Langes Elend: die Schloßstraße in Steglitz
Wo die Hauptstraße ihre großstädtischen Ambitionen aufgibt, beginnt nicht viel später die Schloßstraße, die gefühlt 20 Kilometer durch Steglitz führt. Die Schloßstraße gilt als Hauptader des Stadtteils und ist darüber hinaus mit fast einer viertel Million Quadratmetern Verkaufsfläche der größte Einzelhandelsstandort Berlins. Und mehr muss man eigentlich auch gar nicht wissen über die Einkaufsstraße, die so austauschbar und uncharmant ist, dass man sie verkürzt in jeder bräsigen westdeutschen Stadt vermuten könnte.
Eine offenbar von einem taubblinden Greis kuratierte Mischung aus Optikern, Sanitätshäusern und Hörgeräte-Akustikern wechselt sich ab mit Billigbäckern und den immergleichen Sportswear-Buden. Dazwischen mal ein Juwelier, ab und an ein Supermarkt und Großanbieter für irgendwelchen Elektroschrott. Schön ist das nicht. Das Highlight der Schloßstraße sind Einkaufszentren wie das Forum Steglitz oder der Boulevard Berlin, wo das Angebot der Straße einfach noch mal überdacht wird. Irgendwann passiert man dann den Bierpinsel, diesen poppige Klotz, der regelmäßig von Architekturstudenten und Studentinnen angeschmachtet wird. Und wenn das schon der aufregendste Moment dieser Einkaufsmeile ist, dann ist darüber auch schon alles gesagt. Marcus Weingärtner
Besoffene Verkehrsführung und Räucherstäbchen: die Bergmannstraße in Kreuzberg
Ledergeschäfte mit DYI-Appeal, Goa-Läden mit Samtfummeln im Sale, Räucherstäbchen und indischem Dekotrödel, Postkartenshops und gefühlt 50 asiatische Restaurants teilen sich rund 200 Meter einer der beliebtesten Straßen der Stadt: Willkommen auf der Kreuzberger Bergmannstraße, wo sich im Konsumangebot seit 1978 wenig getan hat.

Man kann das schön nostalgisch finden und diese Art von Alternativfolklore mit warmen Gefühlen und Erinnerungen an ein Kreuzberg in Verbindung bringen, das so seit mindestens 30 Jahren nicht mehr existiert. Man kann es aber auch altbacken und verzopft finden, dass eine zentrale Einkaufsmeile den Sprung ins neue Jahrtausend nur sehr widerwillig schafft.
Sicherlich ist die Bergmannstraße eine schöne Straße. Es gibt ein paar ordentliche Restaurants wie Umami und den immer vollen Klassiker Pagode Thai Kitchen, aber dazwischen ballt sich eine unausgegorene Mischung aus Ollem und Neuem, Einzelhandel, Ärztezentren und Supermärkten. Der Ton in den alteingesessenen Läden wie dem Buchantiquariat ist unfreundlich, und in manchen Geschäften hält man Kartenzahlung immer noch für Zukunftsmusik. Das Ganze könnte vielleicht ganz charmant sein, doch die von einem offenbar Besoffenen konzipierte Verkehrsführung gibt der Bergmannstraße den Rest: Radfahrer, Autos und Fußgänger liefern sich eine irre Dauerfehde um Vorfahrt und Rücksicht und rauben der Bergmannstraße zwischen Mehringdamm und Zossener Straße so das letzte bisschen Flair. Marcus Weingärtner
Feiern statt shoppen: die Friedrichstraße in Mitte
Der verkehrsberuhigte Abschnitt der Friedrichstraße wird nicht nur viel auf- und ab geradelt, sondern auch rauf und runter diskutiert. Die Sperrung für Autos zwischen Leipziger Straße und Unter den Linden symbolisierte für viele Berliner das endgültige Ende eines Boulevards, der es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr geschafft hatte, seine Lebendigkeit zurückzugewinnen und ein freudvoller Ort des Bummelns und Begängnisses zu werden. Die Fahrradfahrer indes wurden mit dem wohl mondänsten Radweg der Stadt beglückt. Doch kaum einer von ihnen stoppte je seinen rasanten Pedalenritt, stieg vom robusten Stadtbike ab und erwarb eine Tasche von Gucci oder eine Stange Nespresso-Kapseln am Wegesrand. So haben auch die Boutiquen dieser Marken hier inzwischen geschlossen, nach den vielen anderen, die schon vor der Pandemie aufgaben.

Die postcoronöse Wiederbelebung des Einzelhandels läuft zugegeben auch anderswo nicht besonders fluffig, aber eine derart deprimierende Stimmung wie hier in der Friedrichstraße fühlt man sonst nur in Brandenburger Dörfern, wo gerade der letzte Tante-Emma-Laden dichtgemacht hat. Die Friedrichstraße wird in absehbarer Zukunft keine prachtvolle Shoppingmeile werden, vergessen Sie es endlich und denken Sie um. Mit Blick auf das, was funktioniert, hat die Straße nur eine Chance: Sie muss wieder zur Vergnügungsmeile werden, wie in den Zwanziger Jahren.
Heute befinden sich um die Friedrichstraße herum viele der angesagtesten Restaurants der Stadt: das Nobelhart & Schmutzig, das Bocca di Bacco oder das Crackers und nicht zuletzt die zwei hippen Promi-Lokale Borchardt und Grill Royal. Was wäre, wenn es davon noch einige mehr geben würde? Dazu Cafés, Cocktailbars und kleine Clubs, die ebenso in die leeren Ladenlokale des Einzelhandels einziehen könnten. Und endlich hätte Berlin mal wieder so eine richtige Feiermeile wie andere Metropolen auch.
Auch die Anwohner würde es nicht stören, denn sie leben in Penthäusern und sind nur selten da. Auf den unteren Etagen befinden sich Büros und Arztpraxen, die am Abend leer stehen. Und die jüngste Idee, hier eine Straßenbahn durchfahren zu lassen, käme der Sache ebenfalls entgegen. Die Hotels ringsrum würden selbstredend ebenfalls profitieren.
Einzig eine gang bestimnte Einkaufseinrichtung darf unter dem Feierkonzept nicht leiden und muss unbedingt erhalten werden, notfalls mit Spenden: das Lafayette. Es ist das schönste Kaufhaus der Stadt, nicht zu groß und nicht zu klein – und mit einer Prise französischem laissez faire, das perfekt zum neuen Berlin passt. Das spürt man vor allem in der hauseigenen Bar, in der man nach der Arbeit zu Käseplatte und Wein das Weltgeschehen diskutieren kann. Auch mit den französischen Angestellten, die hier schon seit Ewigkeiten arbeiten – und das hoffentlich auch noch viel länger tun werden. Sabine Röthig

