Auch wenn die Berliner Küche nicht den besten Ruf hat, so kann man den Berlinern ein Faible für Feinkost nicht absprechen. Sie lieben Delikatessen. Des Berliners Schlaraffenland hat viele Adressen, beispielsweise am Tauentzien in der sechsten Etage des Kaufhauses des Westens (KaDeWe), in der Wilmersdorfer Straße bei Rogacki und in einer der vielen Lindner-Filialen.
An den Feinkost-Stehtresen der Stadt trifft man die Connaisseure, eine echte Berliner Mischung: Nachfahren der Wilmersdorfer Witwen in gesteppten Jacken, Geschäftsmänner in lachsroten Poloshirts und Touristen, die einfach mal gucken wollen. Sie alle stehen Schlange für einen Platz am Tresen, wo man Austern schlürft und Champagner trinkt. Oder eine besondere Bulette genießt: eine mit Jalapeños gewürzte.
Adolf Jandorf hat bereits sechs moderne Warenhäuser in Berlin gegründet und er führt diese äußerst erfolgreich, als er 1907 das Kaufhaus des Westens eröffnet. Seine Häuser liegen verkehrsgünstig an der Brunnenstraße in Mitte, der Großen Frankfurter Straße (heute Karl-Marx-Allee) in Friedrichshain oder am Kottbusser Damm in Kreuzberg. Jandorf hat in Amerika moderne Warenhauswirtschaft studiert; er will, wie die Kaufhaus-Pioniere Hermann Tietz, Rudolph Karstadt und Georg Wertheim, die Warenhausidee importieren.

Ein paar Jahre zuvor hat Wertheim am Leipziger Platz das Zeitungsberichten zufolge „schönste Kaufhaus Deutschlands“ eröffnet. Die junge Marlene Dietrich notiert in ihren Tagebüchern Dialoge, die sie in der dortigen Lebensmittelabteilung aufgeschnappt hat – und die ähnlich sicher auch in der exklusiven KaDeWe-Feinkostabteilung gefallen sein dürften. „In der Lebensmittelabteilung ist gerade frischer Lachs vom Kaspischen Meer angeliefert worden – und Fässer mit Kaviar“, schreibt Dietrich. „Ich habe gleich etwas davon für meinen Mann erstanden. Der Zar könnte nicht königlicher speisen. Für die Kinder habe ich von dem köstlichen Nougat gekauft, der eben aus Florenz eingetroffen ist. Dann trank ich einen vorzüglichen Tee und aß eine mit Rosinen gefüllte ungarische Babka. Als ich nach Hause kam, war ich natürlich völlig erschöpft.“
Damals unvorstellbare 20 Millionen Mark kostete der Bau des KaDeWe
Auf diesem hohen feinschmeckerischen Niveau agieren die drei exklusivsten Kaufhäuser Berlins: Wertheim am Leipziger Platz, das 1897 eröffnete; Tietz am Alexanderplatz, das 1904 folgte; und eben das KaDeWe am Tauentzien. Vor der Jahrhundertwende bekamen die Berliner ihre Delikatessen in Kolonialwarenläden. Im Jahr 1886 verkauften 1350 „Kolonialwaaren-Detailgeschäfte“ Kaffee, Tee, Reis, Gewürze, Süßigkeiten und Tabak.
Der Bau des Kaufhauses des Westens hat unvorstellbare 20 Millionen Mark verschlungen. Seine 24.000 Quadratmeter sind in mehr als 120 Abteilungen gegliedert. Eine riesige und exklusive Lebensmittelabteilung im zweiten Stock gehört dazu. Der neue Luxustempel richtet sich vornehmlich an die wohlhabenden Berliner, die im Westteil der Stadt wohnen und arbeiten.

