Stiftung Exilmuseum

Herta Müller: Deutschland soll sich fürs Exil verantwortlich zeigen

Die Werkstatt Exilmuseum in der Fasanenstraße in Charlottenburg lädt ab jetzt langjährige und neue Bewohner dieser Stadt zum Mitgestalten ein.

Herta Müller und Joachim Gauck bei der Vorstellung der Werkstatt Exilmuseum.
Herta Müller und Joachim Gauck bei der Vorstellung der Werkstatt Exilmuseum.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Es ist nicht das Exilmuseum selbst, das an diesem Wochenende eröffnet wird, es ist so etwas wie eine Ballung seiner Keimzellen. Die sollen sich in den kommenden Monaten und Jahren kräftig vermehren. Werkstatt Exilmuseum heißt der Ort für dieses Wachstum an der Fasanenstraße in Charlottenburg, direkt neben dem Literaturhaus. Ein Labor gibt es dort zum Beispiel, als Ort, um mit Materialien etwas auszuprobieren. Ein kleines Filmstudio steht bereit, um Gespräche aufzunehmen und abzuspielen, eine Fotowand, zwei unterschiedlich große Räume, in denen Gruppen sich treffen können und beraten.

„Das Exilmuseum entsteht aus bürgerschaftlichem Engagement“, heißt es auf der Website, was den bisherigen Prozess beschreibt, da es aus privater Initiative angeregt und bis jetzt finanziert worden ist. Bürgerschaftlich soll es weitergehen, demokratisch. Und wenn aus der Politik eines Tages Geld dazu kommt, werden die derzeit in der Stiftung Engagierten das sehr begrüßen.

Unter Schirmherrschaft von Herta Müller und Joachim Gauck

„Es wäre durchaus richtig, wenn die Bundesrepublik Deutschland als Nachfolgerin des nationalsozialistischen Staates sich verantwortlich zeigt“, sagt Herta Müller. Die Literaturnobelpreisträgerin hat zusammen mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen. Sie beide sowie der frühere Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz als Vorsitzender der Stiftung Exilmuseum und die Kuratorin Cornelia Vossen stellten am Donnerstagmittag das Werkstatt-Haus vor.

„Wenn Sie es vorher gesehen hätten“, sagte Schmitz immer wieder begeistert über die Veränderung der Villa, während Cornelia Vossen die Räume erklärt. Vorher konnte man sie auch sehen, denn die Villa war ja öffentlich zugänglich;  hier residierte bis Sommer 2022 das Käthe-Kollwitz-Museum. Nun zieht sich ein kräftiges Blau durchs Treppenhaus und kehrt in Elementen der Räume wieder. Vieles wirkt nicht unfertig im Sinne einer Baustelle, sondern veränderbar, bereit für Ergänzungen, etwa wenn Fotos und Texte an Schienensystemen angebracht sind.

Die zeigen die Weite des Themas: Zwar gilt die Ursprungsidee des Museums den rund 500.000 Menschen, die wegen ihrer Religion oder politischen Einstellung seit dem Machtantritt der Nazis 1933 aus dem Land getrieben wurden, doch sollen die Flüchtenden der Gegenwart auch Platz im Museum finden. Die Ähnlichkeit der Sorgen, Ängste, Bedrohung springt einem aus manchen Zitaten ins Auge, etwa wenn Sätze von Anna Seghers (im Exil ab 1933) und Ilija Trojanow (im Exil ab 1971) so kombiniert sind, als würden sie einander antworten.

Aus Deutschland ins Exil gegangene und nach Deutschland gekommene Menschen vereint diese Wand mit Porträts, zum Beispiel von Stefan Heym (2.v.l. oben).
Aus Deutschland ins Exil gegangene und nach Deutschland gekommene Menschen vereint diese Wand mit Porträts, zum Beispiel von Stefan Heym (2.v.l. oben).Markus Wächter/Berliner Zeitung

Das Museum wird, wir berichteten, am Anhalter Bahnhof in einem Neubau seinen Platz finden. Es war dieser Bahnhof, auf dessen Bahnsteigen Tausende Menschen, die vor Haft oder Tod in Deutschland flohen, zum letzten Mal heimatlichen Boden unter den Füßen hatten. Das Ergebnis des internationalen Architekturwettbewerbs steht fest, der Gewinnerentwurf der Architektin Dorte Mandrup schwingt sich um die Portalruine des Bahnhofs. Der Fußballplatz dahinter wird nicht angetastet. Die Eröffnung ist für 2026 geplant.

Wie es aber gefüllt wird, welche Objekte auf rund 3500 Quadratmetern Nutzfläche ausgestellt werden, welche Geschichten wie erzählt werden, das ist noch nicht festgelegt. Einmal in der Woche ist die Werkstatt frei zugänglich (donnerstags zwischen 15 und 18 Uhr), außerdem vor den ab diesem Wochenende bald regelmäßig stattfindenden Abendveranstaltungen, und sie kann für Begegnungen etwa von beruflichen Teams oder Schulklassen zum Thema Exil gebucht werden.

Ein offener Brief an Angela Merkel

Herta Müller ist es sehr wichtig, den Inhalt des Wortes Exil zu zeigen. Sie erzählt, wie sie, als sie Ende der 1980er-Jahre aus Rumnänien in die Bundesrepublik ausreisen konnte, dessen Verharmlosung erfuhr. „Restaurants hießen so, Möbelläden, man schrieb es auf Taschen, weil es einen schönen Klang hat. Doch eine Flucht ist ein Nullpunkt. Jeder, der in ein anderes Land kommt, ist entmündigt durch die Umstände, ist angewiesen auf Hilfe, auf Wohnraum, auf Übersetzungen“, so Herta Müller eindringlich.

Ein Modell des Neubaus
Ein Modell des NeubausMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Auf ihre Initiative geht das Museumsprojekt zurück. Nachdem bereits die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft und das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland für ein Zentrum der Exil-Literatur geworben hatten, wandte sich Herta Müller im Juni 2011 mit einem offenen Brief an die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie bat, sich einzusetzen, „um in Deutschland auch einen Ort möglich zu machen, in dem an die Erfahrungen des Exils, an die erste Vertreibung, würdig gedacht werden kann“. Nicht die Kanzlerin, sondern Bürger wie der kürzlich verstorbene Christoph Stölzl, begannen schließlich, Interessenten und Geld zu suchen.

Joachim Gauck erzählt bei dem Pressetermin am Donnerstag, dass er selbst, 1940 geboren, lange gebraucht habe, um zu verstehen, wie viele Schriftsteller, die man selbstverständlich zur deutschen Literatur zählt, aus Deutschland vertrieben worden sind: „Hermann Hesse, Thomas Mann, Kurt Tucholsky – die standen bei meinen Eltern im Bücherregal. Sie haben mir nicht erzählt, was mit den Autoren passiert ist.“ Später aber spürte er, wie West-Emigranten wie Peter Huchel oder Sarah Kirsch den Lesern in der DDR fehlten. Gauck nennt sich, um sein Engagement zu erklären, ein „gebranntes Kind zweier Diktaturen“.

Publikumswochenende 25. und 26. März: Ab 14 Uhr stündlich Führungen, 17 Uhr Theater-Performance „Stories from Exile“, Sa 19 Uhr Filmvorführung und Gespräch „Der Staat gegen Fritz Bauer“, So 19 Uhr Lesung und Gespräch mit Ilija Trojanow. Fasanenstr. 24