Karfreitag in Berlin

Karfreitag in Berlin-Neukölln: Nach den Silvesterkrawallen Suche nach Versöhnung

An Silvester eskalierte es in Neukölln. An Karfreitag sucht dort eine Gruppe von Christen Versöhnung. Und findet sie bedingt.

Der Umzug für die Versöhnung am Karfreitag in Berlin-Neukölln
Der Umzug für die Versöhnung am Karfreitag in Berlin-NeuköllnEmmanuele Contini

Bei Lilli am Hermannplatz gibt es einen kleinen Kaffee für 2 Euro, aber auch Bananenbrot. Aus den Boxen schallt Deutsch-Rap an Karfreitag, so laut, dass man kaum sein eigenes Wort versteht. Lilli steht hier fast jeden Tag mit ihrem Stand, bei Wind und Regen und auch an diesem sogenannten stillen Feiertag, an dem es in Berlin weitaus ruhiger als sonst zugeht, weil die Christen an die Kreuzigung von Jesus erinnern.

Die 36-Jährige lächelt, als sie sagt: „Das ist der Hermannplatz, das ist Neukölln. Hier treffen alle Kulturen aufeinander, es ist bunt und laut, oft kriminell – und manchmal eskaliert es.“ Sie meint auch die Silvesterausschreitungen, als Kids aus Neukölln Krawall machten. „Die sind unvergessen“, sagt sie: „Doch vorbei ist es nicht, der Groll der Jugendlichen auf Gott und die Welt ist nach wie vor da.“

Die Silvesterkrawalle, auch an Karfreitag sind sie noch immer ein Thema. Und so hat sich keine fünf Meter von Lilli und ihrem Kiosk entfernt am Vormittag eine Gruppe von etwa 30 Männern und Frauen zusammengefunden. Sie stehen vor der mit Graffiti besprühten Säule, auf der die Statue „das Tanzende Paar“ golden in den Himmel ragt. Die hauptsächlich jungen Menschen wirken anfangs etwas verloren auf dem Platz mit ihren noch eingerollten Plakaten, Fahnen und Lautsprechern. Sie sind flankiert von einigen Polizisten, die sich auf einen halbwegs ruhigen Dienst einstellen.

Die Beamten sind mit fünf Wagen vorgefahren, um die kleine Menschenmenge an diesem Tag durch Neukölln zu begleiten. Es ist eine von wenigen Versammlungen an Karfreitag, angekündigt mit diesen Satz: „Nach den Silvesterausschreitungen in Neukölln stehen wir zum Karfreitag für Versöhnung und Vergebung im Kontext des christlichen Glaubens ein.“

Die Teilnehmer tragen Holzkreuze über die Sonnenallee

Die Teilnehmer wollen in dem Multikulti-Bezirk Neukölln wie in Jerusalem den Kreuzweg nachgehen – sie tragen Holzkreuze, um die Leiden Jesu besser nachempfinden zu können. Ihre Route geht an jenem Freitag vorbei am Rathaus Neukölln bis zum Tempelhofer Feld, begleitet von Gospelgesang und Gebet. Und der Mahnung, dass solche Ausschreitungen wie an Silvester nicht mehr passieren dürfen.

Eine von den Teilnehmerinnen ist Olga Baumbach. 51 ist sie und lebt in Rudow. Beseelt blickt sie in die Runde, sagt: „Wir brauchen in Zeiten wie diesen Lösungen.“ Niemand habe die, auch nicht die Politik. Doch der Glaube an Gott sei der Weg, betont sie. Vor und neben ihr sammeln sich weitere Teilnehmer, inzwischen sind es an die 50. Auch sie leben in Berlin, engagieren sich in der evangelischen Kirche, aber haben ihre Wurzeln überall – in Afrika oder dem Iran. Sie halten Transparente, auf denen Sätze stehen wie „Hass verdunkelt das Leben, Liebe erleuchtet es“. Aber auch die deutsche, berlinische und israelische Flagge tragen sie bei sich.

Pastor Joshua Lupemba organisierte den Kreuzweg.
Pastor Joshua Lupemba organisierte den Kreuzweg.Emmanuele Contini

Pastor Joshua Lupemba (36) ist einer der Organisatoren vom „HopeCenter“, einer Gemeinde für Kiez-Kids. Er ist Jahrgang 1987, in Berlin geboren, seine Eltern stammen aus Ghana und dem Kongo. Als Jugendlicher wich er keiner Schlägerei aus, machte einmal die Bekanntschaft des Jugendrichters, sagt er.

Doch dann entdeckte er seinen Glauben. Er wurde Pastor, gründete 2010 gemeinsam mit Freunden den Verein „Typisch Deutsch“ und war Vorstandsmitglied von „Gemeinsam für Berlin“. Er gehörte außerdem bis vor kurzem zum Leitungskreis von „Berlin United“ – ein berlinweites, überkonfessionell multiethnisches, christliches Jugendnetzwerk.

„Mein Herz schlägt für die sozial Schwachen, für die Bildungsfernen“, erklärt Lupemba. Er wolle Menschen Hoffnungen und Perspektiven geben. Aus diesem Grund seien er und seine Glaubensbrüder und -schwestern an diesem Tag auch in Neukölln. Dass das Zusammenleben im Bezirk gestärkt wird, gerade nach den Silvesterkrawallen. Und das dürfe nicht nur ein frommer Wunsch bleiben, sagt der Pastor.

