Nationalgemüse

Britin in Berlin: Wie ich lernte, den deutschen Spargel zu lieben

Unsere Autorin stammt aus Großbritannien. Dort führt das Stangengemüse ein Schattendasein. Doch in Berlin lernte sie zum Glück dessen Vorzüge kennen.

Spargel: Das deutsche Nationalgemüse.
Spargel: Das deutsche Nationalgemüse.Shotshop

Meine erste deutsche Spargelzeit habe ich im Jahr 2016 kennengelernt, als ich einen Monat lang in Dresden einen Sprachkurs besuchte. Ich komme aus Großbritannien, und für mich als Nichtdeutsche war die Spargelzeit immer eines dieser skurrilen Dinge, über die man in E-Mails nach Hause schreibt: „Hey Leute, ihr glaubt einfach nicht, wie verrückt die Deutschen nach Spargel sind!“

In Großbritannien findet man Spargel zu allen Jahreszeiten in rauen Mengen in den Supermärkten, dabei werden sie auch nur zu bestimmten Jahreszeiten angebaut, genau wie in Deutschland. Sicherlich fehlt es dem britischen Spargel oft an Saftigkeit und Geschmack. Also noch einmal deutlich: Deutscher Spargel schmeckt besser.

Heute beginnt die Spargelzeit in Deutschland. Offiziell wird heute der erste Beelitzer Spargel verkauft. Für mich ist das ein Anlass, um ein für allemal zu bekennen: Wir Briten wissen die Güte eines saisonalen Gemüses nicht genug zu schätzen. In der Spargelzeit – Deutschlands fünfter Jahreszeit – findet man alles, was typisch deutsch ist. Die fieberhafte Begeisterung für diese Stangen ist gleichzeitig süß und ökologisch sehr verantwortlich.

In manchen Bundesländern wird sogar eine Spargelkönigin gekrönt, die natürlich bei dem anschließenden Fototermin ein Dirndl, das internationale Symbol der deutschen Mode, trägt. „Die Spargelkönigin: Völlig gestochen“ ist übrigens der Film, den ich demnächst auf Disney+ sehen will.

Aber ich muss auch sagen, ein weiterer sehr deutscher Faktor an der Spargelzeit ist, dass sie von der Tendenz der Deutschen zu gnadenloser Selbstkritik nicht verschont bleibt. Jedes Jahr zum Anfang der Spargelzeit sind Kommentare zu lesen oder Bemerkungen aus dem Freundeskreis zu hören wie diese: Man verstehe nicht, warum man den ganzen Wirbel um Spargel macht, er schmecke doch gar nicht so gut. Im Ernst: Das teile ich auf keinen Fall. Jetzt ist es an der Zeit, auch die Spargelzeit gegen die Hater zu verteidigen.

Saisonale Gemüsesorten sind lecker - und in Deutschland irgendwie niedlich

Das ist Deutschland: Markus Söder und Annalena Fischhaber, Schrobenhausener Spargelkönigin 2021/22, mit einem Spargel-Geschenkekorb.
Das ist Deutschland: Markus Söder und Annalena Fischhaber, Schrobenhausener Spargelkönigin 2021/22, mit einem Spargel-Geschenkekorb.www.imago-images.de

In Dresden 2016 lernte ich schnell die deutsche Vorliebe für saisonalen Spargel zu begreifen. Als am 24. Juni des gleichen Jahres bekannt wurde, dass mein Heimatland gegen meine eigenen Hoffnungen für den Brexit gestimmt hatte, fiel das zufällig auf den letzten Tag der Spargelzeit. Ich weiß noch, wie ich am Abend mit einem großen Glas Weißwein an einem Tisch saß, vor mir eine Nudelpfanne mit saftigem, weißem Spargel. Was habe ich aus diesem Abendmahl gelernt? Die besten Dinge im Leben sind es wert, dass man auf sie wartet.

Und an dieser Stelle müssen auch sie erwähnt werden: die Saisonarbeitskräfte, die diese Jahreszeit erst ermöglichen. Und ja, dafür müssen faire Löhne und eine vernünftige Kranken- und Sozialversicherung bezahlt werden. Denn auch diese Debatte kehrt im Laufe jeder Spargelzeit in die Öffentlichkeit zurück, auch ich denke dann immer erst an diese Leute und vergesse sie für den Rest des Jahres. Vielleicht bin ich auch in diesem Sinne ein bisschen deutsch geworden.

Vorliebe für Spargelzeit kennt keine Grenzen

Wenn ich irgendwann noch deutscher bin, verliere ich vielleicht sogar meinen Blick auf die Spargelzeit als eines dieser wunderlichen deutschen Dinge wie der Pfand und das Ampelmännchen, die mich noch immer amüsieren. Aber in Wirklichkeit wird dieses Gefühl jedes Jahr gestärkt, sodass ich inzwischen englischen Verwandten und Bekannten sogar ganzjährig vom Spargel erzähle. Ende Mai vergangenen Jahres kamen zum Beispiel meine Eltern zu Besuch nach Berlin. Ich glaube, sie hatten mir nie ganz geglaubt, als ich ihnen erzählt hatte, wie verrückt die Deutschen nach Spargel sind – sie mussten es also für sich selbst herausfinden.

Auf dem Wochenmarkt in meinem Kiez holten wir uns einen Strauß dicker weißer Spargelstangen. Schon das war für sie etwas Besonderes. Weißer Spargel ist in England normalerweise nur bei spießigen Bauernmärkten zu finden, denn er wird nur in einem kleinen Teil der Grafschaft Worcestershire angebaut. Das Ritual des Schälens war für sie auch schon ein Highlight. Genau wie während meiner Brexit-Trauer von 2016 habe ich die Stangen gebraten und mit einer Nudelpfanne serviert. Meine Eltern meinten, das sei der leckerste Spargel, den sie je gegessen hätten.

In eine Woche kommen sie wieder zu Besuch, zum langen Osterwochenende. So sagen sie zumindest. Ich vermute aber, sie kommen in Wirklichkeit wegen der Spargelzeit. Das heißt: Ich habe noch eine Woche, um mir endlich das deutscheste aller Utensilien für die kommende Saison zu besorgen: einen Spargelschäler.