Mangelwirtschaft und Weltmarkt

Als der Kaffee in der DDR plötzlich eine teure Mangelware wurde

Am 1. August 1977 brachte die DDR-Führung den „Kaffee-Mix“ auf den Markt, halb schlechter Kaffee, halb Ersatzstoffe. Chronik eines grandiosen Scheiterns.

Die beiden trinken bestimmt richtigen Bohnenkaffee in ihrer Küche in Prenzlauer Berg im Jahr 1977.
Die beiden trinken bestimmt richtigen Bohnenkaffee in ihrer Küche in Prenzlauer Berg im Jahr 1977.dpa/Heinz Junge

Berlin-DDR-Bürger erfuhren von den Beschlüssen des SED-Politbüros für gewöhnlich auf labyrinthischen Wegen, auch und gerade wenn es um die Versorgung mit Gütern des Grundbedarfs ging. So war es auch, als das höchste Gremium der Regierungspartei am 26. Juli 1977 eine neue „Versorgungsrichtlinie für Kaffee“ beschloss.

Der wichtigste Teil des Beschlusses war nämlich geeignet, das Volk in Rage zu bringen: Der sogenannte Kaffee-Mix ersetzte die begehrte, mit 7,50 Mark für 125 Gramm billigste Kaffeemarke Kosta und enthielt nur noch 51 Prozent Röstkaffee aus echten Bohnen. Der Rest setzte sich zusammen aus gemahlenen Getreidekörnern und Hülsenfrüchten wie zum Beispiel Erbsen plus einer Dosis Zichorie (aus der Wurzel einer Chicorée-Verwandten). Das Rezept stammte aus dem Institut für Getreidewirtschaft in Potsdam-Rehbrücke, Hersteller war das Hallenser Stammwerk des Kombinats VENAG (VEB Nahrungsmittel und Kaffee).

Kaffee-Mix: muffig, erdig, wie Kartoffelkeller

Eine Verpackung des DDR Kaffee-Mix. Für die legendäre Kaffeekrise 1977 fand das SED-Politbüro eine Lösung, die nur wenigen schmeckte.
Eine Verpackung des DDR Kaffee-Mix. Für die legendäre Kaffeekrise 1977 fand das SED-Politbüro eine Lösung, die nur wenigen schmeckte.dpa

Kaffee-Mix kostete vier Mark. Die braune Plörre schmeckte – nach brauner Plörre. Und das Pulver verstopfte die Kaffeemaschinen, was vor allem die Kantinen in den Wahnsinn trieb. Das Sturmgeschütz des Klassenfeindes, der Spiegel, ließ einen Kaffeeexperten das Ostprodukt verkosten. Sein fieses Urteil: „Muffig, erdig, erinnert irgendwie an Kartoffelkeller.“

Ein Hamburger Chemielabor fand im Mix „alternative Robustas“, also minderwertige Kaffeesorten aus Indonesien und Westafrika, allerdings mit hohem Koffeingehalt. Ein Kaffeefachmann namens Wurzinger befand, immerhin seien die Surrogate „vorzüglich abgestimmt“, und sagte dem Spiegel: „Kaffeeersatzstoffe können die in der DDR blendend machen.“ Tatsächlich gab es reichlich Erfahrung aus Kriegs- und Nachkriegszeiten.

Natürlich ahnte die Führung, dass das Volk, der große Lümmel, diese Zumutung nicht klaglos hinnehmen würde – aber auch, dass die Kaffeefrage das Potenzial hatte, eine Staatskrise auszulösen. Man musste das Problem den Leuten vorsichtig, gewissermaßen magenschonend, beibringen.

Wer seinerzeit Zeitung lesen konnte, dem schwante angesichts eigentlich kryptischer Meldungen etwas. Da brachten alle Medien am 29. Juni 1977 eine von der staatlichen Nachrichtenagentur ADN herausgegebene Meldung: Eine Gewerkschaftskonferenz in Angola habe die Bildung von Freiwilligenbrigaden angolanischer Werktätiger beschlossen. 50.000 Werktätige sollten unter dem Motto „Alle Kraft für die Kaffeeernte des Volkes!“ die aktive Teilnahme als revolutionäre Pflicht ansehen.

