Dubiose Geschäfte in Sachsen-Anhalt

Ein Bananenhändler aus Ostdeutschland und die Mullahs: Wie Marco K. den Iran unterstützt haben soll

Das kleine Osterburg in Sachsen-Anhalt ist seit kurzem berühmt. Ein Sohn der Stadt macht möglicherweise dubiose Geschäfte mit dem Mullah-Regime. Es geht um Waffen, die Stasi und die Angst einer Mutter.

Der Unternehmer aus Dubai ist in Osterburg geboren und aufgewachsen.
Der Unternehmer aus Dubai ist in Osterburg geboren und aufgewachsen.Stephanie Steinkopf/Ostkreuz

In dieser ostdeutschen Straße hat auf den ersten Blick alles seine Ordnung: Die Hecken sind gestutzt, der Rasen gemäht, das Laub gerecht, das Unkraut gejätet. Es ist ein Novembertag wie jeder andere in einer Wohnsiedlung der Altmark in Sachsen-Anhalt – doch am Ende der stillen Sackgasse von Osterburg wirkt ein einzelnes Haus ungewöhnlich. Das Grundstück liegt da, als sei es verlassen.

Der Vorgarten ist weniger akribisch gepflegt als die meisten in der Nachbarschaft, hinter den Gardinen liegt alles im Dunkeln, und vor der Tür steht noch immer die Halloween-Dekoration. Auf dem Briefkasten findet sich nicht nur der Nachname der Bewohnerin, sondern auch die Aufschrift „EVA Handelsgesellschaft“. In diesem Haus am Stadtrand von Osterburg lebt Ilse K. Und seit gut einer Woche weiß sie: Ihr Sohn führt ein Doppelleben.

Der Junge handelt mit Bananen

Marco K. ist weit mehr als ein gewöhnlicher Kaufmann. Der 50-Jährige ist in Entwicklungen verstrickt, die bis auf die große geopolitische Bühne reichen. Der deutsche Staatsbürger soll nach US-Angaben die Beschaffung von Materialien wie Natriumchlorat, Natriumperchlorat und Sebacinsäure für die iranische Firma Parchin Chemical Industries (PCI) vermittelt haben. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Hinweise allerdings nicht. Mit anderen Worten: Es besteht lediglich der Verdacht, dass Marco K. gemeinsame Sache mit den Mullahs in iranischen Raketenprojekten machen könnte. Seine Mutter hingegen glaubte laut Mitteldeutscher Zeitung lange: Ihr Sohn handele mit Bananen.

Osterburg ist ein kleines, beschauliches Städtchen in der Altmark, Sachsen-Anhalt.
Osterburg ist ein kleines, beschauliches Städtchen in der Altmark, Sachsen-Anhalt.Stephanie Steinkopf/Ostkreuz

Marco K. hat die EVA Handelsgesellschaft auf den Namen von Ilse K. angemeldet. Die Firma soll Teil eines komplexen Beschaffungsnetzwerks der iranischen Verteidigungsindustrie sein. Im Handelsregister heißt es, Gegenstand des Unternehmens sei der „internationale Handel mit Waren und Gütern im Bereich von Nahrungsmitteln, Metallen und Chemikalien, sowie alle damit direkt oder indirekt zusammenhängenden geschäftlichen Aktivitäten“. Nun haben die USA die Gesellschaft auf die OFAC-Sanktionsliste gesetzt. OFAC steht für das Office of Foreign Assets Control, eine US-Behörde, die im Auftrag des US-Finanzministeriums Wirtschafts- und Handelssanktionen verwaltet und durchsetzt.

Nach Angaben der OFAC sollen die Sanktionen unter anderem finanzielle Mittel und Ressourcen blockieren, die das iranische Regime für destabilisierende Aktivitäten nutzt. Das scheint Wirkung zu zeigen: Sicherheitskreisen zufolge könnte dem Unternehmen bereits durch die OFAC-Listung ein massiver Reputationsschaden entstanden sein – ein Schaden, der selbst dann kaum noch rückgängig zu machen wäre, sollte die EU zusätzlich eigene Sanktionen verhängen.

