Berlin-Können wir uns darauf einigen: Öffentliches urinieren ist ekelhaft. Nicht nur wegen des Geruchs, gerade jetzt zur Spargelzeit. Auch, weil es dabei ungerecht zugeht.
Berlins Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) hat vergangene Woche eine neue Toilette eröffnet. Es sei das erste Band, das sie in ihrem Amt zerschneiden dürfe, sagte sie am neuen WC am Zeppelinplatz in Wedding. Es war die letzte von 278 neuen Toiletten, die in den vergangenen drei Jahren von der Firma Wall gebaut wurden. Mehr als 400 öffentliche Toiletten gibt es damit jetzt in Berlin – mehr als je zuvor. Davon haben 64 ein Pissoir auf der Rückseite.
Nur 400 Toiletten für fast vier Millionen Menschen
Die Pissoirs kann man kostenlos benutzen. Oder genauer gesagt: Mann kann das.
Ist doch toll? Nein, es ist eine Unverschämtheit. Männer dürfen kostenlos, wofür Frauen 50 Cent bezahlen müssen. Warum? Ganz abgesehen davon, dass auch gut 400 öffentliche Toiletten viel zu wenig sind für eine Stadt mit 3,7 Millionen Einwohnern und drei bis vier Mal so vielen Touristen im Jahr. Bei Straßenfesten fällt mir auf, dass auf einer langen Route durch die Innenstadt oft gar keine öffentlichen Toiletten stehen.
Wenn ich männliche Freunde wegen des öffentlichen Pinkelns zurechtweise, bin ich mir selbst nicht sicher: Geht es mir dabei wirklich um Sauberkeit von Berlins Straßen oder steckt darin doch nur eine Art Penisneid?
Frauen urinieren sehr viel seltener in der Öffentlichkeit als Männer. Erst nach Stunden des Aushaltens oder fünf bis zehn Bier, manchmal auch beidem – kurz: wenn gar nichts mehr geht. Ich musste einmal über eine Demonstration berichten, ich weiß noch genau, wie ich mich den ganzen Nachmittag sehr beherrschen musste. Wegen der Lockdown-Regeln fand ich kein Café, Restaurant und keinen Imbiss, in dem ich auf die Toilette gehen durfte. Männer pinkeln in solchen Situationen in Berlin einfach in einen Hauseingang oder an einen Busch. Warum? Weil sie es können.
Ich fühle mich im Moment des öffentlichen Pinkelns höchst angreifbar und ein bisschen schäbig. Auch wenn ich seit meinem Umzug von Stuttgart nach Berlin die Hemmschwelle gezwungenermaßen etwas abgebaut habe. Denn in Berlin sind die Wege bis zur rettenden heimischen Toilette einfach weiter.
Wahrscheinlich waren viele Berlinerinnen schon mal in einer Situation, dass es einfach nicht anders ging. Emanzipation ist, wenn man trotzdem pinkelt. Am Bordstein zwischen zwei Autos, im nächsten Gebüsch.
Berghain: Unisex-Toiletten ohne Mülleimer
Dazu kommt: Frauen menstruieren auch. Deshalb brauchen wir unter Umständen zusätzlich zum möglichst unbeobachteten Plätzchen einen Mülleimer für Hygieneartikel und Wasser zum Händewaschen. Das sollten Männer eigentlich auch tun, aber das ist eine weitere, unappetitliche Diskussion.
In Zeiten von Unisex-Toiletten wissen wir oft nicht, wohin mit Abfällen. Die Betreiber des Berghains sind zum Beispiel so freundlich, inzwischen zumindest einige Toilettenkabinen für FLINTA (Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, trans und agender Personen) zu reservieren. Das soll wohl das lange Warten verhindern, wenn man einfach mal nur allein aufs Klo muss, statt in der Gruppe Drogen zu konsumieren.
Doch in keiner der Kabinen, ob auf diesem oder einem anderen Klo im Club habe ich je einen Mülleimer gesehen. Der Club sagt Frauen damit unterschwellig: „Wenn du deine Tage hast, hast du hier nichts verloren.“ Mich erinnert das an das Mittelalter, als menstruierende Frauen wegen ihrer „Unreinheit“ noch gesellschaftlich ausgeschlossen wurden.
Dabei kommt gerade aus der Clubkultur eine Erfindung, die für mehr Gleichberechtigung sorgen könnte: die Urinella. Regelmäßig wird sie auf dem Festival Fusion ausgegeben, dort auch Fusionella genannt. Es ist eine Pappkonstruktion, die Frauen auch im Stehen pinkeln lässt. Es gibt Gegner und Befürworter, ich fand die Benutzung bisher zu kompliziert.




