Landgericht Frankfurt (Oder)

Grundschullehrer soll vier Mädchen seiner Klasse missbraucht haben

Vor Gericht bestreitet der 55-jährige Strausberger den Vorwurf und lehnt einen Deal ab. Er will im Prozess freigesprochen werden.

Der angeklagte Lehrer berät sich mit seiner Verteidigerin Galina Rolnik.
Der angeklagte Lehrer berät sich mit seiner Verteidigerin Galina Rolnik.Patrick Pleul/dpa

Auf der Anklagebank sitzt ein sportlich wirkender Mann von 55 Jahren. Er trägt Jeans und Turnschuhe. Die Kapuze seiner schwarzen Marken-Jacke hat er tief ins Gesicht gezogen, die Mundpartie hinter einer OP-Maske versteckt. Als an diesem Mittwochmittag der Prozess gegen ihn vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) beginnt, er Kapuze und Maske abnehmen muss, kommen ein gepflegter grauer Bart und kurze graue, gescheitelte Haare zum Vorschein.

Der Angeklagte ist Lehrer an einer Grundschule in Strausberg (Märkisch-Oderland). Er hat dort Mathematik, Deutsch und Sport unterrichtet, ist Vater von drei Kindern. Am 3. März dieses Jahres hat ihm dieselbe Strafkammer, vor der er jetzt als Angeklagter sitzt, ein vorläufiges Berufsverbot ausgesprochen. Er darf derzeit keine Mädchen unter 16 Jahren unterrichten oder betreuen. Vermutlich auch deswegen übt er sein Traineramt in einem Sportverein nicht mehr aus.

Auf dem Pädagogen lasten schwere Vorwürfe. Laut Anklage soll er sein Vertrauensverhältnis „als Lehrer bewusst und planmäßig ausgenutzt“ und von August 2018 bis März vergangenen Jahres an seiner Schule vier Mädchen wiederholt sexuell missbraucht haben. Im Unterricht, auf dem Schulhof, im Umkleideraum der Lehrkräfte und während der Sportstunde habe er die zur Tatzeit neun bis 13 Jahre alten Kinder begrapscht, ihnen an den Po, unter das T-Shirt oder in den Intimbereich gefasst, sie gegen ihren Willen auf seinen Schoß gezogen – um sich selbst sexuell zu erregen. So sagt es Marc Urban, der Staatsanwalt.

Die Kinder sollen dem Lehrer oftmals gezeigt oder gar gesagt haben, dass sie die Übergriffe nicht wollten, sagt der Staatsanwalt. Sie hätten sie jedoch über sich ergehen lassen, weil es sich um ihren Lehrer gehandelt habe. Zudem wird dem Angeklagten in einem Fall auch Körperverletzung vorgeworfen. Er soll einen Jungen schmerzhaft am Nacken gepackt haben.

Anklage listet 29 Taten auf

Die Anklage listet insgesamt 29 Taten auf. Demnach nahm die Intensität der mutmaßlichen Übergriffe zu. So soll der Grundschullehrer im März vergangenen Jahres einem zur Tatzeit 13-jährigen Mädchen während der fünften Unterrichtsstunde, als die Schüler seiner Klasse lesen sollten, mit beiden Händen von hinten unter den Pullover gegriffen und mehrere Minuten lang die kindlichen Brüste geknetet haben. Als ein aufmerksam gewordener Mitschüler ihn daraufhin angesprochen habe, habe er den Kopf des Jungen weggedreht und der Schülerin ins Ohr geflüstert, dass sie niemanden davon erzählen dürfe, sagt der Staatsanwalt.

Am selben Tag soll er das Mädchen noch einmal vor dem Sportunterricht in den Raum gerufen haben, in dem sich die Lehrer umziehen. Er soll die Tür geschlossen und sich erneut an dem Kind vergangen haben. Kurz nach diesen Vorfällen offenbarte sich die Schülerin ihrer Mutter. Die Frau ging sofort zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Daraufhin soll die Schule den Pädagogen freigestellt haben.

Zunächst war das Verfahren beim Amtsgericht in Strausberg anhängig. Doch die dortigen Richter entschieden, das Verfahren an das Landgericht abzugeben. Wohl auch, weil der Beschuldigte zu den Vorwürfen schwieg und weil beim Amtsgericht nur in Fällen prozessiert werden darf, in denen die Straferwartung nicht über vier Jahren liegt.

Auch an diesem ersten Prozesstag sagt der Angeklagte persönlich nichts zu den Anschuldigungen. So kommt auch eine Verständigung nicht zustande, die die Kammer dem Angeklagten angeboten hatte und die den betroffenen Kindern eine Zeugenaussage ersparen würde. Im Fall eines umfassenden Geständnisses des 55-Jährigen hat Sören Schrade, der Vorsitzende Richter, dem Angeklagten eine Verurteilung zwischen dreieinhalb Jahren und vier Jahren und drei Monaten angeboten.

Allerdings hält der Staatsanwalt den Strafrahmen für zu gering. Auch Galina Rolnik, die Verteidigerin des Lehrers, lehnt den Deal ab. Aber aus einem anderen Grund. „Die Vorwürfe werden mit deutlicher Vehemenz bestritten“, erklärt die Anwältin. Sie werde einen Freispruch für ihren Mandanten fordern. „Etwas anderes kommt für ihn nicht infrage“, sagt Rolnik. Der Angeklagte werde sich derzeit nicht weiter äußern.

Nachdem Marc Urban die Anklage verlesen hat, werden im Saal die Videoaufzeichnungen der betroffenen Kinder gezeigt. Dafür schließt der Vorsitzende Richter die Öffentlichkeit aus. Es gehe um schutzwürdige Interessen sowohl der Kinder als auch des Angeklagten, erklärt Schrade. Die mutmaßlichen Opfer des Pädagogen und deren Eltern sollen auch persönlich als Zeugen erscheinen und im Prozess gehört werden.

Viele Fragen müssen in dem Prozess, der bis Ende Juli terminiert ist, noch geklärt werden. Treffen die Vorwürfe zu, dann ist unklar, warum es über einen so langen Zeitpunkt zu derart vielen Übergriffen kommen konnte. Auch Jens Mader macht es sprachlos, dass der Angeklagte über einen so langen Zeitraum anscheinend unbemerkt agiert haben soll. Mader vertritt als Anwalt vor Gericht die Mutter eines betroffenen Kindes, die als Nebenklägerin auftritt. „Das Mädchen ist in Therapie“, sagt er in einer Prozesspause. Es gehe aber weiterhin an dieselbe Schule.

Als Nebenklagevertreter hätte es der Jurist gerne gesehen, wenn es im Prozess eine Verständigung gegeben, der Angeklagte das Angebot des Gerichts angenommen hätte. Dann wäre den Kindern eine Aussage erspart geblieben.

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt – vermutlich wieder hinter verschlossenen Türen. Dann soll das erste betroffene Mädchen als Zeugin gehört werden. Bei einer Verurteilung drohen dem Pädagogen nach Angaben des Gerichts bis zu 15 Jahre Haft.