Kemal C. ging es nur darum, so viel Geld wie möglich zu kassieren. Das sagte Carsten Schwanitz, der Vorsitzende Richter der 48. Großen Strafkammer, am Dienstag in seiner Urteilsbegründung. Zuvor hatte er den 47-jährigen einstigen Betreiber zahlreicher Corona-Testzentren in Berlin wegen besonders schweren Betrugs in 67 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt.
Gülbeyaz W., die Schwester von Kemal C., machte sich demnach der Beihilfe zum Betrug schuldig. Sie wurde zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die 45-Jährige hatte ihrem Bruder ihre Konten zur Verfügung gestellt. Mit dem Urteil blieb die Kammer unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Haftstrafe für Kemal C. von zehn Jahren und drei Monaten. Seine Verteidiger hatten eine Gefängnisstrafe von maximal sieben Jahren verlangt.
Mit dem Urteilsspruch ging das bisher größte Strafverfahren in Berlin um betrügerische Abrechnungen von Corona-Teststellen nach mehr als sieben Monaten zu Ende. Rund einhundert Zeugen wurden an den 24 Verhandlungstagen gehört.
Millionen in die Türkei überwiesen
Die Summe, um die der einstige Späti-Betreiber den Staat betrog, ist riesig. Rund zwölf Millionen Euro hatte Kemal C. laut Schwanitz zwischen Mai 2021 und Februar des vergangenen Jahres bei der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet – für 18 von ihm registrierte Testzentren. 9,7 Millionen Euro seien ihm ausgezahlt worden, sagte der Richter. Zugestanden hätten dem Angeklagten lediglich rund 63.900 Euro. Von dem Geld seien mehr als sechs Millionen Euro auf die Konten des Vaters in der Türkei geflossen.
Der Richter betonte, dass es in drei der elf Testzentren einen mittleren, in vier Teststellen einen geringen und in elf Testzentren gar keinen Betrieb gegeben habe. Die meisten Teststellen waren in Spätis eingerichtet worden. Exemplarisch nannte Schwanitz eine Teststelle in Alt-Moabit. Dort seien im Juni 2021 laut Abrechnung 64.563 Abstriche genommen worden. Das wären bei einem 19-stündigen Betrieb mehr als 2000 Tests am Tag gewesen, zwei Abstriche pro Minute – ohne Pause. Dies liege weit entfernt von jeder Realität, so der Richter.
Laut Schwanitz sprach einiges dafür, dass der Angeklagte mitbekam, dass es keine Kontrollen gab. Jeder habe eine Teststelle anmelden können – ausschließlich online sei dies möglich gewesen, sagte der Richter. Bei der zuständigen Senatsverwaltung habe man seine Qualifikation und das Konzept einreichen müssen. „Eine Überprüfung vor Ort fand zu keiner Zeit statt“, sagte der Richter. Er wies die Aussagen der Verteidiger von Kemal C. zurück, die erklärt hatten, der Staat trage eine Mitschuld. Das Geld habe auf der Straße gelegen, der Angeklagte habe es nur aufgehoben.
Schwanitz erklärte, der Staat habe mit den Testzentren die Hoffnung verbunden, aus der pandemischen Notlage von nationaler Tragweite herauszukommen. Testzentren sollten relativ schnell und leicht eingerichtet werden können. „Das sollte nicht an Bürokratie scheitern“, betonte der Richter.
Kemal C. habe besonders verwerflich gehandelt, indem er diese Notlage ausgenutzt und mit krimineller Energie in die eigene Tasche gewirtschaftet habe. Die Geldflüsse habe der Angeklagte verschleiert und Strohleute eingesetzt. In die mehrjährige Haftstrafe wegen Betrugs fließt bei Kemal C. auch eine Verurteilung von Februar 2022 wegen Vergewaltigung und Körperverletzung von drei Jahren und acht Monaten ein.
Der Richter ordnete zudem an, bei Kemal C. rund 9,7 Millionen Euro, bei seiner Schwester rund 2,4 Millionen Euro einzuziehen.
Kemal C. und Gülbeyaz W. waren im März vergangenen Jahres festgenommen worden. Während die 45-Jährige im Juni von der Haft verschont wurde, sitzt ihr Bruder ohne Unterbrechung in Untersuchungshaft. Das Urteil gegen Bruder und Schwester ist noch nicht rechtskräftig.



