Handwerk

Der große Brötchentest: Wo gibt es die besten Schrippen Berlins?

Einmal im Jahr holt sich die Berliner Bäcker-Innung Experten ins Haus, die Schrippen, Schusterjungen und Co. testen. Die Ergebnisse findet man in einer App.

Das gibt Punktabzug: Die Schrippen haben im Ofen zu dicht beieinandergelegen, daher die helle Stelle und die Falten an der Seite.
Das gibt Punktabzug: Die Schrippen haben im Ofen zu dicht beieinandergelegen, daher die helle Stelle und die Falten an der Seite.Emmanuele Contini

Vielleicht könnte man Michael Isensee klonen und eine Ausgabe von ihm in jede Berliner Handwerksbäckerei stellen. Vielleicht wäre das die Rettung für eine angeschlagene Branche, die schon unter Corona litt und nun, angesichts explodierender Energiepreise, steigender Rohstoff- und Personalkosten noch viel mehr ächzt.

Die Leidenschaft jedenfalls, mit der Michael Isensee für das Bäckerhandwerk wirbt, die liebevolle Aufmerksamkeit, die er jeder einzelnen Schrippe schenkt, die ernsthafte Prüfung, die unter seinen gewissenhaften Augen und mit geübter Zunge stattfindet – das alles könnte vielleicht auch den Berliner Kunden überzeugen, für seine Frühstücksbrötchen noch ein bisschen mehr Geld auszugeben, weil das traditionelle Handwerk das nun mal wert ist. Und so könnten die Bäckereien vielleicht einen Retter in der Not bekommen – wenn Robert Habeck den schon nicht geben will

Aber es gibt nur einen Michael Isensee, und der wird deutschlandweit gebraucht und kann sich sicher nicht zerteilen. Zuletzt allerdings, da war er mal wieder ganz für Berlin da. Der gelernte Bäckermeister und Qualitätsprüfer vom Deutschen Brotinstitut waltet hier mehrmals im Jahr seines Amtes, wenn er Brot und Brötchen, Stollen und Feingebäck einem umfangreichen Test auf Qualität, Aussehen und Geschmack unterzieht. Jetzt, im September, waren die Brötchen an der Reihe. Die große Brötchenprüfung, bei der in der Bäcker-Innung organisierte Betriebe ihre Schrippen einschicken und bewerten lassen können.

Dunkel und mit Röstaromen

In diesem Jahr hat Isensee 65 Brötchen von 15 Bäckern geprüft. Neben den Berliner Klassikern Schrippe, Splitterbrötchen und Schusterjunge gab es auch Spezialitäten wie Dinkel-Wildroggenbrötchen, Cranberry-, Viersaat-, Mohn- und Chiabrötchen zum Verkosten. Dabei haben 35 Produkte die Note „sehr gut“ und 21 die Note „gut“ erhalten. Maximal 100 Punkte hat der Prüfer zu vergeben, wer unter 90 Punkte rutscht, wird nicht prämiert. Das allerdings erfahren nur die Bäcker selbst, damit sie in der Qualität nacharbeiten können. Die Kunden sehen in der Bäckerfinder-App der Innung (kostenlos erhältlich im App Store und bei Google Play) nur die guten Produkte – zu kritisch möchte man die eigenen Betriebe in der Außenwirkung nicht darstellen.

Mit viel Lust und Laune dabei: Brötchenprüfer Michael Isensee vom Deutschen Brotinstitut.
Mit viel Lust und Laune dabei: Brötchenprüfer Michael Isensee vom Deutschen Brotinstitut.Emmanuele Contini

Michael Isensee, der aus Hannover kommt und seit 30 Jahren Backwaren testet, weiß, was eine gute Schrippe ausmacht: „Ein schönes Weizenbrötchen ist ein bisschen dunkler und hat gute Röstaromen entwickelt. Die Kruste ist ein wenig eingerissen, dann ist das Brötchen optimal ausgebacken. Es lässt sich gut schneiden und hat innen eine gleichmäßige Lockerung. Wenn man den Daumen in den Teig drückt, federt der zurück. Die Schrippe riecht angenehm und hat ein leicht malziges Brötchenaroma.“

Beim Test freilich gibt es feste Kriterien, sechs an der Zahl, die eines nach dem anderen abgehakt werden. Form und Aussehen, Oberflächen- und Krusteneigenschaften, Lockerung und Krumenbild, Textur, Geruch und last, but not least der Geschmack. Michael Isensee greift sich ein Brötchen, das vor ihm liegt. Es ist ein Blindtest, das heißt, wer es gebacken hat, weiß der 60-Jährige zum Zeitpunkt der Prüfung noch nicht. In diesem Fall hält der Bäckermeister eine Ostschrippe in der Hand, die kleiner und kompakter ist als das West-Pendant. Einige Berliner Betriebe vermarkten sie noch, die Ostschrippen, die nach alter Rezeptur direkt auf der Herdplatte im Steinbackofen gebacken werden.