Kaum jemand glaubt an die Vision von Adolf Jandorf, war doch der Tauentzien seinerzeit mehr als beschaulich. Es gibt weit und breit kein Geschäft, aber es gibt seit 1902 den U-Bahnhof Wittenbergplatz. Und auf den setzt der Unternehmer Jandorf. „Wat een juter Standort is, bestimme ick“, zitiert die Presse den Kaufhaus-Patron. Er wird recht behalten: Sein KaDeWe legt den Grundstein für ein zweites Geschäftszentrum der Stadt, die City West.
Die Fassade des berühmten Kaufhauses wird aus Muschelkalk gefertigt
Bekannte Architekten bauen die Berliner Kaufhäuser. Alfred Messel schreibt Geschichte mit dem Wertheim in der Leipziger Straße. Für das KaDeWe wird Emil Schaudt beauftragt. Er beeindruckt mit der modernen Außenarchitektur: einer Fassade aus Muschelkalk, die sich unaufdringlich in die Wohnhausbebauung rund um den Wittenbergplatz einfügt.
Das Interieur seines neuen Kaufhauses übertrifft alle Erwartungen. Die Wände, Treppen und Gänge sind mit verschiedenen exklusiven Hölzern verkleidet, kunstvolle Gitter säumen Eingänge und Fahrstühle. Der Architekt und Designer Peter Behrens hat die Bogenlampen entworfen. Alles stimmt bis ins kleinste Detail. Diese Tradition hat das KaDeWe bis heute beibehalten: Star-Architekt Rem Koolhaas führte den letzten Umbau durch.

Zur Eröffnung des Hauses 1907 überschlägt sich die Berliner Presse. Sie vergleicht es mit den Galeries Lafayette in Paris und dem Harrods in London. Ein Glücksfall für das Charlottenburger Haus ist der Besuch des Königs von Siam mit seinem Gefolge im August 1907: Zwei Tage lang kauft er ein, 250.000 Mark gibt er aus. Die Berliner Zeitungen berichten en détail. Und schon ist auch die Neugier der kaiserlichen Familie geweckt.
Während des Weltkrieges schickt das KaDeWe Lebensmittel an die Front
Die „bessere Gesellschaft“ entdeckt das KaDeWe, trotzdem bleibt es ein demokratischer Ort: Alle dürfen rein. So schreibt das Berliner Tageblatt schon am 8. April 1907: „Die Gräfin und die Kommerzienrätin berühren mit den Ellenbögen die einfache Frau aus dem Volke. Die vornehme Dame steht schwesterlich neben der kleinen Choristin, und keine wird vor der anderen bevorzugt. Man fragt sie nicht, ob sie zu Fuß kamen, mit der Elektrischen, mit der Droschke, mit der eigenen Equipage oder gar mit dem Automobil.“ Der beschauliche Tauentzien wandelt sich in den folgenden Jahren zum Einkaufsboulevard, der er heute noch ist.
Der Erste Weltkrieg beeinträchtigt auch die Geschäfte des KaDeWe. Doch es gibt einen neuen Service: Kunden können Lebensmittelpakete an die Front schicken. Die Inflation der Nachkriegszeit übersteht das Kaufhaus auch dank einer genussfreudigen Kundschaft, die über Devisen verfügt. „Unter den hier versammelten Nationen, den Polen, Tschechoslowaken, Chinesen, Japanern und Russen fehlte eine: die deutsche. Die zieht die entfernteren billigeren Kaufhäuser um den Alexanderplatz und den Stettiner Bahnhof vor. Das KaDeWe ist den Deutschen zu teuer“, berichtet der russische Dichter Andrei Bely, der in der Passauer Straße wohnt und täglich zum Flanieren ins gegenüberliegende Kaufhaus geht.

