Berlin-Neulich saß ich mit Freunden aus Dresden in einem Restaurant an der Linienstraße in Mitte, wir hatten einander lange nicht gesehen, bestellten Essen, das in einer Art Setzkasten an den Tisch geliefert wurde. Das vertikale Tablett stand wie ein kleiner Raumteiler mitten auf dem Tisch zwischen uns. Als wäre das nicht schon „Crazy Hauptstadt“ genug, baute sich plötzlich jemand neben unserem Tisch auf, pfiff und winkte seinen Freunden weit hinten im Restaurant. Seine Geste war eindeutig: Kommt ihr mit aufs Klo?
Da ich gerade erst auf genau dieser Toilette war, wusste ich, da ist nur Platz für maximal zwei Menschen. Sie schlossen hinter sich ab und kamen kurz darauf kichernd wie Kinder wieder heraus. Meine beiden Besucher aus Dresden waren ausgerechnet Psychiater auf einer Fortbildung in Berlin. Sie haben regelmäßig Patienten vor sich sitzen, die wegen Marihuana oder Kokain mit Psychosen zu kämpfen haben. Sie fragten, ob das normal sei, dieser recht offene Konsum illegaler Drogen in einem Restaurant. Und ich glaube, die Antwort lautet seit einer Weile: Ja.
Laut aktueller Untersuchen ist der Konsum von bestimmten Drogen in Deutschland gestiegen. Der Konsum der Party- und Clubdroge MDMA, Hauptbestandteil von Ecstasy, ging demnach in den Monaten der Pandemie zurück, während der von Amphetaminen (Speed, Crystal Meth) sowie Marihuana und Kokain angestiegen ist. Laut RBB ließen sich 2017 noch 300 Milligramm auf 1000 Personen pro Tag im Abwasser nachweisen. Im vergangenen Jahr, dem zweiten Corona-Jahr, war es schon doppelt so viel.
Die Lust auf den Rausch ist im Lockdown nicht kleiner geworden, nur weil die Clubs ihre Türen schließen mussten. Und jetzt, wo alle Bars wieder offen sind, ist offenbar die kleine, weiße, gehackte Linie ein Muss geworden. Neulich fand ein Freund einen Behälter voll mit Kokain in einer Bar auf der Toilette neben dem Klopapier. Nur ein paar Tage später war ich beim Tapas-Spanier in Kreuzberg und bemerkte, wie wieder eine lange Schlange auf dem Weg zum Klo entstand. Auf Toilette musste hier niemand. Die Frage ist nur, muss es denn so sichtbar sein, dass hier Leute illegale Selbstmedikation betreiben?
In dieser Woche wurde am Brandenburger Tor wieder offen Marihuana geraucht. Hunderte trafen sich zum Smoke-in, zündeten sich einen gemeinsamen Joint an. Kurzfristig mag das eine Entspannung bewirken, ein fast zwanghaftes Abschalten von den Auto- und Fahrradpöblern, dem Stress im Büro oder dem viel zu lauten Saxophon im U-Bahnhof. Wir alle brauchen, gerade in Berlin, auch Abstand zu den Dingen. Aber es gibt bei aller Toleranz kein Recht auf illegalen Besitz von Rauschmitteln, deren Wirkung die Nutzer doch bestenfalls von Netflix-Serien kennen.
Das Schreiben und Diskutieren über Drogen, es bleibt schwierig in einer Stadt wie Berlin, wo ja jeder glücklich werden soll. Doch zur Wahrheit gehören eben auch die Toten und die Psychosen. Allein über Facebook habe ich von vier Drogentoten erfahren während der Pandemie, von Bekannten, die noch leben könnten, wenn der kurzfristige Spaß nicht irgendwann überhand genommen hätte. Das Zeug, das so gut beim Ausblenden hilft, es führt eben auch in einen Abgrund.
Das sollte aber alles mitgedacht werden, wenn jetzt die Ampel weiter die Zeichen auf Legalisierung stellt. Selbstverständlich ist niemandem geholfen, wenn der Konsument sich nur noch ins Private zurückzieht. Das zumindest deutet die aktuelle Kriminalstatistik an, die von der Polizei am Freitag herausgegeben wurde. Drogendelikte, so die Berliner Behörden, finden mehr im Verborgenen statt. Der Rückgang der Statistik in diesem Fall ist demnach keine gute Nachricht.


