Gul A. ist an diesem Mittwochmorgen offenbar verärgert. Warum sein zweiter Anwalt nicht anwesend sei, übersetzt der Dolmetscher die Frage des Angeklagten. Der Verteidiger habe ihn auch nicht in der Untersuchungshaft besucht, behauptet er. Deswegen werde er heute erneut keine Aussage zum Tatgeschehen machen. Auch wenn sein zweiter Anwalt noch auftauchen sollte.
Bernd Miczajka, der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer, antwortet dem Mann auf der Anklagebank ruhig, aber bestimmt: Der Anwalt habe ihn sehr wohl besucht. Dann spricht der Richter von einem „eklatant taktischen Verhalten“, das der Angeklagte an den Tag lege und das das Gericht nicht hinnehmen werde.
Schon mehrfach hatte der 43-Jährige, der sich seit November vorigen Jahres wegen Mordes vor Gericht verantworten muss, ausgesagt. Dabei stundenlang über seine Flucht mit seiner Frau Zohra G. und den gemeinsamen Kindern von Afghanistan nach Berlin gesprochen. Über die Zeit im Iran, in der Türkei und in einem Flüchlingscamp in Griechenland. Jedes Detail, an das er sich erinnern konnte, nannte er.
Nie kam er dabei jedoch auf den Punkt – den gewaltsamen Tod von Zohra G., für den er verantwortlich sein und mit dem er sechs Kindern die Mutter genommen haben soll. Oder er klagte über Kopfschmerzen, sodass die Verhandlung unterbrochen werden musste.
14 Jahre wurde ich tags gemartert und nachts vergewaltigt.
An diesem Mittwoch sollte es endlich so weit sein, Gul A. wollte zum Tattag aussagen. Doch erneut wurde nichts daraus. Laut Anklage hatte er am Vormittag des 29. April vergangenen Jahres seiner getrennt von ihm lebenden Ehefrau Zohra G. aufgelauert, um sie zu töten. An der Mühlen-, Ecke Maximilianstraße in Pankow soll Gul A. die 31-Jährige vor den Augen zahlreicher Passanten mit einem Messer attackiert, ihr mindestens 13 Stiche und Schnitte zugefügt und ihr dann die Kehle durchtrennt haben.
Wenig später konnte er festgenommen werden. Zum Motiv heißt es in der Anklage: Gul A. fühlte sich in seinem Stolz und seiner Ehre verletzt. Zudem wollte er seine Frau wegen ihrer angeblichen Kontakte zu anderen Männern bestrafen. Und es störte ihn, dass er seine Kinder nicht mehr so häufig sehen durfte.
Menschen, die helfen wollte, habe Gul A. mit dem Messer bedroht
Die Aussage zur Tat und zu einem möglichen Motiv der Bluttat übernimmt am Nachmittag dieses 24. Verhandlungstages ein Beamter der Mordkommission, der Gul A. und auch Zeugen kurz nach dem Tod von Zohra G. vernommen hatte. Ein Passant habe unter Tränen geschildert, wie der Täter Menschen, die helfen wollten, mit einem Messer bedroht und die Stichwaffe dann immer wieder in die Seite der Frau gestoßen habe. Dann soll sich der Angeklagte über das am Boden liegende Opfer gestellt, den Kopf an den Haaren hochgezogen und ihr den Kehlschnitt zugefügt haben.
In seiner Beschuldigtenvernehmung habe der Angeklagte zunächst angegeben, er wisse nicht, warum er festgenommen worden sei, sagt der Kriminalist. Zu dem Blut an seiner Kleidung sagte Gul A. demnach, es müsse erst einmal nachgewiesen werden, dass es von seiner Frau stamme. Gul A. gab auch an, das Flüchtlingsheim, in dem die Familie in Pankow seit ihrer Ankunft in Berlin lebte, freiwillig verlassen zu haben. Das Hausverbot, das er nach mehreren Gewalttaten gegen seine Frau erhalten hatte, nannte er mit keiner Silbe.
Erst als er, der Ermittler, ihm Fotos gezeigt habe, die Zeugen vom Tatgeschehen gemacht hatten, sei Gul A. sehr still geworden. „Er fragte, ob seine Frau tot sei“, erinnert sich der Kriminalist. Dann sei Gul A. kurz in Tränen ausgebrochen und habe etwas zu einem möglichen Motiv erzählt.
Der Angeklagte gab demnach an, seine Frau hätte ihm die Kinder verwehrt, sie habe zudem einen anderen Mann kennengelernt. Schließlich sprach Gul A. von zwei Attentätern, die seine Frau angeheuert habe. Sie hätten ihm die Kehle aufschneiden sollen. „Wenn diese Männer mich umbringen sollen, dann bringe ich Dich zuerst um“, will Gul A. zu seiner Frau gesagt haben. Der Mann habe während der Vernehmung keine Reue gezeigt, sagt der Kriminalist. „Er wirkte auf mich wütend, dass ihm das angetan wurde.“
Nachricht vom Vater: „Pass auf Dich auf“
Auch die Schwester und eine Freundin des Opfers vernahm der Zeuge. So erzählte die Schwester, dass Zohra G. vor der Verlobung mit Gul A. lediglich ein Foto ihres Bräutigams gesehen habe. Nach der Hochzeit sei er mehrfach gewalttätig gegenüber seiner Frau geworden. Die Familie habe auf Zohra eingewirkt, ihm noch eine Chance zu geben. Danach sei sie sehr still geworden und habe nicht mehr aufbegehrt.
Erst später, als das Paar mit ihren Kindern nach ihrer Flucht in Berlin angekommen sei, will die Schwester von Zohra G. erfahren haben, dass sich Gul A. nicht geändert hat. Er schlage sie am Tage und vergewaltige sie in der Nacht, vertraute die sechsfache Mutter ihrer Schwester und auch einer Freundin an, berichtet der Mordermittler. Er gibt auch wider, was die Schwester geraten hat: Die Gewalttaten würden nicht aufhören, es wäre besser, wenn Gul A. in die Heimat zurückgehen würde. Der Vater schickte Zohra G. eine Sprachnachricht: „Pass auf Dich auf!“.
Zohra G. hatte in Berlin einen Deutschkurs besucht und – offenbar gegen den Willen ihres Mannes – ein eigenes Konto mit Geldkarte eröffnet und sich ein Handy besorgt. Damit verstieß sie wohl gegen die Regeln, die Gul A. für seine Frau aufgestellt hatte.
Zeugen berichteten bei der Mordkommission, dass der Angeklagte ein sehr negatives Bild von Frauen habe. Sie müssten kochen und sich um die Kinder kümmern. Frauen, die ihre Männer verlassen, seien nichts wert, soll Gul A. gesagt haben.
Zweimal hatte Zohra G. Anzeige gegen ihren Ehemann erstattet, weil er sie geschlagen und bedroht haben soll. Dabei äußerte sie bei der Polizei, dass ihr erst im Deutschkurs die Augen geöffnet wurden. Ihr sei klar geworden, dass sie sich nicht alles von ihrem Ehemann gefallen lassen müsse. Zohra G. ließ sich nach islamischem Recht von ihrem Mann scheiden.





