Mobilität

BVG-Busfahrer schreibt ein Buch: Warum Esel auch nur Menschen sind

Im Alltag steuert Erik Kormann aus Köpenick Busse durch Berlin. In seiner Freizeit geht er mit Tieren wandern. Nun kann man lesen, was er dabei erlebt.

Mit Narcisse unterwegs: Erik Kormann mit seinem Esel in Frankreich
Mit Narcisse unterwegs: Erik Kormann mit seinem Esel in FrankreichErik Kormann

Berlin-Aufs Sofa legen und eine Runde schlafen, ein neues Puzzle legen, die nächste Reise planen. Es gibt viele Möglichkeiten, nach der Arbeit den Kopf freizubekommen. Erik Kormann hat eine andere Strategie. Der Busfahrer der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) setzt sich ins Auto und fährt nach Brandenburg, um mit Narcisse spazieren zu gehen. Am See entlang, über die Felder, in den Wald. Narcisse, das sollte man an dieser Stelle erklären, ist ein Esel. Und so viel kann Kormann jetzt schon über ihn sagen: „Ein Esel ist auch nur ein Mensch.“ Jetzt hat der BVG-Mitarbeiter aus Köpenick sein zweites Buch über Wandererlebnisse mit Tieren veröffentlicht. Titel: „Tausche Alltag gegen Alpaka“.

Ein Esel ist ein Individuum mit ausgeprägtem Charakter. „Der hat auch seine Interessen, die natürlich vorwiegend aus Fressen bestehen“, erzählt Erik Kormann. Zwischendurch braucht das inzwischen 18 Jahre alte Tier (das entspricht einem Menschenalter von 40) immer wieder seine Ruhe. Vor Kurzem hat er mit dem felligen Franzosen bei Flieth, unweit vom Oberuckersee nördlich von Berlin, eine lange Strecke zurückgelegt. „Die erste Stunde ist er kaum gelaufen. Er wollte überall nur fressen, was verständlich ist, denn auf seiner Koppel steht kaum frisches Gras. Unterwegs kann er überall naschen, es ist die reine Verführung.“ Also heißt es immer wieder: warten. Bis man auch als Mensch tiefenentspannt ist. Meist geht das ziemlich schnell, und der Alltag ist weit weg.

Tischler, Fotograf, Kulturwissenschaftler, Parfümeur

Wenn Erik Kormann begeistert seine Erlebnisse mit Narcisse schildert (der übrigens ein Eselhengst ist), bedeutet das nicht, dass er mit seinem Beruf unzufrieden ist. „Die BVG ist ein guter Arbeitgeber, und Busfahrer ist ein schöner Beruf“, auf diese Feststellungen legt er Wert. Wie viele seiner Fahrerkollegen beim größten deutschen Nahverkehrsunternehmen ist Kormann Quereinsteiger. Vorher war er Tischler, Fotograf (unter anderem für die Berliner Zeitung), Kulturwissenschaftler und Parfümeur. Man kann noch immer den Duft „Steampunk“ im Internet kaufen, den er entworfen hat. Er kostet 90 Euro.

„Die BVG ist ein guter Arbeitgeber, und Busfahrer ist ein schöner Beruf“: Erik Kormann am Steuer.
„Die BVG ist ein guter Arbeitgeber, und Busfahrer ist ein schöner Beruf“: Erik Kormann am Steuer.Gerd Engelsmann

Die vage Idee, zur BVG zu wechseln und Teil des mehr als 5300 Menschen starken Busfahrerteams zu werden, wurde an einem verregneten Sommernachmittag im Osten Berlins konkret. „Ich glaube, es war in Rahnsdorf. Nach dem Stand-up-Paddling auf dem Müggelsee wollte ich nach Hause.“ Der Regen kam ihm wie eine Sintflut vor, die Scheibenwischer des Busses kamen mit den Wassermassen kaum zurecht. Ein Mädchen, das aussteigen wollte, schaute ängstlich auf die Sturzbäche. „Da sagte der Busfahrer: Werte Fahrgäste, wir machen heute einen Umweg und fahren die Kleene nach Hause bis vor die Tür.“ Das war der Auslöser, sich bei der BVG zu bewerben, erzählt Kormann.

„So etwas Nettes habe ich noch nie erlebt“

Auch wenn der Verkehr stressig ist und längst nicht alle Fahrgäste so nett sind wie die damalige Busbesatzung – Kormann macht den Job gern, und er hat sich den Fahrer von damals als Beispiel genommen. Einmal steuerte er den Bus X7 vom Flughafen BER nach Rudow. Normalerweise gibt es auf dieser Linie nur einen Zwischenstopp. „Doch unterwegs sah ich drei Frauen im kalten Nieselregen an einer anderen Haltestelle stehen.“ Er hätte durchfahren können, aber hielt an und sagte, es sei eine Ausnahme. Eine der Frauen kam später zu ihm und sagte, so etwas Nettes habe sie noch nie erlebt. Erik Kormann sagt: „Nun ja, in Berlin sind die Ansprüche offenbar niedrig.“

