Berlin-Es ist richtig, dass der Berliner Senat die sogenannte 2G-Regelung, die Kinder unter zwölf Jahren vom Sozialleben ausschließen sollte, schnell korrigiert hat. 2G bedeutet, dass verschiedene Gaststätten- und Veranstaltungsbetreiber entscheiden können, ob sie künftig nur noch Geimpfte und Genesene (2G) in ihre Innenräume lassen wollen, dann auch ohne Abstand und Maske. 3G, wie bisher, würde Getestete einschließen. Ausnahmen für Kinder sollte es nicht geben, hatte Dilek Kalayci, die SPD-Gesundheitssenatorin, am Dienstag gesagt, zum Entsetzen vieler Eltern. Die beschlossene Regel hätte bedeutet, dass Kinder unter zwölf von Besuchen in Restaurants, Zoos, Theatern, Kletterhallen, Kinos ausgeschlossen werden können. Auch wenn die Entscheidung revidiert wurde, bleibt sie skandalös.
Seit Wochen wird überall über die Vernachlässigung von Kindern in der Pandemie geredet, trotzdem unterhielt sich der Senat am Dienstag in seiner Sitzung lieber ausführlich über sichere Saunaaufgüsse und Bordellbesuche als über Kinder. Eltern und Kinder können von Glück reden, dass gerade Wahlkampf ist, und es vielleicht sogar mehr wählende Eltern als Saunabesucher gibt, sodass Bettina Jarasch (Grüne) und Franziska Giffey (SPD) als Bürgermeisterkandidatinnen protestierten, Klaus Lederer (Linke) folgte.
Schließlich wollte keiner sich mehr dafür verantwortlich fühlen, was er weniger als 24 Stunden zuvor beschlossen hatte. Andere nutzten die Gelegenheit, um Giffeys SPD ein Wahlkampfmanöver zu unterstellen. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) nannte es am Mittwoch immerhin einen „Fehler“, nicht auf eine Ausnahmeregelung für Kinder gedrängt zu haben.
Kinder und Familien werden von Politik ignoriert
Doch das Problem ist, dass es sich nicht um einen Ausrutscher handelt, sondern ein Muster, das man immer wieder entdeckt und dass sich durch die Pandemie-Bekämpfung zieht: Kinder und Familien mit kleineren Kindern werden von der Politik ignoriert, übersehen, nicht mitgedacht.
Das ist kein Berliner Spezifikum. Erst kürzlich wurde die Bundesregierung für ihre Härte gegenüber Kindern in der Corona-Politik von der Menschenrechtskommissarin des Europarates gerügt. Aber in Berlin zeigt man sich im Vergleich zu anderen Bundesländern besonders lernunwillig.
Obwohl das Robert-Koch-Institut im vergangenen Oktober bereits festgestellt hatte, dass Kinder keine Pandemietreiber sind, kam es im drauffolgenden Winter zu den bisher längsten Schul- und Kitaschließungen. Im Frühjahr wurden in Berlin die Kitas und Schulen erneut zugemacht beziehungsweise auf Notbetrieb gestellt, als die Zahlen stiegen. Geschäfte, Büros, Friseure, Sonnenstudios blieben aber offen. Monatelang hockten Kinder zu Hause oder durften nur stundenweise in die Schule. Der Berliner Senat hätte das am liebsten bis zu den Sommerferien so gelassen und musste per Gericht zur Öffnung gezwungen werden.
Die jüngste Entscheidung, Kinder vom Sozialleben auszuschließen, wirkte doppelt ungerecht, weil Schulen und Kitas bis heute viel stärker von Auflagen und Hygienemaßnahmen betroffen sind als Wirtschaftsbetriebe. Maske und Tests sind verpflichtend, nicht freiwillig wie bei Arbeitnehmern. Sportkurse, Theater-AG, Musikunterricht – all das findet höchstens eingeschränkt statt.
Gleichzeitig hat es der Senat auch in anderthalb Jahren nicht geschafft, die Schulen sicherer zu machen: Es gibt weder ausreichend Luftfilter noch flächendeckend PCR-Lollitests.
Es gibt nun einige, die angesichts dieser Fehler und Versäumnisse von Kinderfeindlichkeit reden. Aber ein Feind ist jemand, den man identifiziert, den man sieht, den man ernst nimmt. Kinder schaffen es nicht mal in die Kategorie Feinde. Kinder gelten als ein Privatvergnügen von Eltern, so wie Hunde und Autos. Wobei der Berliner Senat Hunden und Autos wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit schenkt. Dieses Denken zeigt sich in dem weitverbreiteten Mantra, das Eltern zu hören bekommen, wenn sie sich über Missstände beschweren: Selber schuld, du hast es dir doch so ausgesucht!

