Wenn es um die geplante Autobahn nach Friedrichshain und Lichtenberg geht, rollt Tilmann Heuser die Augen. „Es ist pure Zeitverschwendung, sich damit zu befassen“, sagt der Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Er geht davon aus, dass der 17. Bauabschnitt der A100 nicht gebaut wird. Selbst wenn das Vorhaben irgendwie weiterginge, würde es noch viele Jahre dauern und auf enorme Schwierigkeiten stoßen. Heusers Urteil ist klar: „Dieses Projekt ist eine politische Stinkbombe für Berlin.“ Es soll Streit säen und die Landespolitik aufmischen.
Am 16. Bauabschnitt, der von Neukölln zur Straße Am Treptower Park führt, wird seit fast einem Jahrzehnt gearbeitet. Nach einigen Verzögerungen soll die 3,2 Kilometer lange, bis zu sechsstreifige Autobahn im Dezember 2024 dem Verkehr übergeben werden. Bei der Autobahn GmbH des Bundes ist von Kosten in Höhe von bis zu 700 Millionen Euro die Rede.
Als sicher gilt, dass dem Treptower Norden ein Verkehrschaos droht, wenn eine sechsstellige Zahl von Kraftfahrzeugen pro Tag versucht, das Autobahnende zu erreichen oder von dort wegzukommen. Weil die Elsenbrücke neu gebaut wird, bleibt die Kapazität der dortigen Spreequerung eingeschränkt. Bis 2028 droht deshalb Zusatzstau.
Doch der Bund möchte den Stadtring im Osten Berlins ohnehin weiterbauen, nach Friedrichshain und Lichtenberg. Jüngst wurde bekannt, dass die Autobahn GmbH die Planungsleistungen für den 17. Bauabschnitt vergeben hat. Von Treptow aus soll die A100 über die Spree führen – wobei der östliche Überbau der neuen Elsenbrücke im Weg wäre, wenn er wie vom Senat vorgesehen errichtet würde. Das Ostkreuz und die Neue Bahnhofstraße würden in einem 16 Meter breiten Doppelstocktunnel unterquert, bevor es vor der Frankfurter Allee wieder an die Oberfläche geht. Nach 4106 Metern Bundesautobahn schließen sich 1620 Meter Stadtstraße an. Doch der Bund will diesen Anschluss noch verlängern: über die Storkower Straße hinweg zur Landsberger Allee.
Ein Wahnsinnsprojekt, findet Tilmann Heuser. Nicht nur, weil wie in den 1960er-Jahren eine Autobahn durch eine Innenstadt geschlagen werden soll – während weltweit über die Erderhitzung debattiert wird. Heuser glaubt auch nicht an den Zeitplan, mit dem der Bund Tempo simuliere. Danach soll das Planfeststellungsverfahren, an dessen Ende die Genehmigung erwartet wird, 2027 beginnen. Die Fertigstellung der Autobahn wird derzeit für Ende 2035 erwartet. „Utopisch“, entgegnet der BUND-Landeschef, der sich seit Jahren mit Mobilität und Infrastruktur befasst. „Das wäre ein Rekordtempo.“
Friedrichshainer Wohnstraße wäre „komplett unbewohnbar“
Dabei müsste den Verantwortlichen bekannt sein, dass es sich um eines der waghalsigsten und kompliziertesten Verkehrsprojekte Deutschlands handelt. Allein schon der geplante Doppelstocktunnel: „Ein solches unterirdisches Bauwerk im Berliner Urstromtal quer zur Grundwasserrichtung in einer schmalen Wohnstraße bauen zu wollen“ – das lasse Bilder vom Einsturz der Tunnelbaustelle 2009 am Stadtarchiv Köln wachwerden. Dies als bauliche Herausforderung zu bezeichnen, sei untertrieben.
Bereits klar sei, dass die Neue Bahnhofstraße lange Zeit nicht mehr nutzbar wäre, weil die Tunnelbaugrube den gesamten Fahrbahn- und Gehwegraum in Anspruch nähme. Die Gebäude könnten so lange nur über die Rückseiten ver- und entsorgt werden. Unterm Strich wäre dieser Bereich des dicht besiedelten Friedrichshain „komplett unbewohnbar“ – über eine erwartete Bauzeit von mindestens zehn Jahren hinweg.
Wenn das Projekt tatsächlich vorangetrieben würde und Hürden aus dem Weg geräumt werden könnten, wäre es „frühestens in 20 Jahren fertig“ – irgendwann zwischen 2040 und 2050. „Die Kernfrage ist, ob wir dann überhaupt noch ein Mobilitätssystem haben wie jetzt“, sagte der BUND-Landesvorsitzende. Unabhängig davon, wie weit die Mobilitätswende bis dahin im einzelnen vorangeschritten ist: Absehbar sei, dass das Auto einen anderen, geringeren Stellenwert haben werde. Als sicher gelte, dass in den Städten klimafreundliche Fortbewegung an Bedeutung gewinne. Damit zeichne sich ab, dass die neue Autobahn hoffnungslos anachronistisch sein werde – wenn sie denn gebaut werde.
Wird das Projekt die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung bestehen?
Was zweifelhaft sei, wie Tilmann Heuser bekräftigte. Schon jetzt fehlen Planer und Ingenieure, die Straßenbauprojekte eines solchen Kalibers betreuen könnten, sagte er. Weil bundesweit immer mehr Autobahnbrücken und andere Verkehrsbauwerke in die Jahre kämen, wären die Verantwortlichen in den nächsten Jahren vollauf damit beschäftigt, die bereits bestehende Infrastruktur vor dem Kollaps zu bewahren.
Im Fall des 17. Bauabschnitts der A100 kommen noch Verfahrensthemen dazu. So erwartet auch Tilmann Heuser, dass das Projekt im Rahmen einer standardisierten Bewertung auf Wirtschaftlichkeit geprüft werden müsse. „Um diese Prüfung zu bestehen, müssten angesichts der exorbitanten Kosten die Nutzervorteile schon extrem hoch ausfallen“, sagte er. Wie berichtet, gehen bereits die seit Jahren nicht mehr aktualisierten Daten des Bundes von fast 886 Millionen Euro aus. Bisherige und künftige Preissteigerungen eingerechnet, werden die Kosten bei weit über eine Milliarde Euro liegen.