Die Chemikalien, derentwegen die EVA auf der Sanktionsliste steht, sind nicht ganz ungefährlich: Natriumperchlorat beispielsweise ist brandfördernd. Bei Verunreinigung oder im Gemisch mit anderen Substanzen besteht akute Brand- oder Explosionsgefahr. Bei seiner Zersetzung bilden sich giftige, aggressive Dämpfe. Und Natriumchlorat, was ebenfalls an den Iran geliefert worden sein soll, ist ein starkes Oxidationsmittel mit herbizider Wirkung, das giftig ist und bei „unsachgemäßer Handhabung“ Brände und Explosionen verursachen kann. Auch Sebacinsäure ist brennbar. Feinverteilte Partikel bilden explosive Gemische in der Luft.

Laut US-Finanzministerium dient Natriumchlorat zur Herstellung von Natriumperchlorat, welches wiederum zur Produktion des vom Raketentechnologie-Kontrollregime (MTCR) kontrollierten Ammoniumperchlorats verwendet wird. Ammoniumperchlorat findet Anwendung in Feststoffraketenmotoren, die üblicherweise für ballistische Raketen eingesetzt werden. Sebacinsäure wird zur Herstellung von Harzen – Materialien, die der Iran für sein ballistisches Raketenprogramm benötigen könnte – und Weichmachern verwendet. Bestimmte Weichmacher sind Treibstoffzusätze und unterliegen der Kontrolle des MTCR. Ob und wofür die Chemikalien jedoch tatsächlich in den Iran gelangt sind, ist bislang unbestätigt. Fakt ist: Das Unternehmen von Marco K. aus Osterburg wird der Vermittlung der Beschaffung verdächtigt.

Die Kleinstadt Osterburg in Sachsen-Anhalt

Die internationalen Verwicklungen von Marco K. sind in Osterburg längst Gesprächsthema – beim Konditor, im Rathaus, in der Kneipe. Vielleicht liegt das daran, dass Osterburg eine Kleinstadt ist. Die große Politik spielt meist im rund 150 Kilometer entfernten Berlin. Etwa 9000 Menschen sollen hier laut Wikipedia leben, doch manche im Ort bezweifeln diese Zahl und meinen, für den Stadtkern sei sie deutlich zu hoch gegriffen. Fest steht: Man kennt sich. Doch kennt man sich wirklich gut?

Im Promenadenkaufhaus treffen wir einen ehemaligen Lehrling von Ilse K. und ein ehemaliges Mitglied des Schwimmvereins, das sich an Marco K. als kleinen Jungen erinnert.
Im Promenadenkaufhaus treffen wir einen ehemaligen Lehrling von Ilse K. und ein ehemaliges Mitglied des Schwimmvereins, das sich an Marco K. als kleinen Jungen erinnert.Stephanie Steinkopf/Ostkreuz

Fragt man im Ort nach Familie K., erfährt man, dass Ilse K. Geschäftsleiterin im örtlichen Konsum war. Als Grundausbilderin sei sie eher streng gewesen. „Gerade“, beschreibt eine ehemalige Schülerin, die jetzt im Kaufhaus in Osterberg arbeitet, Ilse K. Sie nehme am Stadtleben teil, man sehe sie hin und wieder im Ort Besorgungen machen. Auch ein kleines Mädchen – wohl die Enkeltochter – habe man oft an ihrer Seite gesehen. Man erfährt auch, dass Marco K. als Kind im Schwimmverein war. Besonders im Gedächtnis geblieben ist er seiner Sportkameradin aber nicht.

Vater hauptberuflich bei der Stasi

Anwohner erzählen, man kenne die Familie zwar, sehe Marco K. jedoch höchstens ein- bis zweimal im Jahr. An den Jungen erinnert sich kaum jemand – er lebe im Ausland, heißt es. Einer von vielen jungen Leuten, die Osterburg nach der Wende verlassen haben. Der Wirt des Ratskellers berichtet, er habe früher mit der Mutter zusammengearbeitet, könne sich an den „Bengel“ jedoch überhaupt nicht erinnern. Ilse K. lebe eher zurückgezogen, sagen Nachbarn. Man grüßt sich, mehr nicht. Von den geopolitischen Verwicklungen der Familie habe man erst aus der Lokalzeitung erfahren.

