Verkehr

Am BER gestrandet: Im Flughafen warten 3800 Koffer auf ihre Besitzer

Im Keller unter Terminal 1 in Schönefeld stapeln sich die Gepäckstücke, täglich kommen Hunderte hinzu. Doch die Schuld liegt nicht beim Hauptstadt-Airport. 

Hier klappte noch alles. Koffer beim Probebetrieb im BER 2020, einige Monate vor der Eröffnung des Flughafens. Mit solchen Gepäckstücken wurden die Abläufe am Hauptstadt-Airport geprobt.
Hier klappte noch alles. Koffer beim Probebetrieb im BER 2020, einige Monate vor der Eröffnung des Flughafens. Mit solchen Gepäckstücken wurden die Abläufe am Hauptstadt-Airport geprobt.Berliner Zeitung/Peter Neumann

Schwarze Koffer, rote Rucksäcke, grüne Trolleys. Kleine Reisetaschen, mittelgroße Backpacks, riesige Rollkoffer – gestapelt bis an das Ende der Halle. Immerhin tragen die meisten Gepäckstücke noch den Anhänger, der zeigt, wo sie einst eingecheckt wurden. Doch bei anderen lässt sich nicht feststellen, woher sie kommen und wem sie gehören. 

Das Video aus dem Keller des Flughafen BER, das der Berliner Zeitung zugespielt wurde, führt dem Betrachter vor Augen, wie viele Koffer und Taschen dort gestrandet sind. Derzeit warten nicht weniger als 3800 Gepäckstücke darauf, Passagieren zugestellt zu werden – zum Teil seit vier Monaten. „Das ist kein Problem des BER“, sagt Enrico Rümker von der Gewerkschaft Verdi. „Aber das Personal muss es ausbaden.“

Ein aktueller Blick in ein Gepäcklager am BER: Im Keller des Flughafens stehen Koffer und Taschen, die bislang nicht zugestellt werden konnten.
Ein aktueller Blick in ein Gepäcklager am BER: Im Keller des Flughafens stehen Koffer und Taschen, die bislang nicht zugestellt werden konnten.Videostill: privat

Die Sprecher der Firmen Aeroground und Swissport, die mit der Wisag für die Gepäckabfertigung am neuen Schönefelder Flughafen verantwortlich sind, reden nicht lange herum. Ja, im BER steht eine vierstellige Zahl von Gepäckstücken, die noch nicht ihren Eigentümern übergeben werden konnten. Ja, immer noch kommt täglich neue Arbeit hinzu. Ein Insider berichtet von 200 bis 300 Koffern pro Tag, die am BER stranden.

„Corona hat das Problem verschärft“

Edgar Engert von der Aeroground, einem Tochterunternehmen des Münchener Flughafens, spricht von rund 3000 Gepäckstücken, die am BER lagern. Der älteste Fall stammt aus dem Juni. Bei der Swissport ist „in der Spitze aktuell“ von bis zu 800 Gepäckstücken die Rede, einige Hundert seien normal. Dieser Bodenverkehrsdienstleister kann den Konkurrenten in puncto längste Liegezeit sogar noch toppen: „Bei uns lagern ein Kindersitz und ein Buggy, für die nach der Ankunft eines Fluges im Mai keine Verlustmeldung eingegangen ist“, berichtet Unternehmenssprecher Stefan Hartung.

„Normalerweise kommen mehr als 99 Prozent der aufgegebenen Gepäckstücke pünktlich an“, betont Engert. Doch manchmal klappe es eben leider nicht. Ein wesentlicher Grund sei der Personalmangel, der auch die Drehkreuze des europäischen Luftverkehrs beeinträchtige. „Corona hat das Problem verschärft“, sagt der Aeroground-Sprecher. „Alle Dienstleister kämpfen mit einem erhöhten Krankenstand.“

Umsteiger sind besonders oft betroffen

Weil sich die Zahl der Direktverbindungen nach Berlin weiterhin in Grenzen hält und Fluggäste mit diesem Ziel an anderen Orten umsteigen müssen, ist diese Destination in besonderem Maße betroffen, berichten Insider. Wenn zum Beispiel in London Heathrow, Amsterdam oder Paris Charles de Gaulle Ladepersonal ausfällt, kann das dazu führen, dass Passagiergepäck erst mit einer späteren Maschine nach Berlin gebracht wird. Am BER sammeln sich die Koffer und Taschen dann bei den Bodenverkehrsdienstleistern, mit denen die jeweilige Airline einen Vertrag geschlossen hat. Doch trotz Neueinstellungen ist die Personaldecke auch bei ihnen knapp, sagen Experten.

