Artenschutz

Hunde gegen Wölfe: Die Abwehrtruppe in der Döberitzer Heide

Direkt vor den Toren Berlins will Lisa Querhammer ihre Schafe mit speziellen Hunden vor Angriffen der Raubtiere schützen. Aber das ist gar nicht so leicht.

Schäferin Lisa Querhammer in der Döberitzer Heide mit Mapu und Maja.
Schäferin Lisa Querhammer in der Döberitzer Heide mit Mapu und Maja.Benjamin Pritzkuleit

Sie sind mächtig groß und niedlich zugleich. Sie flößen Respekt ein, obwohl sie ein flauschiges Fell haben. Sie treiben sich in der wilden Natur herum und sind doch schlohweiß. So sehen sie aus, die drei Mitarbeiter von Lisa Querhammer. Mapu, Maja und Inka sind schöne Hunde. Aber es ist nicht ihre Hauptaufgabe, schön zu sein – sie sollen vor allem schön wachsam sein.

Lisa Querhammer ist Schäferin in der Döberitzer Heide. Und dort, in der weiten, kahlen Landschaft direkt vor den westlichen Toren Berlins, hat sich vor einiger Zeit das neueste Wolfsrudel des Landes Brandenburg angesiedelt. Keine anderen Wölfe leben so nah an der Hauptstadt. Die streng geschützten Raubtiere haben im Vorjahr für Schlagzeilen gesorgt, als sie einige der 120 Schafe von Lisa Querhammer angriffen. „Zwei unserer Schafe wurden gerissen, eines wurde verletzt, und drei sind verschwunden“, sagt die 35-Jährige. Deshalb arbeiten Mapu, Maja und Inka für sie. Es sind Herdenschutzhunde. Die beste Abwehr gegen Wölfe.

Die Rückkehr der Wölfe ist in den vergangenen 20 Jahren zu einem Aufreger-Thema geworden, für Schäfer und Landwirte und für viele andere auch. In den Debatten geht es nicht nur um Wölfe, sondern um grundsätzliche Fragen: Was ist uns der Erhalt von streng geschützten Arten wert? Wer soll die Kosten für die Schäden übernehmen, die solche Tiere verursachen, egal, ob es Wölfe sind, Biber oder Kormorane? Und was ist wichtiger – wirtschaftliche Interessen oder die Natur?

Diese Hunde sind keine Befehlsempfänger

Im Fall der Wölfe ist es so, dass die um das Jahr 1850 vom Menschen ausgerotteten Tiere heute weiterhin unter strengem Schutz stehen und dass Landwirte entschädigt werden, wenn die Räuber ihre Nutztiere reißen. Außerdem bekommen die Bauern auch Fördergeld, um ihre Schafe, Ziegen und Kälber zu schützen. Ein entscheidender Faktor im Präventionsprogramm sind Herdenschutzhunde.

Wer auf dem Balkan, in Italien oder Frankreich durch die Berge wandert, kann beobachten, dass dieses tierische Abwehrsystem funktioniert. Seit Ewigkeiten. „Die Hunde werden nicht nur bei Schafen eingesetzt, auch bei Rindern oder Pferden“, erzählt Rebecca Oechslein. Sie arbeitet bei der Heinz-Sielmann-Stiftung, die die riesigen Heideflächen für den Naturschutz gesichert hat. Die 34 Jahre alte Landschaftsökologin ist Spezialistin für Herdenschutzhunde. „In Australien werden solche Hunde sogar erfolgreich in einer Kolonie von Pinguinen eingesetzt.“

Schäferin Lisa Querhammer mit ihren Schafen im Naturschutzgebiet Döberitzer Heide.
Schäferin Lisa Querhammer mit ihren Schafen im Naturschutzgebiet Döberitzer Heide.Benjamin Pritzkuleit

Die Idee klingt schlüssig: Die Hunde leben von klein auf in der Herde und werden so zu einem Teil von ihr. Sobald sich der Herde eine Gefahr nähert, schlagen sie Alarm, bellen. Und vertreiben zum Beispiel Wölfe.