In diesem Fall gibt es allerdings Abzug für das Traditionsprodukt. Michael Isensee bemängelt den Ausbund, also den aufgebrochenen Bereich oben in der Kruste. Er müsse stärker aufgeplatzt und breiter sein, befindet der Profi, außerdem sei ihm die Oberfläche des Brötchens zu stumpf. Dafür sei die Lockerung innen schön gleichmäßig, ohne Löcher, auch Geruch und Geschmack überzeugen. Die Schrippe erreicht 96 Punkte und wird mit „gut“ bewertet.

Wie es besser geht, zeigt das Splitterbrötchen gleich daneben, vom selben Bäcker. Da kommt selbst der Experte ins Schwärmen: „Der Zucker obendrauf ist wunderbar karamellisiert, die Kruste schön splittrig und die Krume angenehm weich. Hier wurde ordentlich Butter eingearbeitet, perfekt“, so das Urteil des Fachmanns. 100 Punkte! Hinterher, als Michael Isensee seine Bewertungen in den Computer überträgt, sieht man auch, aus welcher Backstube die beiden Produkte stammen. Es ist die Bäckerei Siebert in der Schönfließer Straße in Prenzlauer Berg. Seit 1906 gibt es sie schon, noch heute bilden sich samstagmorgens lange Schlangen vor dem Traditionsbetrieb. Alle wollen sie haben, die Schrippen und die Splitterbrötchen, die es so nur noch in wenigen Berliner Backstuben gibt. 

Legt Wert auf Qualität und Tradition: Bäckermeister Ulrich Kienzl von der Bäckerei Siebert in Prenzlauer Berg.
Legt Wert auf Qualität und Tradition: Bäckermeister Ulrich Kienzl von der Bäckerei Siebert in Prenzlauer Berg.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Bäckermeister Ulrich Kienzl freut sich, dass seine Produkte auch in diesem Jahr wieder gut abgeschnitten haben. Er führt die älteste Handwerksbäckerei der Stadt gemeinsam mit seiner Frau Anke Siebert in der fünften Generation. Dass seine Schrippen nur mit „gut“ abgeschnitten haben, kann er verkraften. „Die Schrippen sind unser Verkaufsschlager, daran verändern wir nichts. Die Leute wollen sie nun mal genauso, wie wir sie immer gebacken haben“, sagt Kienzl, der aus Südtirol stammt, Linguistik studiert und im Anschluss daran noch eine Bäckerlehre absolviert hat.   

Kienzl sieht die Brötchenprüfung vor allem als Chance, neue Produkte zu testen und „nicht betriebsblind“ zu werden. „Ich nehme mir die unabhängige Meinung schon zu Herzen und justiere dann an der einen oder anderen Stelle nach.“ Beim Splitterbrötchen allerdings gibt es nichts zu justieren. Dreimal hintereinander hat die süße, fettreiche Spezialität schon die Bestnote geholt, das gibt obendrauf noch die „Gold-Auszeichnung“ der Bäcker-Innung Berlin. In der App ist die Auszeichnung durch eine Krone gekennzeichnet.