„Pro Tag bearbeiten unsere Mitarbeiter bis zu 120 Gepäckstücke, die dann durch Dienstleister an die Passagiere ausgeliefert werden“, erklärt Stefan Hartung von der Swissport. „In den meisten Fällen erhalten Reisende ihr Gepäck innerhalb weniger Tage zurück. Swissport setzt zur schnelleren Bearbeitung Mitarbeiter aus anderen Bereichen ein, auch in zusätzlichen Nachtschichten.“ Auch Aeroground habe die Zahl der Mitarbeiter erhöht, sagt Edgar Engert. Doch so viele gestrandete Gepäckstücke habe es früher nicht gegeben. „Das Personal ist überlastet“, so Verdi-Sekretär Enrico Rümker.

Ansprechpartner für die Fluggäste ist die Airline, bei der sie ihr Ticket gebucht und ihr Gepäck eingecheckt haben. Trotzdem komme es immer wieder vor, dass Passagiere direkt bei den Bodenverkehrsdienstleistern am BER nachfragen, wo ihr Gepäck geblieben ist, erzählt er. „Das ist eine weitere Belastung für die Kollegen“, bestätigt Rümker.

„Der Koffer muss hier irgendwo stehen“

Viele Fluggäste versehen ihre Koffer mit einem Airtag, einem kleinen Ortungsgerät, das so groß wie eine Münze ist. Mit einem Apple-Gerät lässt sich herausfinden, wo sich das Gepäck befindet. „Fluggäste sagen: Mir zeigt die App an, dass mein Koffer ganz in der Nähe ist. Er muss hier irgendwo stehen“, erzählt Rümker. Doch die Dienstleister lassen inzwischen keine Passagiere mehr in die Lagerräume unter dem Terminal 1, bestätigt auch die Flughafengesellschaft FBB. Das Personal habe keine Zeit, Fluggäste bei der Suche zu begleiten. „Das gibt natürlich zusätzlichen Unmut“, so Rümker.

„Noch einmal: Die Lage geht nicht auf ein Verschulden des BER oder des Personals am BER zurück“, sagt der Gewerkschafter. Rechtzeitig vor Beginn der Sommerreisesaison habe die FBB Vorkehrungen getroffen, damit sich ein Chaos wie im vergangenen Herbst nicht wiederholen würde. Während andere Flughäfen Störungen und lange Wartezeiten gemeldet hätten, sei die Abfertigung am BER in der Regel reibungslos gelaufen, betont der Verdi-Mann. Das Personal in Schönefeld werde mit Problemen konfrontiert, für die andere verantwortlich seien. Airlines wie die Lufthansa und Dienstleister hätten zu Beginn der Corona-Pandemie zu viel Personal abgebaut, kritisiert Rümker.

Was sollten Fluggäste unternehmen?

Kommt Aufgabegepäck nicht an der Ausgabe des Zielortes an, sollten Passagiere den Fall umgehend melden. Experten raten, möglichst noch am Schalter der Fluggesellschaft einen „Property Irregularity Report“ auszufüllen. Zusätzlich sollten Fluggäste der Airline schriftlich Meldung erstatten – sie ist schließlich ihr Vertrags- und damit Ansprechpartner. Ist ein Koffer mehr als 21 Tage verspätet, gilt er als verloren. In der Regel entsteht ein Anspruch auf Entschädigung, dessen Höhe vom Zeitwert des Koffers und des Inhalts sowie einer jährlichen Wertminderung bestimmt wird.

Passagiere am Flughafen BER. Im August haben 1,94 Millionen Fluggäste den Airport genutzt.
Passagiere am Flughafen BER. Im August haben 1,94 Millionen Fluggäste den Airport genutzt.dpa/Jörg Carstensen

21 Tage: Das ist für Fluggesellschaften, die Kosten vermeiden wollen, also eine wichtige Deadline. Berichten zufolge sei das Personal der beauftragten Dienstleister gehalten, aktuelle Fälle bis dahin möglichst rasch abzuarbeiten, damit kein Anspruch auf Entschädigung entstehe, berichtet Enrico Rümker. Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass ältere Fälle besonders lang stehen. Für Fluggäste, die mehr als drei Wochen auf ihr Aufgabegepäck warten, ist das eine schlechte Nachricht.

Koffer ohne Anhänger – besonders schwierige Fälle

Wenn es sich um Berlin-Touristen handelt, sind sie in vielen Fällen wieder in ihre Heimat zurückgereist. Die Koffer zurückzusenden bedeute einen zusätzlichen Aufwand, sagt ein Mitarbeiter. Nicht selten müssten gestrandete Koffer durch den Zoll, bevor sie ausgehändigt werden könnten. Auch dies könne zu Verzögerungen führen. Besonders knifflig werde es, wenn der Gepäckanhänger der Airline verloren gegangen sei und der Koffer auch nicht mit dem Namen des Eigentümers gekennzeichnet wurde.

Manchmal kommt es vor, dass Gepäck nicht mehr abgeholt wird – wie der Kindersitz und der Buggy, die seit Mai bei der Swissport in Schönefeld liegen. Bislang sei keine Verlustmeldung eingegangen, so Firmensprecher Stefan Hartung. „In einem solchen Fall ist es fast unmöglich, den Besitzer zu ermitteln.“