Plötzlich startet das Experiment

Am 26. Juli, dem Tag des Politbüro-Beschlusses, lautete die einschlägig interessante Meldung: „CSSR verändert Einzelhandelspreise.“ Beim Nachbarn Tschechoslowakei wurden demnach Kaffee und Schokolade um 50 Prozent teurer.

Hört, hört.

Schlag Ende Juli verschwand der günstige Kosta-Kaffee sang- und klanglos aus den Läden, und die silbrigen Tüten Kaffee-Mix tauchten auf. Das elektronische Archiv der Berliner Zeitung, das sämtliche Artikel seit Erscheinen 1945 enthält, weist bis dahin keinen einzigen Treffer zum Stichwort „Kaffee-Mix“ auf. Man startete offenkundig ein Experiment: Würden die Leute das schlucken?

Geld für Kaffee oder für Schulen?

Als Anfang August das Zentralkomitee der SED tagte, sprachen die Versammelten ausführlich über die Preissteigerungen auf dem Weltmarkt – vom Erdöl bis zum Kaffee. Die Einfuhren seien um zehn Prozent teurer, 4,5 Milliarden Valuta-Mark. „Das ist mehr als wir für sämtliche allgemeinbildenden Schulen ausgeben“, rechnete am 13. August der stellvertretende Chefredakteur Dr. Karl-Heinz Arnold in einer „Betrachtung zum Wochenende“ vor. Das Lebensniveau zu halten und auszubauen werde harte Arbeit verlangen.

Kaffeebaum auf einer Plantage in Brasilien: In der Saison 1975/76 war die Kaffeeernte in Brasilien extrem schlecht ausgefallen. Die Bohnen wurden knapp und teuer.
Kaffeebaum auf einer Plantage in Brasilien: In der Saison 1975/76 war die Kaffeeernte in Brasilien extrem schlecht ausgefallen. Die Bohnen wurden knapp und teuer.AP/Andre Penner

Natürlich hatten die DDR-Bürger lange zuvor aus den Westmedien von der miserablen Kaffeeernte im Hauptanbauland Brasilien erfahren, von Preisexplosionen auf dem Weltmarkt, von Kaffeeschmuggel in Tanklastern in Ostafrika. Gut Informierte wussten aus diesen Quellen auch, dass SED-Generalsekretär Erich Honecker Parteifunktionären bereits Ende Februar den Ernst der Lage erklärt hatte. Dreifach erhöhte Valuta-Preise seien für Kaffee zu bezahlen. Daher solle der Zoll großzügig übersehen, wenn in Privatpäckchen aus dem Westen oder im Gepäck von West-Besuchern mehr Kaffee gefunden werde, als in den Zollbestimmungen vorgesehen.

Der Westen wagt mehr Muckefuck

Und sie wussten auch, was etwa zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik passierte: Da tranken wegen der hohen Kaffeepreise die Leute mehr Muckefuck, also Kaffeeersatz – die Hersteller verzeichneten im Februar 1977 Umsatzsteigerungen um 25 Prozent. Der Unterschied: Die Leute wichen freiwillig aus – Marktwirtschaft eben. Die DDR-Planwirtschaft konnte sich nicht auf Marktmechanismen berufen, sie musste irgendwie aktiv werden.

Bevor der DDR-Bevölkerung der Ersatzkaffee offiziell eingeschenkt wurde, gab es deshalb noch eine wichtige ideologische Vorbereitung (am 19. August) in allen Medien: „Riesige Monopolprofite im Kaffeegeschäft.“ Die Kaffeebarone, also die multinationalen Konzerne aus den USA und Europa, machten Milliardengewinne durch Manipulation der Preise von Rohkaffee, hieß es da sicherlich zutreffend.

