, sonnabends und sonntags je sechs Zugfahrten pro Richtung vor. Zu wenig - sagen Beobachter, die auch die zum Teil langen Übergangszeiten in Eberswalde von und nach Berlin kritisieren.
Vom dritten Adventssonntag an müssen die Fahrgäste mit Linienbussen vorliebnehmen, die auf dieser Verbindung aber immerhin häufiger als bisher verkehren werden. Die Linie 515 wird mit Fahrten ergänzt, die als Schienenersatzverkehr (SEV) RB63 bezeichnet werden. An Wochenenden sieht der Fahrplan alle zwei Stunden eine Tour pro Richtung vor, montags bis freitags jede Stunde. Mit Geld vom Land wird die Linie 515 im Juni 2023 zur PlusBus-Strecke aufgewertet, die Teil eines neuen Uckermärker Busrings wird.
Allerdings gibt es auch hier Kritik, vor allem aus Berlin: Busse nehmen keine Fahrräder mit. Für Radausflüge seien sie uninteressant, hieß es.
Der PlusBus sei „offensichtlich ein Trostpflaster für den Verlust der RB63 zwischen Templin und Joachimsthal“, sagt Patrick Telligmann vom Grünen-Kreisverband Uckermark. Das PlusBus-Konzept, das ohnehin kommen muss, könne eine Bahnlinie nicht ersetzen. „Was wir wollen, ist eine Zukunft für die RB63 – Sanierung und Ausbau.“ Auch Linken-Politiker wie der Templins Bürgermeister Detlef Tabbert wollen die Strecke erhalten.
Auch Ingmar Arnold vermisst eine Perspektive. Würde die Trasse stillgelegt, um sie für eine höhere Geschwindigkeit zu sanieren, wäre das in Ordnung. „Die RB63 wird nur eine Zukunft haben, wenn sie richtig ausgebaut wird“, so der Berliner. Wichtig wäre auch, wenn die Züge künftig über Eberswalde hinaus weiter nach Berlin fahren würden.