Heiko Schmeiche führt seit über 30 Jahren den Ratskeller in Osterburg.
Heiko Schmeiche führt seit über 30 Jahren den Ratskeller in Osterburg.Stephanie Steinkopf/Ostkreuz

Der Vater von Marco K. ist vor einigen Jahren gestorben. Im Ort erzählt man sich, er habe hauptberuflich als Major beim Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet. In der DDR war dieser Dienstgrad typisch für leitende Mitarbeiter auf Kreisebene – etwa für Leiter oder stellvertretende Leiter einer Kreisdienststelle. Der Gerätewart der örtlichen Feuerwehr kennt den Nachnamen K. aus seiner eigenen Stasiakte; darin werde ein Major K. namentlich erwähnt. „Bespitzelt hat er mich“, sagt der Feuerwehrmann. Der Bürgermeister kommentiert flapsig, die guten Kontakte des Sohnes nach Fernost könnten womöglich noch auf den Vater zurückgehen.

Es ist nicht auszuschließen, dass man dem minderjährigen Sohn damals spüren ließ, welche exponierte – und für viele negativ besetzte – Stellung sein Vater innehatte. Nach der Wende dürfte auch er, wie so viele Männer, arbeitslos geworden sein. Marco K. war zum Zeitpunkt des Mauerfalls 14 Jahre alt – mitten in der Pubertät.

Hat Marco K. dem Iran geholfen?

36 Jahre später steckt Marco K. in Schwierigkeiten. Amerikanische und europäische Geheimdienste dürften ihm dicht auf den Fersen sein. Er soll mit seinem Firmengeflecht dem Iran geholfen haben, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu kommen. Ob der Iran Massenvernichtungswaffen besitzt, ist allerdings nicht erwiesen, denn selbst US-Geheimdienste widersprechen Israels Begründung für den Iran-Angriff. Es gebe keine Hinweise auf aktive Atomwaffenentwicklung, so ein CNN-Bericht.

Peter K. erzählt von seiner Stasiakte, in der Major K. genannt wird.
Peter K. erzählt von seiner Stasiakte, in der Major K. genannt wird.Stephanie Steinkopf/Ostkreuz

Die geopolitische Gemengelage ist komplex: Der Iran verfügt über die weltweit zweitgrößten Erdgasreserven sowie die drittgrößten Erdölreserven, er kontrolliert den wichtigen Seeweg, die Straße von Hormus, durch die ein Viertel aller weltweiten Erdölexporte befördert wird. Neben Russland ist die Islamische Republik seit einigen Jahren zu einem bedeutenden Verbündeten und Handelspartner Pekings avanciert. Der frühere CIA-Experte Glenn Carle ordnete nach Israels Angriffen auf Teheran gegenüber dem Sender Al Jazeera die Lage wie folgt ein: „China ist der große Verlierer bei den Veränderungen im Nahen Osten, denn China hat Zugang zu günstigem Öl im Iran und kann mit dem Iran auf einen Partner setzen, der eine Alternative zum Westen bietet.“ Peking werde daher versuchen, einen Regime Change und die Zerstörung des Irans zu verhindern, so Carle. Die Regierung in Peking verurteile auch die US-Angriffe scharf. Die Attacken führten zu einer Eskalation der „Spannungen im Nahen Osten“, hieß es beim chinesischen Außenministerium.

Transitroute für indische Waren

Auch Indien und Iran sind strategische Partner trotz historischer Spannungen. So unterzeichneten beide Länder im vergangenen Jahr einen Zehnjahresvertrag über den Ausbau und den Betrieb des Hafens Tschahbahar am Golf von Oman. Die Vereinbarung soll die seit Jahren angestrebte Transitroute für indische Waren zu den Märkten im Iran, in Afghanistan, Zentralasien und darüber hinaus sichern.

Und mitten auf dieser internationalen Bühne steht nun Marco K. Der Geschäftsführer der sanktionierten EVA Handelsgesellschaft gibt auf LinkedIn an, unter anderem über viele Jahre hinweg Geschäftsführer von Desai Agrifoods (DAF) gewesen zu sein. Das Unternehmen zählt nach eigenen Angaben zu den weltweit führenden Produzenten und unterhält Standorte in Indien, auf den Philippinen, in der Türkei – und im Iran. Auf seiner Website beschreibt sich DAF als führender und „zuverlässigster Bananenexporteur“ mit mehr als 5000 verschifften Containern.

Als Ilse K. die Haustür öffnet, wirkt sie erschüttert. Schon wieder Journalisten. „Das ist alles ganz, ganz schlimm“ –  die Mutter des Verdächtigen scheint der ganze Trubel zu ängstigen. Sie wolle mit all dem nichts zu tun haben. Ihr Sohn lebe in Dubai, sagt sie und schließt die Tür. Marco K. reagiert nicht auf Anfragen.