Chanukka in Berlin

Chanukka in Berlin: Als der Rabbi über seinen erschossenen Freund in Sydney spricht, bricht ihm die Stimme

Dem Terror am Bondi Beach zum Trotz entzündet Berlin das Chanukka-Licht mit Publikum. Auch der Bundespräsident erscheint. Ansonsten aber sind keine Politiker vor Ort.

Rabbiner Yehuda Teichtal (L) und der aschkenasische Oberrabbiner Kalman Meir Ber hinter einem gigantischen Davidstern am Brandenburger Tor
Rabbiner Yehuda Teichtal (L) und der aschkenasische Oberrabbiner Kalman Meir Ber hinter einem gigantischen Davidstern am Brandenburger TorJOHN MACDOUGALL

Nur wenige Stunden nach dem verheerenden Terroranschlag auf eine Chanukka-Feier in Sydney mit mindestens elf Toten hat die jüdische Gemeinde in Berlin am Sonntagabend ein Zeichen gegen Hass und Gewalt gesetzt. Vor dem Brandenburger Tor entzündete Rabbiner Yehuda Teichtal gemeinsam mit dem Oberrabbiner Israels, Kalman Meir Ber, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die erste Kerze des zehn Meter hohen Chanukka-Leuchters.

„Wir werden uns nicht einschüchtern lassen. Auf keinen Fall“, rief Teichtal hunderten Anwesenden zu, seine Stimme fest trotz der spürbaren Erschütterung. Der Rabbiner hatte erst am Nachmittag erfahren, dass sein Freund, der Rabbiner Eli Schlanger, zu den Opfern des Anschlags in Sydney gehört. „Er wollte der Gemeinde nur einen guten, positiven Spirit bringen“, sagte Teichtal mit bewegter Stimme.

Ein Gebet für die Opfer

Die Zeremonie begann mit einem Moment der Stille. Teichtal bat die Anwesenden, ihre rechte Hand auf die Augen zu legen und gemeinsam das Shema Yisrael zu sprechen – jenes Gebet, mit dem, wie er erinnerte, „die Juden in die Gaskammern gegangen sind und mit dem wir alle Schwierigkeiten überwunden haben“.

Hunderte kamen, um ein Gebet zu sprechen und der Zeremonie beizuwohnen.
Hunderte kamen, um ein Gebet zu sprechen und der Zeremonie beizuwohnen.Moritz Eichhorn/Berliner Zeitung

„Shema Yisrael, Adonai Eloheinu, Adonai Echad“, hallte es über den Pariser Platz. Hunderte Stimmen vereinten sich in dem hebräischen Gebet: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einzig.“

„Die einzige Waffe gegen Dunkelheit ist Licht“

In seiner eindringlichen Rede zitierte Teichtal die Lehren seines Rebben: „Die einzige Waffe, die wir gegen Dunkelheit haben, ist Licht, und die einzige Reaktion, die wir auf Hass haben, ist mehr Liebe.“ Diese Worte gewannen angesichts der Ereignisse in Sydney besondere Bedeutung.

„Wir strecken unsere Arme für alle Menschen aus – mit Liebe und Respekt, mit Miteinander und Toleranz“, betonte der Rabbiner und ergänzte, „egal ob Juden, Muslime, Christen oder Nichtgläubige – wir stehen alle unter einem Gott“.

Elke Büdenbender (l-r), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Rabbiner Yehuda Teichtal und Kalman Meir Ber, Oberrabbiner des Staates Israel, kommen zu der Zeremonie für das Anzünden der ersten Kerze des Chanukka-Leuchters auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburg Tor anlässlich der beginnenden Chanukka-Feiertage.
Elke Büdenbender (l-r), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Rabbiner Yehuda Teichtal und Kalman Meir Ber, Oberrabbiner des Staates Israel, kommen zu der Zeremonie für das Anzünden der ersten Kerze des Chanukka-Leuchters auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburg Tor anlässlich der beginnenden Chanukka-Feiertage.Carsten Koall

Die Anwesenheit von Bundespräsident Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender würdigte Teichtal als Zeichen der Solidarität. „Die gesamte jüdische Gemeinschaft ist berührt, inspiriert und ermutigt“, sagte erund wandte sich direkt an das Staatsoberhaupt: „Wir wünschen Ihnen viel Kraft, das Volk weiterhin zusammenzuhalten.“

Auch der eigens aus Israel angereiste Oberrabbiner Kalman Meir Ber und Rabbiner Arye Goldberg von der Europäischen Rabbinerkonferenz, der aus Kassel anreiste, unterstrichen mit ihrer Anwesenheit die Bedeutung des Moments.

Teilnehmer: Atmosphäre für Juden in Berlin verschlechtert

Unter den Gästen waren auch Yoko und Ezekiel, zwei Männer Ende 40. Sie sind regelmäßig aus Spanien zu Besuch in Berlin. „Wir sind eng mit der jüdischen Community in Madrid verbunden. Daher wollten wir in jedem Falle zur Entzündung des Leuchters kommen.“ Sie fühlen sich am Brandenburger Tor sicher. Aber insgesamt sei die Atmosphäre für Juden feindlicher geworden.

Yulia und ihr Freund Hubert sehen es ähnlich. Sie stammt aus der Ukraine, ihr Freund aus Paris. Beide sind Juden. Auf die Frage der Sicherheitslage nach Sydney angesprochen, sagt sie: „Wir wären in jedem Falle hergekommen. Wir lassen uns nie wieder einschüchtern.“

Hubert findet: „In Europa wird die Situation immer schlimmer.“ In Berlin sei es im Vergleich zu London, wo er wohnt, aber noch erträglich. „Gleichzeitig kommen mehr Menschen zur Chanukka Eröffnung in London als hier. Da ist es gerammelt voll.“

Auf die Frage, ob die beiden darüber nachdenken, nach Israel auszuwandern, schauen sie einander an. „Viele unserer Bekannten emigrieren“, sagt sie. Er ergänzt: „Und irgendwann vielleicht auch wir.“

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Die Berliner Polizei hatte nach Bekanntwerden des Anschlags in Sydney die Sicherheitsmaßnahmen nochmals verstärkt. Zusätzliche Beamte wurden zum Brandenburger Tor beordert, Scharfschützen positionierten sich auf umliegenden Dächern. Die Nähe zum Hotel Adlon, wo derzeit die amerikanischen Ukraine-Unterhändler Steve Witkoff und Jared Kushner residieren, erforderte zusätzliche Koordination der Sicherheitskräfte.

Besonders emotional wurde es, als Teichtal die Menge aufforderte, gemeinsam „Am Ysrael chai!“ – „Das Volk Israel lebt!“ – zu rufen. Der Ruf hallte dreimal über den historischen Platz, der, wie der Rabbiner betonte, „von den NS-Verbrechen, den Nazis und Hitler geprägt ist.“

Klare Botschaft für die Zukunft

Trotz Trauer und Schmerz endete die Zeremonie mit einer unmissverständlichen Botschaft: „Jüdisches Leben wird in Deutschland eine positive, langfristige und lebendige Zukunft haben. Für alle Menschen, daran gibt es keinen Zweifel“, verkündete Teichtal.

Als die erste Chanukka-Kerze schließlich entzündet wurde und ihr Licht in die Berliner Winternacht strahlte, wurde sie zum Symbol des Trotzes gegen Terror und Hass. „Und auch wenn die Nacht lang und kalt ist“, hatte Teichtal gesagt, „wissen wir: Der Tag wird kommen, und das Licht wird immer über die Dunkelheit siegen.“