Beste Ware: Brötchen, die bei der aktuellen Prüfung die Note „sehr gut“ erhielten
  • Bäckerei & Konditorei Siebert, Schönfließer Straße 12 (Prenzlauer Berg): Splitterbrötchen, Dinkelsprossenbrötchen, Mohnhörnchen
  • Bäckerei Karsten John, Wollankstraße 110 (Pankow): Strandbrötchen, Schusterjunge, Splitterbrötchen
  • Bäckerei & Konditorei Laufer, Seebadstr. 32 (und weitere Filialen in Reinickendorf): Dinkelbrötchen
  • Bäckerei & Konditorei Scholz, Borgmannstr. 6 (Köpenick): Schrippe
  • Bio-Bäckerei Beumer & Lutum, Cuvrystr. 22 (Kreuzberg) und viele weitere Standorte: Sauerteigbrötchen, Schweizer Brötchen, Bagel
  • Bäckerei & Konditorei Zimmermann, Magistratsweg 130 (Spandau) und zwei Filialen Charlottenburg: Staakener Brötchen, Zwiebelbrötchen, Schrippe, Mohnzöpfchen 
  • Familienbäckerei Rösler, Otto-Suhr-Allee 80–82 (Charlottenburg) und zwei Filialen in Spandau: Fitnessbrötchen, Kürbiskernbrötchen
  • Bäckerei Johann Mayer, Ebersstraße 42 (Schöneberg) und zwei weitere Filialen in Schöneberg und Steglitz: Malzmehrkornbrötchen, Kornknacker
  • Bäcker Walf, Lankwitzer Str. 2–3 (Lichterfelde): Aktivbrötchen, Dinkel-Wildroggenbrötchen
  • Café Obergfell, Alt-Lichtenrade 140 und Lichtenrader Damm 36 (Lichtenrade): Alpenspitz, Dinkelbrötchen, Chiabrötchen
  • Bäckerei Hillmann, Hindenburgdamm 93 a und vier weitere Filialen im Berliner Südwesten: Schrippe
  • Bäcker Wiedemann, 29 Filialen in und um Berlin: Kraftprotz-Brötchen, Sonnenschein, Frischer Fritz
  • Thoben’s Backwaren, Spandauer Unternehmen mit 32 Filialen in Berlin: Kümmelstange, Schrippe

Bei Sieberts werden die Urkunden auch im Laden ausgehängt – vielleicht überzeugt es den einen oder anderen Kunden, trotz gestiegener Preise weiter hier einzukaufen. „Die Schrippe hat bei uns Anfang des Jahres 30 Cent gekostet, jetzt sind wir schon bei 40 Cent“, sagt Ulrich Kienzl. „Das machen dann halt auch nicht alle Kunden mit. Wir merken das schon, dass weniger Leute kommen.“ Zwar komme man derzeit noch über die Runden, aber was morgen ist, das wisse man nicht. In der Backstube arbeiten 20 Leute, die Lohnkosten sind gestiegen, dazu die Energiepreise, die Rohstoffe, der Fachkräftemangel. Es herrscht Unsicherheit, an vielen Fronten. Nur eines ist sicher: Aufgeben will der Bäckermeister aus Prenzlauer Berg nicht. „Dass die Kunden bei uns immer noch Schlange stehen, dass sie unsere Arbeit schätzen und dass wir hier unsere eigenen Herren sind, das ist viel wert. In einem großen Konzern zu arbeiten, darauf hätte ich jedenfalls keine Lust.“

Es fehlt an Nachfolgern: Bäckereien machen dicht

Da ist sie wieder, die Leidenschaft für ein Handwerk, das frühes Aufstehen und viel Arbeit erfordert, aber Dinge hervorbringt, die unter den eigenen Händen entstehen. Sie treibt auch Michael Isensee an, der sich als Prüfer regelmäßig fortbildet und an Sensorik-Schulungen teilnimmt. Möglichst objektiv soll sie sein, die Brötchenprüfung, bei der dann eben auch mal ein Schusterjunge durchfällt. Weil er zu hell ist, nicht gut durchgebacken, weil sich die Krume beim Kauen ballt und der Teig viel zu säuerlich ist. Isensee tippt auf einen zu geringen Roggenanteil und auf Fertigsauerteig. Ein No-Go.

Wie ist die Prognose des Experten für das Bäckerhandwerk in Deutschland? Michael Isensee hat schon von einigen Läden gehört, die eigentlich erst in zwei, drei Jahren zumachen wollten, weil sie keinen Nachfolger haben. Die aber nun doch jetzt schon dichtmachen, weil sie nach der Corona-Zeit keine Reserven mehr haben. „Es verschwinden definitiv mehr Bäcker als neue dazukommen“, sagt der 60-Jährige.

In Berlin aber, da sieht er einen Hoffnungsschimmer. Junge Bäcker, die ganz neue Wege gehen. Die nicht mehr die Traditionen pflegen, die er und seine Kollegen noch aus ihrer Kindheit kennen. Die nicht das volle Sortiment anbieten, sondern sich spezialisieren. „Die backen dann sechs Brotsorten, und wenn die alle sind, dann wird der Laden zugemacht. Da wird der Ofen einmal voll ausgenutzt, läuft aber wiederum nicht den ganzen Tag.“ Energietechnisch ist das eine gute Sache. Und die Kunden, die müssten sich eben anpassen. Akzeptieren, dass frische Brötchen nicht den ganzen Tag über verfügbar seien. Neue Wege, die seien die Zukunft seines Handwerks, ist Michael Isensee überzeugt. Er indes muss weiter, zu den nächsten Prüfungen. In Wismar und in Fürstenwalde wartet man schon auf ihn.