Lisa Querhammer geht an diesem heißen Vormittag zu einem eingezäunten Bereich ganz ohne Schafe. Dort liegt Mapu unter dem Dach einer Hütte, Maja versucht, im spärlichen Schatten von Rosenbüschen etwas Schatten zu finden, und Inka hat sich an einem Holzhaufen eine Höhle gebaut. Als wir uns nähern, schauen die Hunde nur kurz auf und dösen weiter. Kein Alarm, kein Bellen. Was läuft da schief bei den tierischen Bodyguards?

„Nichts“, sagt Rebecca Oechslein und schaut zu Mapu und Maja. „Die Tiere wissen, dass wir keine Gefahr darstellen, weil Lisa dabei ist.“ Als die Schäferin an den Zaun tritt, hebt Mapu den Kopf und schaut sie an.

Diese Hunde sind anders als andere: Wenn Hunde im Sinne der Menschen funktionieren sollen, haben sie meist einen Chef, einen Menschen, der ihnen Befehle gibt. So ist es auch bei den klassischen Hütehunden, die mit Schäfern umherziehen und deren Befehle ausführen. Der Nachteil: Die Schäfer müssen ebenfalls immer vor Ort sein. Herdenschutzhunde sind keine Befehlsempfänger, sondern Partner der Menschen. Sie leben ganz allein in der Herde und entscheiden selbstständig, was zu erledigen ist.

Die Hunde kommunizieren mit den Wölfen

Ein großer Traktor tuckert vorbei, die Hunde schlagen wieder nicht an. Sie kennen sich aus. Sie leben in einem streng geschützten Naturschutzgebiet, es kommen aber auch viele Besucher aus Berlin zur Naturerkundung. Die Hunde haben gelernt, dass Wanderer, Autos und Radfahrer der Herde nicht gefährlich werden.

Mit Tieren kennen sie sich auch aus. Lisa Querhammer sagt: „Die Hunde erkennen, ob ein Geräusch zum Beispiel von einem Hasen kommt. Dann würden sie einfach in der Herde liegen bleiben.“ Und wenn es ein Wolf ist? Dann springt einer der Hunde auf, geht zum Zaun der Koppel und bellt das Raubtier an. Der andere Hund bleibt zurück und sichert die Herde. „Hunde und Wölfe können gut kommunizieren. Die Wölfe würden schnell begreifen, dass die Schafsherde gut bewacht ist, und würden woanders Futter suchen.“

Ihre Herden hat die Schäferin mit teuren Elektro-Zäunen gesichert.
Ihre Herden hat die Schäferin mit teuren Elektro-Zäunen gesichert.Benjamin Pritzkuleit

Und der Tisch in der Döberitzer Heide ist für Räuber reichlich gedeckt. Die 5000 Hektar sind zu zwei Dritteln ein europaweit einmaliges Projekt, in dem die Natur sich selbst überlassen wird und sich möglichst viele wilde Tiere ansiedeln. Und wo es keine Jäger gibt, finden Wölfe viel Futter.

Lisa Querhammer öffnet den Zaun und geht zu Mapu, Maja und Inka. „Die Hunde und ich sind Partner. Und für eine gute Partnerschaft ist es wichtig, in Kontakt zu bleiben.“ Mapu sieht, dass sie einen Eimer Wasser trägt, er verlässt seinen Schattenplatz und geht zu ihr. Aber er trinkt nicht gleich, sondern lässt sich erst mal ausgiebig streicheln. Die Schäferin fährt ihm immer wieder durchs dichte Fell. „Das schafft Vertrauen.“ Nun trinkt Mapu, und dann steigt er mit beiden Vorderfüßen in den Eimer. „Das liebt er bei dieser Hitze ganz besonders.“

Heftige Konkurrenz um jeden Acker

Lisa Querhammer wusste schon als Kind, dass sie mal mit Tieren arbeiten würde. Sie wuchs gleich in der Nachbarschaft auf, ihr Vater ist hier seit 30 Jahren im Naturschutz aktiv, hat mehr als 100 Galloway-Rinder und 60 Wasserbüffel. „Als Kind habe ich bei der Schäferin, quasi bei meiner Vorgängerin, die Flaschenlämmer gefüttert“, erzählt sie. Das sind Jungtiere, die die Muttertiere abgestoßen haben und die dann über Monate mit Milch aus der Flasche gefüttert werden. Später studierte Lisa Querhammer ökologische Agrarwissenschaften.

