Die Debatte über die offizielle israelische Politik gegenüber den Palästinensern konzentriert sich wiederholt auf die Frage, ob man von Apartheid – nach dem südafrikanischen Muster – sprechen kann oder nicht.
Die Debatte scheint mir immer sinnloser zu sein. Die Frage ist, ob man die offizielle israelische Politik für richtig oder für falsch und für unmoralisch hält, nicht, wie man sie benennt.
Die südafrikanische Apartheid war rassistisch begründet und basierte auf der Unterdrückung von 80 Prozent der schwarzen Mehrheit des Landes durch eine weiße Minderheit. Schwarzhäutige und weißhäutige Südafrikaner wurden strikt voneinander getrennt – im öffentlichen Verkehr, in Restaurants, auf den öffentlichen Toiletten usw. In den palästinensischen Gebieten existiert diese Art von Diskriminierung so gut wie gar nicht; gegenüber palästinensischen Israelis, also israelischen Staatsbürgern, schon ganz bestimmt nicht.
Bei aller berechtigten Kritik an der Situation im Kernland von Israel, wo palästinensisch-israelische Staatsbürger pro forma dieselben Rechte haben wie die jüdische Mehrheit, aber praktisch viel an der israelischen Innenpolitik auszusetzen haben, ist es statistisch bewiesen, dass die palästinensische Bevölkerung nicht zu ihren Volksgenossen in den besetzten Gebieten stoßen will, schon wegen des viel höheren Lebensstandards in Israel.
In Israel amtiert ein arabischer Richter im Hohen Gericht, es gibt eine Reihe von arabischen Richtern an den Gerichtshöfen und viele arabische Ärzte in Israels hochentwickeltem Gesundheitswesen. Arabische Israelis arbeiten an Universitäten, vor allem an der Universität von Haifa. Die Anzahl der arabisch-israelischen Millionäre im Land wächst. Arabische Journalisten schreiben im perfekten Hebräisch für jüdische Zeitungen.
Das soll durchaus nicht bedeuten, dass Israel für seine arabischen Bürger ein Paradies ist. Jüdischer Nationalismus ist klar anti-arabisch und geht von der radikalsten Rechten aus. Das Paradox übrigens ist: Wenn die 20 Prozent arabischer Bürger 20 Prozent der Sitze im israelischen Parlament, der Knesset, belegen würden, käme eine israelische Regierung ohne Araber kaum zustande. Doch trotz freier Wahlen nehmen die meisten Palästinenser in Israel ihre Rechte nicht wahr. Von Apartheid kann also nicht die geringste Rede sein.
Anstatt sich mit dem Inhalt der Politik zu befassen, diskutiert man über einen Begriff, der nicht passt.
In den besetzten Gebieten, also hauptsächlich in der Westbank, ist die Situation anders. Die jüdisch-nationalistische Mehrheit unterdrückt die nationalen Bestrebungen der palästinensischen Bevölkerung durch eine militärische Besatzungspolitik, die man mit Recht als „quasi-kolonial“ bezeichnen kann. Quasi, denn das Ziel der radikalen Nationalisten ist die Besiedlung der Gebiete, nicht die Ausnutzung durch ein kolonialistisches Zentrum. Die Unterdrückung der Palästinenser hat allerdings nichts mit der Hautfarbe zu tun. (Viele der israelischen Juden sind, im Unterschied zu den Palästinensern, dunklerer Hautfarbe). Die Feindseligkeit ist national, nicht rassisch. Auch das ist ein Unterschied zur ursprünglichen Apartheid.


