Palästina sei keine menschenleere Wüste gewesen, bevor 1948 der Staat Israel entstand. Miki Hermer zitiert diesen Satz bei der Vorstellung einer Analyse des Israelbilds in Berliner Lernmaterialien. Der Satz stammt aus einem Berliner Schulbuch. Er zeige exemplarisch die Schieflage bei der Darstellung des Staates Israel und des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern in den in Berlin und Brandenburg in der Sekundarstufe I genutzten Schulbüchern, erklärt Hermer. Sie ist Projektleiterin der Berliner Aktionswochen gegen Antisemitismus von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Und sie ist auch eine der vier Autorinnen der Studie.
Der Satz beschreibt zunächst zutreffend, dass auf dem Gebiet des britischen Mandatsgebiets Palästina vor 1948 eine Bevölkerung lebte. Miki Hermer kritisiert, dass dann aber eine wichtige Information Schülern vorenthalten werde. Juden lebten schon immer neben Arabern auf dem Territorium, auf dem 1948 der Staat Israel entstand. Berliner Schülern werde suggeriert, dass Juden aus Europa auf ausschließlich arabisch bewohntem Gebiet einen Staat gegründet hätten.
Bilder weckten Emotionen
Bei der Vorstellung der Studie der Amadeu-Antonio-Stiftung und des Mideast Freedom Forum Berlin wird auch auf eine Doppelseite aus einem Lehrbuch verwiesen. Zu sehen seien israelische Soldaten und palästinensische Frauen und Kinder in einem Flüchtlingslager. In den meisten untersuchten Schulbüchern fänden sich solche emotionalisierenden Darstellungen, erklärt Hermer.
Die Schulbücher, sagt sie weiter, verletzten Standards, die 1976 im Beutelsbacher Konsens für die politische Bildung in der Bundesrepublik entwickelt worden sind. Er sieht vor, dass Lehrkräfte Schüler nicht indoktrinieren dürfen. Sie sollen sich durch eine kontroverse Darstellung eines Themas eine eigene Meinung bilden und befähigt werden, selbstwirksam an politischen Prozessen teilzunehmen.
Für die Analyse wurden neun Bücher für das Fach Geschichte und vier für den Politikunterricht der großen Schulbuchverlage Klett, Westermann und Cornelsen begutachtet. Diese wurden zwischen 2013 und 2018 veröffentlicht und sind für neunte und zehnte Klassen gedacht. Berlin und Brandenburg verwenden die gleichen Lehrmittel. Fachkonferenzen der einzelnen Schulen können Schulbücher auswählen. Lehrer können allerdings auch eigene Lernmaterialen im Unterricht einsetzen. Ziel ist es, dass Schüler die im Rahmenlehrplan vorgesehenen Kompetenzen mithilfe der eingesetzten Lernmittel erreichen.
Zur Methodik der Studie erklärte Hermer bei der Präsentation, dass zum einen Bildmaterial und verwendete Begriffe auf Korrektheit und Fairness untersucht wurden. Zum anderen sei es um die Multiperspektivität der Quellen gegangen. Historiker verstehen unter dem Begriff die Darstellung von geschichtlichen Sachverhalten anhand von Quellen unterschiedlicher Perspektive. Ausschlaggebend ist die Ausgewogenheit im Verhältnis der Quellen.
Die Studienautoren stellten fest, dass der Staat Israel stets im Kontext des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern zum Unterrichtsgegenstand wird. Die Art der Darstellung sei dabei verkürzt. Historische Hintergründe würden den Schülern unzureichend erklärt. Der Konflikt werde stattdessen häufig auf eine religiöse Dimension reduziert, ohne die Interessen der politischen Akteure auszuleuchten. Es entstehe so der Eindruck eines ewigen und eigentlich unlösbaren Streits zwischen Islam und Judentum. Auswege aus dem Konflikt durch Friedensverhandlungen, wie etwa der Oslo-Prozess in den 1990er-Jahren, würden nur am Rande erwähnt.
Studie kritisiert das verwendete Bildmaterial
Schon das verwendete Bildmaterial lege den Schülern nahe, dass Israel für den Konflikt allein verantwortlich sei und die Palästinenser in einer für sie ausweglosen Lage zu Gewalt griffen. Zivile Opfer auf israelischer Seite durch palästinensische Terroranschläge fänden kaum Erwähnung. Die den Schülern vermittelte Deutung könne ein Brandbeschleuniger für Antisemitismus sein, befindet die Studie.
