„Querdenker“-Proteste

Polizeigewalt bei Berliner Corona-Demo: UN-Folterbeauftragter sucht Zeugen

Nach den „Querdenker“-Protesten mehren sich die Gewaltvorwürfe. Die Berliner Polizei hat interne Ermittlungen eingeleitet. Rund 50 Anzeigen gingen ein.

Polizisten nehmen einen Mann fest, der an der verbotenen „Querdenker“-Demonstration am Sonntag teilnehmen wollte.
Polizisten nehmen einen Mann fest, der an der verbotenen „Querdenker“-Demonstration am Sonntag teilnehmen wollte.dpa/Fabian Sommer

Berlin-Auf der Straße Unter den Linden packt ein Polizist eine kleine Frau mit beiden Händen am Hals und schleudert sie zu Boden. Am Großen Stern reißt ein Polizist einen Mann vom Fahrrad. Zahlreiche Filme von Polizeigewalt kursieren im Internet. Die meisten wurden am Sonntag in Berlin aufgenommen, als Tausende durch die Innenstadt zogen, um gegen die Regierung und ihre Corona-Maßnahmen zu protestieren.

Nach Angaben eines Polizeisprechers gingen bei der Behörde bis Mittwoch Anzeigen gegen Beamte „im mittleren zweistelligen Bereich“ ein, die sich mit verschiedenen Situationen auseinandersetzen. Eine genaue Zahl konnte die Behörde noch nicht nennen, da es sich nach ersten Sichtungen um Mehrfacherfassungen zu einzelnen Situationen handele. Zu dem Fall der von einem Beamten umgeworfenen Frau leitete das LKA Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ein. Der UN-Folterbeauftragte Nils Melzer aus der Schweiz hat sich eingeschaltet und bat auf Twitter um Zeugenhinweise.

Im Netz machen auch Bilder die Runde zu einer Festnahme, die aus mehreren Perspektiven gefilmt und fotografiert wurde, unter anderem von dem Geschichtsprofessor an der Humboldt-Universität, Jörg Baberowski, vor dessen Wohnung sich alles abspielte. „Was ich gesehen habe, ist beschämend, roh und abstoßend. Eines Rechtsstaats unwürdig“, schrieb er in den sozialen Medien. Zu sehen ist, wie mehrere Polizisten auf einem Mann knien und einer immer wieder auf ihn einschlägt. Gesicht und Arme des reglos daliegenden augenscheinlich bewusstlosen Mannes sind blutüberströmt.

Polizeisprecher: Strafrechtlich relevantes Verhalten wird geprüft

Einige Filme sind unscharf und zu kurz, um den vollständigen Hergang des Geschehens zu erfassen. Dazu gehört etwa eine Sequenz, die angeblich ein Kind zeigt, das von einem Polizisten geschlagen worden sein soll.

„Normalerweise greifen sich die Polizisten die Aggressivsten aus der Menge heraus“, sagt der Ulmer Rechtsanwalt Markus Haintz, der sich als Freiheitsaktivist versteht und bis November vergangenen Jahres der Querdenken-Bewegung angehörte. „Am Sonntag in Berlin hat man sich wahllos Leute rausgesucht.“ Haintz wurde nach eigenen Angaben selbst mehrfach von Polizisten geschubst, die nach seiner Auffassung sehr rabiat gewesen seien.  Der Anwalt  hat den Eindruck, dass die Polizei auch nicht genug Personal hatte, um  Sperrketten zu bilden. 

„Wie alle Einsätze wird auch dieser Einsatz nachbereitet werden“, sagt Polizeisprecher Thilo Cablitz. „Einzelne Videosequenzen sind der Polizei Berlin bereits bekannt, hier wird das Vorgehen der eingesetzten Kolleginnen und Kollegen selbstverständlich geprüft und strafrechtlich relevantes Verhalten durch die Polizei Berlin zur Anzeige gebracht.“

Cablitz wiederum verweist auf ein „erschreckend aggressives Verhalten“ seitens einzelner Personen gegenüber Polizisten. Erst die fortwährenden Verstöße gegen die Versammlungsverbote und Delikte wie tätlicher Angriff, Landfriedensbruch, Gefangenenbefreiung hätten es nötig gemacht, Personen aufzuhalten und festzunehmen. Die Polizei sei dafür ausgebildet, unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gezielt unmittelbaren Zwang anzuwenden, gezielt Widerstand zu brechen – „wenn es sein muss, auch mit gezielten Faustschlägen“, so Cablitz.

Für Mittwoch waren in Berlin zwei weitere Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen angemeldet. Die Polizei hat sie verboten.