Stadtleben

Zwischen Jubel und Buhrufen: Straßenumbenennung in Wedding

Zwei neue Straßennamen, zwei Botschafter, ein König, der dann doch keine Rede hielt, und Randale – wie die Straßenumbenennungen im afrikanischen Viertel liefen.

Ein Zeichen der Dekolonialisierung: Stefanie Remlinger (rechts) empfängt den König der Duala (2. v. l.) am neu benannten Manga-Bell-Platz.
Ein Zeichen der Dekolonialisierung: Stefanie Remlinger (rechts) empfängt den König der Duala (2. v. l.) am neu benannten Manga-Bell-Platz.Emmanuele Contini

Um das verhüllte Straßenschild hat sich bereits vor Beginn der Umbenennung eine beachtliche Menschentraube gebildet. Etliche Journalistinnen und noch mehr Fotografen sind vor Ort, die Mühe haben, ihre Kameras so zu platzieren, dass auf ihren Fotos und Videos auch mehr zu sehen ist als die Dutzenden Köpfe der Zuschauer, die vor ihren Linsen stehen. Denn neben Presse und geladenen Gästen sind auch etliche Interessierte und Freunde gekommen, Gegner bleiben zunächst unbemerkt und weiter weg. Auf der anderen Seite des Platzes kann man lesen, wie dieser bis gerade eben noch hieß: Nachtigalplatz steht noch schwarz auf weiß geschrieben, allerdings durchgestrichen mit einem breiten roten Streifen.

Seit diesem Freitagmorgen um 11 Uhr trägt der Platz den Namen Manga-Bell-Platz, und ist somit nicht mehr nach Gustav Nachtigal benannt, einem deutschen Vorreiter des Kolonialismus, sondern ausgerechnet nach seinen Widersachern – dem Königspaar Emily und Rudolf Manga Bell. Als Ende des 19. Jahrhunderts die deutschen Kolonialmächte Kamerun besetzten, vertrieben sie das Volk der Duala aus ihren rechtmäßigen Gebieten und regierten mit Zwangsarbeit und Todesstrafe. Rudolf Manga Bell, der damals regierende König, wurde Anführer des Widerstandes gegen die deutsche Kolonialisierung und 1914 dafür hingerichtet.

Die Bezirksbürgermeisterin von Mitte, Stefanie Remlinger (Grüne), kommt 20 Minuten zu spät, heißt es. Probleme mit dem ÖPNV, jetzt säße sie aber im Taxi. Die beiden Botschafter aus Namibia und Kamerun, der König der Duala sowie der Großneffe von Rudolf Manga Bell sind schon da. Trotz der kalten Temperaturen, die nicht zum Draußen-Verweilen einladen, gesellen sich immer mehr Menschen dazu. Alle stehen und warten. Dann kommt Stefanie Remlinger und die Umbenennung kann offiziell beginnen. Eingeleitet wird sie mit der Hymne „Tet’Ekombo“, die zu Ehren Manga Bells komponiert wurde und übersetzt so viel heißt wie „Vater des Volkes“.

Seit Jahren fordern Initiativen die Umbenennung blutbefleckter und diskriminierender Straßennamen, seit Jahren gibt es viel Diskussion. Anwohner, die nicht einverstanden sind, oder 190 Namensvorschläge, über die die Jury entscheiden muss, machen die Namensänderungen zu einem langen Prozess. Umso zufriedener sieht Stefanie Remlinger aus, dass es für zwei Straßen im afrikanischen Viertel heute so weit ist. Neben des Manga-Bell-Platzes trägt die ehemalige Lüderitzstraße nun den Namen Cornelius-Fredericks-Straße. Der neue Namensgeber kämpfte im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, gegen die Kolonialmächte und wurde im deutschen Konzentrationslager Lüderitz inhaftiert. Seine Geschichte wird am heutigen Tage von Isreal Kaunatijke, einem Herero-Aktivisten, erzählt.

Die Feier ließen sie sich nicht verderben

Nach der Begrüßungsrede von Stefanie Remlinger, in der sie betont, dass Deutschland zu lange seine Vergangenheit als Kolonialmacht verharmloste, Kolonialverbrechen kleinredete und Aufarbeitung eine gemeinsame Bildungsaufgabe sei, zog sie gemeinsam mit dem kamerunischen Botschafter S. E. Victor Ndocki und König Eboumbou den Banner vom Straßenschild. Jubel bricht aus, und die anwesenden Duala vollziehen eine rituelle Einweihung des Schildes.

Emily und Rudolf Douala Manga Bell, Königspaars der Duala, kämpften gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Kamerun.
Emily und Rudolf Douala Manga Bell, Königspaars der Duala, kämpften gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Kamerun.AFP

Von der gegenüberliegenden Straße sind plötzlich Buhrufe zu hören. Zwei Männer stehen dort und sind mit der Umbenennung nicht einverstanden. „Pfui!“, ruft der eine Frau. Ein paar der Zuschauer fordern die beiden verärgert auf, das Weite zu suchen, doch sie entgegnen nur: „Wir bleiben genau hier!“ Die Stimmung wird hitziger, die Polizeikräfte, die mit vor Ort sind, stellen sich zu den Unruhestiftern. Was eine Frau im Publikum dann sagt, scheint als Machtwort die Störung zu beenden: Sie zeigt in Richtung des Schildes, weg von den Buhrufen, erinnert, worum es geht. „Leute, wir feiern!“ Zustimmend drehen sich alle wieder um.