Auf Kritik stößt auch die Verwendung von fiktiven Quellen. Anstatt sich aus umfangreichem Forschungsmaterial zu bedienen, würden Schulbuchautoren oft erfundene Figuren stereotyp für die Konfliktparteien sprechen lassen. Eine Multiperspektivität werde auf diese Weise nur vorgetäuscht.
Die Ausgaben „Geschichte und Geschehen“ des Klett-Verlags aus dem Jahr 2017 und „Projekt G“, gleichfalls vom Klett-Verlag 2013 veröffentlicht, werden bei der Vorstellung der Studie als positive Gegenbeispiele präsentiert. Miki Hermer fasst zusammen, was sie von anderen untersuchten Büchern unterscheidet: Die Bücher enthielten Verweise auf den Holocaust, der Überlebende in Europa zu „displaced persons“ machte. Deportierte mussten nach dem Zweiten Weltkrieg weit entfernt von ihren Heimatländern leben. Juden hatten oft keine realistische Chance auf eine Rückkehr in die Herkunftsländer.
Die beiden genannten Bücher leuchten nach Ansicht der Autorinnen der Studie auch die Interessen der Regional- und Großmächte vor der Gründung Israels und im Verlauf der späteren Jahre aus. Sie stellten zudem die Entstehung der zionistischen Bewegung in den Kontext des wachsenden Antisemitismus des 19. Jahrhunderts.
Ilas Körner-Wellerhaus vom Klett-Verlag nahm bei der Vorstellung der Studie Stellung. Er betonte, dass viele der genannten Bücher heute nicht mehr erschienen. Er verweist auf Workshops unter anderem mit dem Zentralrat der Juden, bei denen es um eine antisemitismussensible Darstellung von Lerninhalten gehe. Körner-Wellerhaus erläuterte, dass es üblicherweise Lehrer seien, die Texte für Schulbücher schrieben. Sein Verlag setzte aber auch verstärkt auf wissenschaftliche Expertise.
Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin, Samuel Salzborn, verwies bei der Vorstellung der Studie auf die Verantwortung der Schulen bei der Auswahl des Materials. „Es gibt keine formalistische Schulbuchkontrolle“, sagte Salzborn. Das in den Büchern vermittelte Israelbild könne Vorurteile verstärken, die durch soziale Medien und bisweilen auch durch das Elternhaus geschürt würden, mahnte Salzborn.
Eine deutsch-israelische Schulbuchkommission hat im Jahr 2015 Empfehlungen vorgelegt, wie das jeweilige Land im Unterricht behandelt werden sollte. Dirk Sadowski vom Georg-Eckert-Institut in Braunschweig ist der Koordinator der Kommission. Die bilaterale Arbeitsgruppe plädierte unter anderem dafür, Israel nicht nur im Kontext von Krieg darzustellen und bei der Darstellung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern Themen wie Wirtschaft und Kultur mit einfließen zu lassen. Die Kultusministerkonferenz der Länder hat 2016 zu den Empfehlungen der Kommission eine gemeinsame Erklärung verfasst.
Deutsch-israelische Schulbuchkommission gab Empfehlungen
Dirk Sadowski hat die Ergebnisse der Studie zum Israelbild in Berliner Schulbüchern noch nicht geprüft. Einige Feststellungen erscheinen ihm aber schon jetzt plausibel. Er rät dazu, möglichst aktuelle Schulbücher zu verwenden. Sie berücksichtigten die Empfehlungen der Schulbuchkommission stärker.
Sadwoski berichtet von Workshops des Georg-Eckert-Instituts für Redakteure der großen Schulbuchverlage. Sie redigieren die von Autoren erstellten Texte. „Ich beobachte bei den Verlagen eine große Offenheit“, sagt Sadowski.
Die Behandlung des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern ist in Berlins Schulen fakultativ. Da es in der Stadt viele Klassen mit Schülern mit einem arabischen Hintergrund gibt, sei es wichtig, den Konflikt ausgewogen darzustellen. „Die Schüler bekommen Informationen aus dem Elternhaus oder dem Internet. Die Schule und Schulbücher können als Korrektiv wirken“, sagt Sadowski.