Seit sechs Jahren gibt es nun ihren Öko-Betrieb, den sie mit ihrem Lebensgefährten betreibt. Eigentlich wollte sie so früh noch nicht anfangen. „Aber die Chance hier konnte ich einfach nicht ausschlagen“, sagt sie. Sie pachtete 90 Hektar Land von der Sielmann-Stiftung und 145 Hektar in der Nähe. Normalerweise sei es heutzutage für junge Landwirte kaum möglich, überhaupt an Land zu kommen. „Die Konkurrenz um die Flächen ist heftig.“ Großinvestoren kaufen riesige Areale. Und die Landwirte, die Mais für die Biogasanlagen anbauen, können eine höhere Pacht zahlen.

Schäfer können kaum noch etwas verdienen. „Wolle verkauft sich nicht mehr“, sagt Lisa Querschläger. Auch beim Fleisch haben es hiesige Schäfer mit ihren dürren Weiden schwer gegen die Konkurrenz aus Neuseeland. Dort sind ist das Gras viel saftiger. Und weil es keine Wölfe gibt, fallen die hohen Kosten für den Herdenschutz weg. Deshalb konzentriert sich Lisa Querhammer voll auf den Naturschutz. „Auf hochwertigen Naturschutz“.

Sie geht ein Stück weiter zu einer Koppel mit Schafen. Die leiden auch unter der Hitze und liegen weit hinten im Schatten der Bäume. Der Erkennungsruf der Schäferin klingt wie ein ganz schnelles „Komma-Komma-Komma“. Die Schafe hören erst mal nichts. Die Schäferin lässt einen Eimer mit Maiskörnern immer wieder auf die Zaunpfeiler krachen. Ein Geräusch, das ein perfektes Lockmittel sein kann. Aber das hören die Tiere nicht, also geht sie zu ihnen.

In der Döberitzer Heide leben auch Wisente und Przewalski-Pferde

Derweil erklärt Rebecca Oechslein, was die Schäferin mit hochwertigem Naturschutz meint. „Sie muss nicht immer zuerst durch die wirtschaftliche Brille schauen, sondern durch die Brille des Naturschutzes.“ Es gehe nicht in erster Linie um Gewinne. Die Schäferin lebt vor allem von dem üblichen Fördergeld der EU und vom Vertragsnaturschutzgeld des Landes, damit sie diese seltene Heidelandschaft erhält.

Heiden sind weite Landschaften, die spärlich bewachsen sind. Es gibt nur einzelne Bäume, keine Wälder. Die Flächen hier sind deshalb so kahl, weil sie seit 1713 Manövergebiet waren. Nicht umsonst heißt die Straße, die von Berlin herführt, Heerstraße. Damit die Soldaten beim Üben des Krieges ein freies Schussfeld hatten, wurde alles, was in die Höhe wächst, regelmäßig weggebrannt. Übrig blieb eine „Offenlandschaft“, die zum Rückzugsgebiet für viele Tiere wurde zwischen der Stadt Berlin auf der einen Seite und den Feldern der Intensivlandwirtschaft.

„Es ist eines der spektakulärsten und schönsten Naturschutzgebiete in ganz Brandenburg“, sagt Rebecca Oechslein. „Hier hat sich eine ganz besondere Artenvielfalt angesiedelt, von der andere Regionen nur träumen können.“ Auch seltene Wisente und die fast ausgestorbenen Przewalski-Pferde wurden ausgesetzt. Wenn die Schafe nicht alles wegfräßen, würden recht schnell Büsche, Bäume und Wälder wachsen.

