Berlin-Meine Freundin und ich schieben uns durch den schwarz gestrichenen Flur, wie durch einen Tunnel, weg vom hellen Tag draußen, hinein in das dunkle Drinnen. Ich bin augenblicklich high. Mein Hirn schaltet sofort um auf diesen Makro-Blick, den es in noch fast jedem Geisteszustand kann, und der mich dazu befähigt, Details zu fokussieren, während die dazugehörige Kulisse schon verschwimmt.
Dieser Dunst, der nur in einer Luft mit kleinstmöglichem Sauerstoffanteil entstehen kann, die orientierungslosen Menschen auf der Suche nach einer Garderobe, das Schmatzen meiner Sneakersohle auf dem klebrigen Boden, das ich zwar nicht hören, aber fühlen kann. Das dumpfe Hämmern der Musik. Mein Mund formt ein Grinsen, das an niemanden gerichtet ist. Ich habe gar nichts intus. Mein blitzartiger Rausch kommt nicht von irgendwelchen Weichmachern, ich bin einfach geflasht, wieder im Club zu stehen.
Draußen scheint die pralle Sonne. Es ist der 8. März, Kampftag für den Feminismus, der Frühling kommt endlich wieder, und wir von einer Demo im Wedding. Klar, der Frühling kommt immer um diese Zeit, aber dieses Jahr ist nicht wie jedes Jahr. Viel zu lange gab es das nicht, das Ausgehen, Anstehen, Rumstehen. Anfang dieser Woche berichteten die Hauptstadtmedien, die Clubs könnten seit Beginn der Pandemie langsam aufatmen. Das feiernde Berlin sei zurückgekehrt. Vorbei das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Feiernden und Polizei in den Parks und leeren Fabriken im Umland.
Als ich am 8. März das erste Mal seit einer wirklichen Ewigkeit einen meiner alten Lieblingsclubs betrete, sieht niemand, dass ich grinsen muss. Ich trage meine schwarze FFP-2-Maske auf dem Gesicht, bin damit fast allein, vielleicht zwei, drei weitere Gäste schützen sich noch so vor dem Virus. Der Floor ist voll. Die Menge ist ausgelassen, sie stampft und schwitzt schon scheinbar sorgenfrei zum Bass. Hier drin gibt es keine Kontrolle(n) mehr. Die Maskentragenden, also auch ich - wir wirken plötzlich wie alberne Gestalten. Und die, die keine tragen, wirken nackt und leichtsinnig. Es ist eine Klemme.
Welche "Normalität"?
Das soll er jetzt also sein, der Moment der Rückkehr in die alte Welt? Ich meine damit nicht diese „Normalität“, von der Leute offenbar geträumt haben. Sondern ich meine diese Rückkehr zur Ekstase. Das wollten doch alle, damit der olle Alltag wieder erträglich wird. Der Club, der Sehnsuchtsort, die Utopie, die Freiheit, die Entgrenzung und so weiter, aber vor allem: die Flucht, das Ventil für den alltäglichen Zwang, für den manchmal übergroßen Druck.
Ich hatte bisher kein Corona, zumindest keins, von dem ich weiß. Ich will es aber auch nicht bekommen, und noch viel wichtiger ist mir: Ich will das Zeug auf keinen Fall übertragen. Ungeschickt ist: Das widerspricht nicht nur der Stimmung in Berlin, es widerspricht auch meiner Sehnsucht danach, endlich meinen Alltag zusammen mit der Jacke an der Garderobe eines Clubs abzugeben.
Kontrollieren will niemand mehr
Das winterliche Tanzverbot, das in der fünften Welle zu den Maßnahmen der Eindämmung gehörte, wurde Anfang März gekippt, Clubs konnten mit Impf- und Testkontrollen wieder öffnen – und seit Anfang April gelten nur noch die sogenannten Basis-Schutzmaßnahmen. Damit fiel dann auch der Schutz von „2G+“. Einige Bars und Clubs bitten die Gäste zwar immer noch, sich vor dem Besuch zu testen, dabei bleibt es allerdings, denn kontrollieren will niemand mehr.