Natürlich hat er Lieblingslinien. Ganz oben steht die 169 nach Müggelheim, Odernheimer Straße. „Ich mag es gern, wenn ich im Wald Pause habe“, erzählt der BVGler. „Füchse kommen vorbei und setzen sich vor die Bustür.“ Auge in Auge mit der reichhaltigen Berliner Stadtnatur, wie schön. Auch auf der Linie 108 ins nicht minder beschauliche Waldesruh ist Kormann gern unterwegs. „Das Schönste für mich wäre es, immer im Kreis um den Müggelsee herum zu fahren. Aber das geht leider nicht.“ Um welche Linie es sich auch handeln mag: Er weiß, dass seine Kollegen und er eine wichtige Aufgabe für die Stadt und fürs Klima wahrnehmen. „Ich freue mich über jeden, der bei mir einsteigt.“

250 Kilometer durch die französische Provinz

Zurück zum Esel. Wie ist Erik Kormann zu seiner Passion gekommen? „Mit zehn, zwölf Jahren las ich gern Reisebücher. Bei meinen Eltern fiel mir ein Buch in die Hand: Robert Louis Stevenson, ‚Reise mit dem Esel durch die Cevennen‘. Damals war ich total enttäuscht, weil es um eine langsame Reise geht, so richtig spannend war das nicht. Doch dass da jemand mit einem Esel unterwegs war, fand ich gut. Das hat sich eingeprägt. Obwohl das für ein DDR-Kind wie mich schwierig war: mit einem Esel durch die DDR zu wandern.“ Erik Kormanns Mutter ist Bulgarin, der Vater Deutscher. Aber auch bei den Verwandten auf dem Balkan ergab sich keine Möglichkeit. Sie hatten ein Haus im Gebirge, und eine alte Frau im Dorf besaß sogar zwei Esel. „Aber nein, meine Cousins hätten sich totgelacht, wenn ich mit denen losgezogen wäre. Nein, die Eselswanderung musste warten.“ Und zwar ziemlich lange.

Als sein 50. Geburtstag nahte, sah er sich im Internet um. Und siehe da: „Die Tour, die Stevenson damals mit dem Esel gelaufen ist, firmiert heute als europäischer Kulturwanderweg.“ Damit nicht genug, man kann dort Wanderungen mit Gepäcktransport buchen. 250 Kilometer durch die Provinz in zehn Tagen. Obwohl Kormann kein Wort Französisch spricht, fuhr er hin. Und so begegnete er Narcisse.

„Der erste Tag der Wanderung mit ihm war die reine Hölle“: Erik Kormann mit Narcisse, dem Esel.
„Der erste Tag der Wanderung mit ihm war die reine Hölle“: Erik Kormann mit Narcisse, dem Esel.Erik Kormann

„Der erste Tag der Wanderung mit ihm war die reine Hölle. Ich dachte daran aufzugeben“, erzählt er. Man muss dem Tier schon zeigen, dass es vorangehen soll. Aber es soll auch seinen Willen haben. „Der zweite Tag war dann so gut und so harmonisch, da war alles wieder bereinigt. Von Tag zu Tag wurde es besser.“ Und schließlich wurde es richtig gut. Auch wenn es immer wieder Überraschungen gab – zum Beispiel, weil der Esel in einer Kleinstadt unterwegs alle erreichbaren Blumenkübel leer fraß.

Jedes Tier ist unverwechselbar, das lernte Erik Kormann schnell. „Die Vermieterin Marie hat eine Eselsdame, die zu humpeln anfängt, wenn ihr der Druck zu groß ist. Wenn er weg ist, läuft sie wieder normal.“

„Können wir jetzt mal weitergehen?“

Über seine Wanderung schrieb Kormann einen Blog. Freunde rieten ihm, ein Buchmanuskript daraus zu machen und es Verlagen anzubieten. „Plötzlich klingelte das Telefon, ein Redakteur von Gräfe und Unzer war dran.“ Ergebnis war das erste Buch: „Der Esel steht“, im Verlagsableger Holidays erschienen. „Das hat sich so gut verkauft, dass sie beim Verlag gesagt haben: Jetzt machen wir ein zweites Buch.“

Die erste Auflage des neuen Werkes „Tausche Alltag gegen Alpaka“ wurde im vergangenen Jahr bei Polyglott veröffentlicht. Für dieses Buch war Kormann nicht nur mit Narcisse in der Uckermark unterwegs. Man kann darin auch nachlesen, wie es ist, sich mit Lamas, Alpakas, Huskys und anderen Hunden auf Tour zu begeben. Und es geht (natürlich) ums Busfahren in Berlin. „Bei den Tieren war das Lama die größte Überraschung. So unkompliziert. Und manchmal hatte ich das Gefühl, dass Susi mir sagen wollte: Können wir jetzt mal weitergehen?“

Raus aus dem Alltag, auftanken, Abstand gewinnen: Dafür muss man nicht nach Griechenland oder auf die Seychellen reisen, sagt Erik Kormann. Er freut sich schon auf seine Brandenburg-Wanderung mit Narcisse. „Das Erreichbare ist das Schöne.“ So kann man es auch formulieren.