Wo immer Sonntag ist: auf dem Kurfürstendamm in Charlottenburg
Der Kurfürstendamm ist sicherlich eine der bekanntesten Einkaufsstraßen Deutschlands, wenn nicht gar die bekannteste, obwohl die Münchener Maximilianstraße wesentlich schöner ist. Nach einer Zeit des Darbens in den 2000er-Jahren fand der Boulevard Kurfürstendamm zu neuer Größe und frischem Glanz. Dies lag nicht zuletzt am langsamen Sterben der Friedrichstraße und der Abwanderung der großen Marken und Labels aus Mitte zurück nach Charlottenburg-Wilmersdorf. Von einer Renaissance des Ku’damms war die Rede, plötzlich war der Boulevard wieder hip. Aber warum eigentlich?

Ist der Ku’damm kurz nach seinem Anschluss an die Tauentzienstraße noch recht belebt und quirlig, so beginnt die Langeweile kurz danach. In die Räume des ehemals legendären Café Kranzler ist eine asiatische Billigmodenkette eingezogen. Danach wird’s zwar hochwertiger und teurer, aber keineswegs spannender. Die global immergleichen Luxusmarken wechseln sich ab mit mittelpreisigen Restaurants und irgendwie aus der Zeit gefallenen Coffee-to-go-Ketten.

Dazwischen Zahnarztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien, und bis man dann auf der Höhe des Olivaer Platzes angelangt ist, ist man schon so angeödet, dass man sich die Zeiten zurückwünscht, als wenigstens der Bahnhof Zoo noch ein heißes Pflaster war.
Auf dem Ku’damm fühlt sich irgendwie jeder Tag wie ein Sonntag in Westdeutschland an: gepflegte Langeweile beim Schaufensterbummel zwischen Kaffee mit der Oma und Abendessen. Die Zeit scheint stillzustehen. Man erwartet immer, dass Harald Juhnke oder Günter Pfitzmann um die Ecke biegen, Stößchen mit Prosecco und so. Aber das kann ja auch ganz angenehm sein, die sedierende Atmosphäre tut mal ganz gut in diesen schlimmen Zeiten. Sollten Sie sich also aus irgendwelchen Gründen dringend beruhigen müssen, so bummeln Sie einfach über den Ku’damm. Da verfliegt sicherlich jede Aufregung. Marcus Weingärtner
Turmstraße: nichts, was es nicht überall gibt
Alle Wege mögen nach Rom führen – nach Moabit führt nur die U9. Also kennen Berlinerinnen und Berliner aus den restlichen Bezirken Moabit vor allem als Verkehrsknotenpunkt rund um die Turmstraße. „Moabit?“, fragen sie, „da kenn’ ich nur die Turmstraße.“ Und den Knast natürlich. Nun gibt’s ja auch andere Stadtteile und Bezirke, die vor allem mit ein, zwei, drei Straßen in Verbindung gebracht werden. Dass aber Moabit in diesem Spiel ausgerechnet die Turmstraße abbekommen hat, dieses bräsig-graue, freud- und kurvenlose Stück Berlin, ist einfach nicht fair.

Denn die Turmstraße ist nichts als Berliner Einkaufsstraßen-Durchschnitt: Handyläden, Reno-Läden, eine Wonder-Waffel-Filiale. Zwischen all den Billig-Handyhüllen und Billigschuhen reckt sich immerhin noch das hübsch renovierte Schultheiss-Quartier empor – aber was gibt’s in der zur Shoppingmall umfunktionierten ehemaligen Brauerei? Genau: H&M, Woolworth, New Yorker. Und die Wonder Waffeln immerhin. Kurz gesagt: Auf der Turmstraße ist nichts zu finden, was es nicht auch auf so ziemlich jeder anderen Berliner Einkaufsstraße gibt.
Wenigstens ist der eine Teil des Kleinen Tiergartens, der an die Turmstraße grenzt, ganz hübsch – der mit dem großzügigen Spielplatz und dem Café, natürlich. Im anderen Teil wird indes den ganzen schönen Tag hindurch wildgepinkelt und mit leeren Sterni-Flaschen nach arglosen Passantinnen und Passanten geworfen. Zumindest manchmal. Und das soll Moabit sein? Kein Wunder, dass hier niemand hinkommt – außer, um an der Turmstraße von der U9 in einen Bus umzusteigen, vielleicht. Dabei schneidet sich diese dunkle Einkaufsmeile durch einen Bezirk, der eigentlich ganz nett ist.