Olga Baumbach, 51, während des Umzugs für die Versöhnung am Karfreitag
Olga Baumbach, 51, während des Umzugs für die Versöhnung am KarfreitagEmmanuele Contini

Er sei in jener Nacht im Gottesdienst gewesen, als es in Neukölln die Ausschreitungen gab, erzählt Lupemba. Als in der Sonnenallee und Gropiusstadt Autos und Busse brannten, Jugendliche Polizei und Feuerwehr angriffen, habe er eine Predigt gehalten.

Ihn erschütterte der Vorfall. Er will seitdem, dass mehr nach den Ursachen gefragt wird. Aber auch, dass Neukölln nicht als rechtsfreier Raum dasteht, sondern die Täter strafrechtliche Konsequenzen erleiden. Leidvoll habe er auch feststellen müssen, dass Deutschland nach den Krawallen einen Rückschritt erlitt, sich die Sprache änderte. „Plötzlich haben alle wieder von den Ausländern geredet“, sagt er und holt den Lautsprecher, den er gleich hinter sich herziehen wird.

Er redet weiter: „Wir wollen daher als Bürger unsere Stimme erheben“, sagt er. Kinder und Jugendliche, vor allem aus sozialen Brennpunkten, müssten besser integriert werden, dürften sich nicht ausgegrenzt fühlen. An diesem Karfreitag wollten er und seine Mitdemonstranten sich daher mit den verschiedenen Kulturen versöhnen. Es sei doch wunderbar, dass in Berlin alle Kulturen leben könnten, sagt der Pastor. Man müsse nur nach gemeinsamen Werten suchen. Und es dürfe kein Problem sein, mit einer israelischen Flagge oder einer palästinischen durch den Kiez zu laufen. Daher sei es ein Marsch gegen Rassismus, Antisemitismus und für die Glaubensfreiheit.

Umzug für die Versöhnung an Karfreitag in Neukölln
Umzug für die Versöhnung an Karfreitag in NeuköllnEmmanuele Contini

Der Tross setzt sich in Bewegung. Es geht die Sonnenallee runter, die ziemlich belebt ist. Trotz des Feiertages ist ein Handyladen geöffnet, aber auch arabische Imbisse und Konditoreien. Es duftet nach orientalischem Gebäck, in den Schaufenstern stehen rot und blau gefärbte Torten mit reichlich Verzierung. Die Muslime, die hinter den Tresen stehen, lassen die inzwischen singende Menschengruppe ziemlich wortkarg passieren. Sie befinden sich im Ramadan. Einer sagt: „Lass sie demonstrieren, Hauptsache wir leben in Frieden.“

Das Zusammenleben funktioniere trotz der vielen Kulturen, schwört ein Mann. Eine junge Frau mischt sich ein: „Doch wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Gewalt und Kriminalität gewachsen ist, und das stetig seit 20 Jahren.“ Die Silvesterkrawalle seien nur einer der Höhepunkte gewesen. Daher sei es richtig, Zeichen zu setzen – und zeigt auf die Demonstranten.

Doch es gibt auch Ärger. Arabische Jugendliche laufen an der Sonnenallee neben der Gruppe her und halten demonstrativ die palästinensische Flagge hoch. Einer der Jungs sagt: „Wir fühlen uns provoziert, wenn wir die israelische Flagge sehen.“ Als einige der Demonstranten sie bitten, mit ihnen gemeinsam weiterzuziehen und für den Frieden zu beten, weigern sie sich. Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, jüngst zudem die Raketenangriffe auf den Gazastreifen überschatten auch die Karfreitagsfeierlichkeiten in Berlin.

Es war alles friedlich und alle waren happy.

Pastor Joshua Lupemba

Am frühen Nachmittag ist die Prozession vorbei. Die Teilnehmer haben mehrfach angehalten, gebetet, auch für die neue große Koalition in Berlin. „Es war alles friedlich und alle waren happy“, sagt der Pastor nachher. Man habe in erster Linie gute Gespräche geführt, völker- und religionsübergreifend, versichert er. Manche Passanten seien geschockt gewesen, aber alle seien friedlich geblieben. Er fügt hinzu: „Der Dialog muss stattfinden und das wollten wir bewirken. Wir sind dafür, dass jeder Mensch und jede Gesellschaftsgruppe ein Daseinsrecht im Bezirk hat.“ Der Kreuzweg sei ein Anfang gewesen.

Bei Lilli am Hermannplatz haben sich nach dem Kreuzweg der Evangelen inzwischen neue christliche Demonstranten neben ihrem Kaffeestand versammelt, sie bauen ein Zelt auf. Auch sie wollen ihre Botschaft der Versöhnung weitertragen, diesmal neben Deutsch auf Arabisch und Türkisch. Sie bleiben die Osterfeiertage. Lilli zweifelt daran, dass viele der Botschaften ankommen. „Viele Nationalitäten leben doch unter sich, viele grenzen sich ab“, sagt sie. „Und auch die Gewalt nimmt zu.“ Am Tag zuvor gab es noch eine Massenschlägerei ganz in der Nähe. Einige der Täter hatten Macheten. Es gab drei Verletzte.