Der Schriftsteller Vladimir Nabokov und dessen Frau Véra lassen sich im Fotoatelier fotografieren, der Dichter Vladimir Majakowski gibt in der Damenwäscheabteilung Unsummen für Dessous aus. Und in der Lebensmittelabteilung geht der Kaviar weg wie heiße Semmeln. Auch die eigene Bäckerei, die Patisserie und die Küche für Catering arbeiten auf Hochtouren.
Kaufhaus-Chef Adolf Jandorf wird immer wieder antisemitisch angegangen
Immer wieder sieht sich Adolf Jandorf Angriffen missgünstiger Einzelhändler und antisemitischen Schmähungen ausgesetzt. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass er seine Kaufhäuser, die er erfolgreich betreibt, zum Jahreswechsel 1926/27 an Hermann Tietz verkauft. Unter Tietz wird das KaDeWe umgebaut. In kurzer Zeit und ohne den Betrieb zu schließen, setzt der Architekt Emil Schaudt zwei volle Geschosse und eine Dachgartenterrasse auf das Gebäude.
Die Sensation ist aber die neue Lebensmittelabteilung. „Schreitet man das Viereck dieser breiten Kaufstraßen ab, die sich zu einem einzigen kolossalen Spezialgeschäft ineinanderfügen, so öffnet sich ein regelrechtes Schlaraffenland, in seiner Ordnung, durchgeführten Systematik, hygienischen und technischen Einrichtung eine Schöpfung unserer Zeit, aber in seiner überquellenden Fülle, seiner behäbigen Regie, seiner satten, saftigen und mundgerechten Lockung durchaus dem alten Märchen-Urbild gleich.“ So ist im aufwendig gestalteten Buch zum 25-jährigen KaDeWe-Jubiläum 1932 zu lesen.

Das Ehepaar Paul und Lucia Rogacki eröffnet im selben Jahr eine schlichte Aal- und Fischräucherei. Und legt damit den Grundstein für eine weitere West-Berliner Feinkostinstitution. Die Rogackis sind zuvor mit Handkarren über die Berliner Märkte gezogen und haben dort Räucherfisch, Forellen, Aal, Saiblinge, Karpfen, Heringe und Sardinen verkauft. In der vom KaDeWe gut drei Kilometer entfernten Wilmersdorfer Straße werden sie sesshaft. Das Geschäft gibt es dort noch immer.
Nach der Machtübernahme der Nazis müssen 500 jüdische Mitarbeiter gehen
Nur ein Jahr nach dem glanzvollen Fest zum 25-jährigen KaDeWe-Jubiläum kommen die Nationalsozialisten an die Macht. Sofort beginnen sie, jüdische Geschäftsleute zu verdrängen. Auch das KaDeWe soll arisiert werden. So werden die Geschäftsführer aus der Tietz-Familie so sehr schikaniert und bedroht, dass sie die Leitung ihres Kaufhauses aufgeben. Profiteur ist Georg Karg, ein Jandorf-Angestellter: Von den Nazis als Geschäftsführer eingesetzt, leitet er das KaDeWe unter dem Namen Hertie (gebildet aus den Anfangsbuchstaben Hermann Tietz).

Zu seinen ersten Amtshandlungen gehört, 500 jüdische Mitarbeiter zu entlassen. Nach 1945 führt er das Hertie-Imperium und gründet die Hertie-Stiftung, mit einem derzeitigen Vermögen von einer Milliarde Euro nach wie vor eine der größten Stiftungen Deutschlands. Erst 2020 gibt die Stiftung ein Gutachten in Auftrag, das die dunklen Flecken der Firmengeschichte, insbesondere die Rolle von Georg Karg während der Arisierung der Tietz-Kaufhäuser, untersuchen soll. Ein Abschlussbericht steht noch aus.
Das KaDeWe liegt im Mai 1945 in Trümmern. Der Wiederaufbau zieht sich hin. Erst 1956 sind alle Etagen wieder geöffnet, auch die legendäre „Sechste“ – Europas größte Lebensmittelabteilung. Die Berliner sehnen sich nach Luxus. Wer es sich leisten kann, trägt sein Geld ins KaDeWe. 1978 wird das Top-Haus des Hertie-Konzerns für 120 Millionen DM um- und ausgebaut. Prunkstück bleibt die Feinkostabteilung, auf 5100 Quadratmeter erweitert und nunmehr die zweitgrößte Lebensmittelabteilung weltweit. Nur das „Mitsukoshi Nihombashi“ in Tokio ist größer.
Das Delikatessengeschäft der Rogackis liegt nach dem Krieg in Trümmern
Ein Teil der Delikatessen kommt vom Großmarkt Rungis bei Paris. Zur Eröffnung kredenzen der Jahrhundertkoch Paul Bocuse und der König der französischen Patissiers Gaston Lenôtre ihre Spezialitäten. Selbst Bundespräsident Walter Scheel macht ordentlich Werbung für das KaDeWe, dem Schaufenster der City West.
Auch Familie Rogacki muss nach dem Krieg von vorne anfangen, die Aal- und Fischräucherei in der Wilmersdorfer liegt nach Bombentreffern in Trümmern. Behelfsmäßig wird in den Ruinen geräuchert und verkauft. Die Berliner können ihren Sonntagsfang vorbeibringen, Aal aus der Spree hängt auch im Rauch. Die Rogackis packen an, sie vergrößern sogar das Ladengeschäft.