Die Polizei war vor Ort und wurde auch gebraucht: Am Rande der Veranstaltung kam es zu verbalen Auseinandersetzungen.
Die Polizei war vor Ort und wurde auch gebraucht: Am Rande der Veranstaltung kam es zu verbalen Auseinandersetzungen.Emmanuele Contini

Aber die schlechte Stimmung hat durchaus einen Hintergrund. Zum einen fühlen sich Anwohner und sogar Mitglieder der afrikanischen Gemeinde Berlins nicht gehört. Das Verfahren zur Vergabe der Namen sei intransparent gewesen und jetzt seien letztlich solche ausgesucht worden, die ein Stück Kolonialismus in sich tragen: Die Namen Fredericks und Manga waren Ideen von Kolonialherren in der damaligen Zeit. Initiativen, die alternative Vorschläge hatten, so die Kritik, wurden nicht ausreichend angehört.

Doch die beiden Männer am Manga-Bell-Platz, die bis zum Ende dort blieben und finster blickten, sind nicht die Einzigen, die ihrem Unmut freien Lauf ließen. Unbekannte beschädigten eine öffentlich zugängliche Toilette des Bezirksamts Mitte, stopften eine Europafahne ins Klo und beschmierten die Fliesen. „Gebt uns Lüderitz und Nachtigal zurück“, steht dort nun geschrieben. Die Aufstände untermauern Remlingers Worte: „Wir können nicht bei der Umbenennung von Straßen stehen bleiben, denn die kolonialen Strukturen haben auch Spuren in unserem Denken hinterlassen.“

Es konnte gefeiert werden – im Schatten ist trotzdem die dunkle Vergangenheit

Um für Aufklärung zu sorgen und sich zu erinnern, sind mehrere Reden eingeplant. Die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo trägt ein Gedicht „Das Erinnern“ vor, es wird gesungen und Jean-Pierre Felix Eyoume, der Großneffe Manga Bells, spricht über das Königspaar Rudolf und Emily. „Heute ist ein großer Tag für meine Familie“, sagt er, „heute ist ein großer Tag für alle Menschen, die sich für Versöhnung, Frieden und Völkerverständigung einsetzen.“ Auch König Eboumbou soll eine Rede halten, verzichtet aber wegen vorangeschrittener Zeit – und womöglich auch wegen des eisigen Wetters – auf seine Ansprache. Er stimme allem zu, was bisher gesagt wurde.

Das noch gehüllte Strassenschid vor der Unbenennung von Nachtigalplatz zu Manga-Bell-Platz im Afrikanischen Viertel in Berlin am 2. Dezember 2022. 
Das noch gehüllte Strassenschid vor der Unbenennung von Nachtigalplatz zu Manga-Bell-Platz im Afrikanischen Viertel in Berlin am 2. Dezember 2022. Emmanuele Contini

Im Publikum steht Kang Sunkoo, ein Künstler, der schon vor der Umbenennung auf dem Nachtigalplatz dafür sorgte, dass sich an die deutsche Kolonialzeit zurückerinnert wird: Seine Skulptur „Statue of Limitations“ steht seit Anfang des Jahres auf dem Platz. „Ich freue mich, dass die Umbenennung hier nun stattgefunden hat“, sagt er der Berliner Zeitung, „aber es betrübt mich auch, dass die Petersallee immer noch so heißt.“ Die Petersallee ist die dritte Straße im afrikanischen Viertel, über die eine Debatte zur Namensänderung geführt wird. Allerdings legte ein Einwand eines einzigen Anwohners das Verfahren auf Eis.

Israel Kaunatijke, ein Herero-Aktivist, steht unter dem nagelneuen Cornelius-Fredericks-Schild. Er sagt: „Carl Peters war der Brutalste von allen.“ Die umstehenden Menschen hören ihm zu, wie er von der deutschen Kolonialgeschichte erzählt, die vielen nicht bekannt ist. Adolf Lüderitz, der Namensgeber der ehemaligen Lüderitzstraße, war großteilig an der deutschen Ausbeutung des damaligen Südwestafrika beteiligt, in dem die Deutschen Konzentrationslager errichtet hatten. „Viele wissen gar nicht, dass es noch andere Konzentrationslager schon früher als die der Nationalsozialisten gab“, sagt Kaunatijke.

In einem dieser starb Cornelius Fredericks. „Er wurde geköpft, und sein Kopf wurde nach Deutschland für die rassistische Wissenschaft geschickt“, sagt Kaunatijke. Er erzählt noch weitere, blutige und grausame Details über die deutschen Kolonialverbrechen in Namibia. Wie zur Entschuldigung der drastischen Schilderungen sagt er: „Ich muss leider erzählen, wie brutal es war, wir müssen es wissen.“ Trotzdem soll dieser Tag als ein guter Tag in die Geschichte eingehen, als er sagt: „Meine Damen und Herren, heute ist ein Freudentag!“