Wie das Ende vom Kaffee-Mix kam

Und dann, acht Wochen nach dem Kaffee-Beschluss, am 23. September, kam – wieder über ADN – eine „Mitteilung des Ministeriums für Handel und Versorgung“ heraus, ein kleinlautes Eingeständnis des grandiosen Scheiterns. Unumwunden wird das Problem benannt: „… ist bis Mitte September der Kaffeeverbrauch in der DDR – trotz der seit August weggefallenen Sorte ,Kosta‘ um 2290 Tonnen, das sind 8,5 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, gestiegen“. 300 Millionen Dollar müssten für den Jahresverbrauch von Kaffee aufgewandt werden, die Weltmarktpreise lägen um rund das Vierfache höher als 1975.

Die Leute hatten Kaffee-Mix liegen gelassen und stattdessen die Sorten Mona und Rondo zum unveränderten Preis auf Vorrat gekauft. Und das Ministerium hielt den Leuten nun das Vorbild USA vor, wo der Kaffeeverbrauch wegen der hohen Preise um 40 Prozent gesunken sei, und die Leute Mischkaffee und Tee tränken.

Das von der SED-Parteiführung vorgeschobene Handelsministerium versprach: „Die Qualität der Mischkaffeesorte Kaffee-Mix wird verbessert“ und dieser werde verbilligt.

Es dauerte noch etwas mehr als ein Jahr bis zur Einstellung der Produktion von Kaffee-Mix. Doch der Schaden war angerichtet, und die Wirkungen der Kaffeekrise waren enorm. Die Leute verglichen nämlich die Versorgung mit der ihrer Brüder und Schwestern im Westen. Darin lag die eigentliche Sprengkraft – immerhin befand man sich im Wettbewerb der Systeme. Die Führung hatte die Lektion durchaus verstanden: Am Volksgenussmittel Kaffee durfte man sich ebenso wenig vergreifen wie am Alkohol.

Kaffeearoma aus dem Chemielabor

Man ließ nichts unversucht. So erhielt die Chemiefabrik Miltitz, ein Betrieb des Kosmetik Kombinats Berlin, den Parteiauftrag: „Macht Aroma für den Kaffeeersatz.“ Erdbeer- oder Vanillearomen konnten die Chemiker herstellen – aber Kaffee? Das war noch niemandem in der Welt gelungen.

Immerhin besteht die Kaffeebohne aus mehr als 1000 Einzelsubstanzen. Kombinatsdirektorin Christa Bertag erinnert sich amüsiert: „Also haben sie sich rangemacht, verschiedene Muster zusammengerührt. Dann rückten die Mitglieder der ZK-Abteilung zur Verkostung an: eine Katastrophe. Es hat so erbärmlich geschmeckt.“ Proben für das Politbüro wurden mitgegeben, „dann war das Thema vom Tisch“.

Rettung aus Angola?

Einen langfristigen Ausweg aus den Problemen zur Versorgung mit Kaffee, Gewürzen und Südfrüchten suchte die Partei- und Staatsführung mit den Brüdern im Süden wie zum Beispiel in Vietnam. In Äthiopien tauschte man Kaffee gegen Waffen, in Angola gegen Lastwagen der Marke W50 aus Ludwigsfelde, Allradfahrzeuge für die Kaffeeernte in bergigem Gelände. FDJ-Freundschaftsbrigaden errichteten in mehreren angolanischen Provinzen Reparaturwerkstätten. Die Autorin, die dort fast ein Jahr in Luanda und Lobito als Dolmetscherin von Freundschaftsbrigaden arbeitete, verdankte der Kaffeekrise eine aufregende, lebensprägende Erfahrung.

Ende der 1970er-Jahre stabilisierte sich der Weltkaffeemarkt. Angeblich hatten DDR-Bürger den Kaffee-Mix „Erichs Krönung“ genannt. Das schrieben jedenfalls Nachwendejournalisten einer vom anderen ab. Womöglich nichts weiter als der sagenhafte „Telespargel“.