Zum Fisch, geräuchert und frisch aus dem Becken, kommen Fleisch- und Wurstspezialitäten, Wild, Geflügel, Feinkostsalate, eine riesige Käsetheke und eine eigene Bäckerei. Ein Räuchermeister sorgt für die richtige Goldtönung der Bücklinge. In der Auslage liegen Pfeffermakrelen und Lachs, aus Dänemark kommt frischer Aal. Wenn in der Weihnachtszeit Gänse und Enten verkauft werden, bildet sich eine Schlange auf der Wilmersdorfer Straße.
Butter Lindner im gut situierten Schmargendorf kann schnell wachsen
Der Appetit auf gute und fettreiche Lebensmittel ist so groß, dass sich auch der junge Unternehmer Robert Lindner bereits 1950 mit einem Marktstand selbstständig macht. Als „Butter Lindner“ im gut situierten Schmargendorf verkauft er bald fünfzig Produkte, allen voran Butter, Käse und Schmalz. Er expandiert, 1964 eröffnet das erste Geschäft in Spandau. Im Schaufenster liegen große Brot- und Käselaibe. Die 25. Filiale macht 1980 auf.
„Butter lose, vom Block“ gibt es damals wie heute, frisch geschlagen. Für neue Kreationen, zum Beispiel Brotaufstriche, ist eigens ein Koch angestellt. Es gibt Spargelsalate und gefüllte Paprikaschoten, Schnitzel und gewickelte Kohlrouladen, Buletten und Kartoffelsalat. Auch die Patisserie trifft den Geschmack der Berliner: Petit Fours, Bauerntorten, Tartes.

Die Crème de la Crème der Berliner Feinkostläden lag im Westteil der Stadt. Doch auch im Osten gab es ab 1966 Fachgeschäfte für Feinkost: die Delikatläden, Deli genannt. Hier gab es teilweise auch heißbegehrte Westware wie die Kaffeesorte Jacobs Krönung, hauptsächlich aber DDR-Produkte, die der VEB Feinkost Leipzig für die Delikatläden herstellte. Die Preise waren saftig: Eine Schachtel mit Pralinen kostete 12 Ostmark, ein Pfund Kaffee 23 Mark, ein Glas eingelegter Spargel 28 Mark.
Es gab Konserven mit Szegediner Gulasch, Dosen mit doppelt konzentriertem Tomatenmark und Wurstspezialitäten, Scheiblettenkäse und eingedoste Ananasscheiben für „Toast Hawaii“. Kinder erfreuten sich an Trink Fix, einem Kakaopulver, oder Nudossi, einer Nuss-Nougat-Creme auf den Spuren von Ferreros Nutella. Beliebte Produkte kamen aus befreundeten Ländern: Obstkonserven aus Kuba, Rotwein aus Bulgarien, Metaxa aus Griechenland. Nach dem Mauerfall wurden die Delikatläden geschlossen.
Der Versuch von Butter Lindner, im Ostteil der Stadt Fuß zu fassen, ist bislang gescheitert. Von derzeit 36 Filialen liegt nur eine in Prenzlauer Berg, weiter östlich gibt es keine, nicht in Köpenick, Friedrichshagen oder Karlshorst. In Charlottenburg, Wilmersdorf und Schöneberg existieren dafür viele.