Ich verstehe das, es kostet Personal. Es dauert lange. Ist kompliziert. Und die Schlangen am Eingang waren so lang! Im eisigen Wind vorm KitKat in der Heinrich-Heine-Straße bis um die Ecke in die Köpi, oder im Zickzack zwischen den Gittern, wie immer demütig in Anbetracht der Wucht des Berghains, und von den Treppenstufen am Eingang des About blank in der gesamten Kurve des Markgrafendamms bis hin zur ersten Rolltreppe, die hoch zu den Gleisen am Ostkreuz führt.
Die Schlangen sind geblieben, die Sehnsucht ist auch ohne Tests noch da. Ich habe Freundinnen und Freunde, die bisher deshalb gar nicht ausgegangen sind. Egal ob um drei oder um vier Uhr nachts, selbst noch am Sonntagmorgen war das Gedränge zu groß, zu kalt die Nacht, um sie draußen und stehend zu verbringen, zu voll der Laden dafür, dass ja dann am Ende doch immer noch Corona ist. Andere in meinem Umfeld sind längst ausgegangen. Sie sagen alle, dass sie überfordert waren und dass es sich hemmungsloser anfühlte als vor der Pandemie. Als gäbe es sie doch, diese Ekstase mitten in der Krise.
Eintrittspreise und Dresscode: Die Berliner Clubszene war schon immer exklusiv
Dumm nur, dass sich die Flucht vor dem Alltag in der Zwischenzeit zum Luxusgut entwickelt hat. Können wir über die Eintrittspreise sprechen? Mit 16 Euro hatte ich noch einen günstigen Club erwischt. Freundinnen erzählen von mehr als zwanzig Euro Eintritt. Für einen Abend! Eine sagt, weil es überall so teuer ist, geht sie nur noch in die großen Clubs mit bekannten DJs und mehreren Floors, damit es sich auch lohnt.
Die Berliner Szene war schon immer exklusiv, auch wenn sie gerne anders tut. Welches Outfit, welches Geschlecht, welche Frisur, welche Begleitung hast du heute dabei? Es war bestimmt subtiler in Berlin als anderswo, aber natürlich gelten hier auch Codes. Und jetzt kommt noch dazu, dass man gesund sein muss, um sich zu trauen. Aber der Eintrittspreis hat in Berlin als Kriterium für einen guten Abend früher meist nur eine kleine Rolle gespielt. 25 Euro? Das ist zweimal Kino, fünfmal Schwimmen, acht Bier in der Kneipe, zwölf im Späti. Oder, schlimmer noch: Der Anteil im Hartz-IV-Satz für die gesamte „Haushaltsführung“ eines Monats.
Ein Anruf bei der Clubcommission bestätigt die Vermutung. Man könne das nicht verallgemeinern, sagt ein Mitarbeiter. Aber es sei richtig, einzelne Läden hätten den Eintritt erhöht. Zahlen habe der Verband dazu nicht, jedoch, man betrachte es „mit Sorge“, sagt er dann, denn immerhin gibt es sie ja noch, die utopische Vorstellung von einer Clubkultur, die niemanden ausschließt.
Clubkommission: Es gibt viele, die noch fernbleiben
Stimmt. Genau das ging ja immer in Berlin. Nicht alle kamen überall rein, aber irgendwo kamen alle rein. Nun steigen die Getränkepreise, wegen des Kriegs und der Inflation, die Personalkosten wegen des Mindestlohns und die Mieten steigen sowieso. Um zu überleben, hätten viele Locations gar keine Wahl, als die Preise zu erhöhen, sagt mir der Mitarbeiter. Das sammelt sich im Eintritt, im dritten Frühling dieser Pandemie. Es gibt einfach kein „nach“ der Krise.
Der Andrang auf die Clubs sei groß, sagt er, die Leute wollen einiges aufholen. Aber er sagt auch, es gebe viele, die noch fernbleiben. Wegen der Sorge vor Corona, wegen der Stimmung durch den Krieg, der langen Entwöhnung von menschlichem Gedränge, Schweiß, Schlafmangel und Kontrollverlust.
Immerhin, nicht nur ich trage diese Unklarheiten mit mir rum. Als ich für diesen Text Freundinnen und Freunde frage, wer schon in einem Club gewesen sei, ist meine liebste Antwort die: „Nein. Aber wollen wir am Wochenende?“