Mapu und Maja sind inzwischen dreieinhalb Jahre alt. Für sie wird noch ein Vorbild gesucht, ein erfahrener alter Herdenschutzhund.
Mapu und Maja sind inzwischen dreieinhalb Jahre alt. Für sie wird noch ein Vorbild gesucht, ein erfahrener alter Herdenschutzhund.Benjamin Pritzkuleit

Lisa Querhammer kommt zurück, sie sagt, dass die Sache mit den Herdenschutzhunden gar nicht so einfach sei. Denn die Hunde müssen gut ausgebildet sein. Sie erzählt, dass ihre drei Hunde Geschwister sind, dass sie aus einer Familie von erfahrenen Herdenschutzhunden stammen und dass sie sie ganz jung bekommen hat. „Dann sollte noch ein erfahrener älterer Hund dazukommen.“ Aber das habe nicht geklappt.

Und damit konnte das System nicht richtig funktionieren. Anfangs, als Mapu, Maja und Inka noch jung waren, lief alles bestens. Sie passten sehr gut auf ihre Herde auf. „Doch nach dem ersten Lebensjahr kamen sie in die typischen Flegeljahre“, erzählt Lisa Querhammer. Sie verhielten sich wie Halbstarke und probieren vieles aus, was die Schafe irritierte. „Da fehlte dann ein erfahrener alter Hund, der ihnen das richtige Verhalten beibringt“, sagt sie. „Und weil wir nicht wollten, dass sich das falsche Verhalten der Hunde verfestigt, haben wir sie erst mal von der Herde getrennt.“ Aber sie bringen Hunde und Schafe immer wieder zusammen und suchen weiter nach einem alten Hund, einem Vorbild für Mapu, Maja und Inka.

So ein Hund mit Erfahrung kann schon mal 3500 Euro kosten. Und in Brandenburg werden sie besonders gesucht. Ab dem Jahr 2000 wanderten die Wölfe aus Polen nach Sachsen ein und breiteten sich über Brandenburg immer weiter nach Nordwesten aus. Brandenburg ist bundesweit das Wolfsland Nummer eins mit 49 der 157 Rudel. Und da fast überall Wölfe gesichtet wurden außer im Saarland, sind die Hunde überall begehrt. „Wir suchen weiter nach einem passenden Hund“, sagt Lisa Querhammer und steigt ins Auto.

Schäferin Lisa Querhammer kontrolliert, ob Strom auf ihrem Elektro-Zaun ist.
Schäferin Lisa Querhammer kontrolliert, ob Strom auf ihrem Elektro-Zaun ist.Benjamin Pritzkuleit

Nun geht es zur nächsten Weide. Dort zeigt die Schäferin den Schutz einer Herde ohne Hunde. Der aufwendige und teure Elektrozaun ist einen Kilometer lang. Lisa Querhammer holt ein Messgerät aus der Bauchtasche und kontrolliert, ob Strom auf dem Zaun ist. Er könnte beschädigt sein, weil ein Wolf oder ein Wildschwein durchgegangen oder ein Baum draufgefallen ist. Aber: Es ist Strom da.

Querhammer stellt ihn ab und ruft wieder die Schafe. Zwei Dutzend Heidschnucken, mit schwarzem Fell an den Beinen und grauem Fell am Körper. Sie läuft durch die Herde, schaut, ob ein Tier fehlt und möglicherweise gerissen wurde, ob eines verletzt ist oder krank.

Andere Landwirte sind eher für den Abschuss von Wölfen

„Alles in Ordnung“, sagt sie und stellt den Strom wieder an. Der Zaun ist so gebaut, dass er unten noch ein Stück über dem Boden liegt. Wenn Wölfe sich nachts anschleichen, sollen die Stromschläge ihnen frühzeitig zeigen, dass hier kein Durchkommen ist. Andere Landwirte sind eher für den Abschuss von Wölfen, Lisa Querhammer setzt auf friedliche Koexistenz. „Ich hoffe, es funktioniert.“

Dann zeigt sie auf das krautige Gestrüpp am Boden. Noch ist es braungrau. Doch ein ganz zarter Hauch von Rosé ist schon zu erkennen „Die Heide fängt an zu blühen.“ In etwa zwei Wochen wird das Heidekraut die Landschaft bunt färben. Rosa, karminrot und purpur. „Das ist immer wunderschön“, sagt die Schäferin. „Aber dieses Jahr wird es nicht ganz so spektakulär. Wegen der Dürre.“