Kommentar

Israels Ex-Botschafter: „Was in Palästina geschieht, ist Apartheid“

Zwei ehemalige Botschafter Israels für Südafrika appellieren an den Ökumenischen Rat der Kirchen, Israels Siedlungspolitik als Apartheid zu verurteilen. Ein Kommentar.

2. September 2022: Eskalation zwischen palästinensischen Demonstranten und israelischen Soldaten, nachdem erstere im Westjordanland im Dorf Kfar Qaddum nahe der jüdischen Siedlung Kedumim gegen die Enteignung palästinensischen Landes durch Israel protestiert haben.
2. September 2022: Eskalation zwischen palästinensischen Demonstranten und israelischen Soldaten, nachdem erstere im Westjordanland im Dorf Kfar Qaddum nahe der jüdischen Siedlung Kedumim gegen die Enteignung palästinensischen Landes durch Israel protestiert haben.imago/APA images

Als ehemalige israelische Botschafter in Südafrika erfuhren wir die Realität von Apartheid und die Schrecken, die sie verursachte, aus erster Hand. Wir haben damals mit eigenen Augen gesehen, wie die Opfer und ihre Verbündeten gegen diese Ungerechtigkeit gekämpft haben. Und wie die Welt sich ihnen allmählich im Kampf für die Beendigung der Apartheid in Südafrika angeschlossen hat.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung steigt unsere Beunruhigung über die Realität im Westjordanland sowie in Ostjerusalem, wo wir die Apartheid, wie wir aus Südafrika kannten, heute im sprichwörtlichen eigenen Hinterhof wiederfinden. Als zwei Israelis, die ihr ganzes Berufsleben der Vertretung von Israels Interessen gewidmet haben, ist es für uns schmerzlich mitanzusehen, wie unser Land diese Ungerechtigkeiten heute in den besetzten palästinensischen Gebieten weiterführt.

Wir teilen die traurige, aber richtige Einschätzung mit der des südafrikanischen Bischofs Frank Chikane und anderen Mitgliedern der Untersuchungsmission des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), zu der sie während ihres Besuchs in Israel und Palästina Anfang dieses Jahres gekommen sind. Von ihnen erfuhren wir, dass dieser Tage die ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe tagt, wo unter anderem eine Resolution zur israelischen Apartheid diskutiert werden soll.

Alon Liel (l.) und  Ilan Baruch (r.)
Alon Liel (l.) und Ilan Baruch (r.)Twitter

Großteil des Westens schweigt zur Realität in den palästinensischen Gebieten

Wir hoffen, dass die Mitglieder der Vollversammlung die Realität in den besetzten palästinensischen Gebieten als das anerkennen, was sie ist: als Apartheid. Sie würden damit einen entscheidenden Schritt zur Förderung von Ehrlichkeit und Gerechtigkeit leisten, während ein Großteil der westlichen Welt weiterhin dazu schweigt. Seit mehr als einem halben Jahrhundert arbeitet Israel daran, sowohl die Geografie als auch die Demografie der besetzten palästinensischen Gebiete durch expansive Siedlungspolitik zu verändern – eine Politik, die nach internationalem Recht illegal ist.

Jene Siedlungen befinden sich zwischen und um palästinensische Gemeinden herum, wodurch in der palästinensischen Bevölkerung sogenannte Enklaven entstehen. Durch die Isolierung jener Gemeinden in dichte, zersplitterte Nester hält Israel die unerwünschte Bevölkerung in Schach und verschärft seine Kontrolle über sie – eine frappierende Ähnlichkeit mit den Bantustans der südafrikanischen Apartheid.

Die vollständige geografische Zersplitterung des Westjordanlandes verhindert, was man als „territoriale Kontinuität“ der Palästinenser bezeichnen könnte – die Möglichkeit eines zusammenhängenden palästinensischen Gebiets. Sie lässt keinen Zweifel an Israels Absicht, die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern und seine Militärherrschaft über die Palästinenser zu verfestigen. Apartheid wird im Westjordanland darüber hinaus auch durch ein duales Rechtssystem verfestigt. Während die israelischen Siedler unter israelischem Zivilrecht mit vollen bürgerlichen und politischen Rechten leben, stehen die Palästinenser auf demselben Landstrich unter Militärrecht und haben keinen Einfluss auf das über sie herrschende Organ.

Zwei Rechtssysteme, nach ethnischen Kriterien

Kann die Politik der Trennung und eines zweistufigen Rechtssystems, das auf nationaler und ethnischer Diskriminierung beruht, etwas anderes sein als Apartheid? Prominente israelische und internationale Menschenrechtsorganisationen wie Yesh Din, Human Rights Watch und Amnesty International sind nach eingehender Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass das Verbrechen der Apartheid gemäß der Definition im Römischen Statut in den besetzten palästinensischen Gebieten begangen wird.

Es muss außerdem betont werden, dass es nicht antisemitisch ist, Israels Behandlung der Palästinenser als Apartheid zu bezeichnen. Als jüdische Israelis sind wir der Auffassung, dass die Instrumentalisierung des Antisemitismus zur Erreichung eines politischen Ziels eine glasklare Missachtung des Begriffs darstellt. Wir sind zudem besorgt über den Versuch der deutschen Regierung, den ÖRK unter Druck zu setzen, eine  Resolution zur israelischen Apartheid zu verhindern. 

Israel entfernt sich von der Vision der Gründerväter

Jene Intervention erfolgt angeblich zur Unterstützung Israels, führt aber in Wirklichkeit dazu, dass Israel sich immer weiter von der demokratischen Vision seiner Gründerväter entfernt. Es ist an der Zeit, dass die Kirchen weltweit und die Freunde Israels erkennen, dass sich wiederholt, was wir vor Jahrzehnten in Südafrika erlebt haben.

Nachdem wir miterlebt haben, welche entscheidende Rolle die Kirche bei der Beseitigung der Apartheid in Südafrika gespielt hat, ermutigt es uns, dass sich ihre wichtigsten Akteure Jahrzehnte später – da das Thema Apartheid noch immer aktuell ist – weiterhin gegen Ungerechtigkeit einsetzen.

Wir hoffen, dass der Rest der internationalen Gemeinschaft, einschließlich Deutschlands, entschlossene diplomatische Maßnahmen ergreifen wird, um die Apartheid in den besetzten palästinensischen Gebieten zu beenden und eine Zukunft in Gleichheit, Würde und Sicherheit für Palästinenser und Israelis gleichermaßen zu schaffen.

Ilan Baruch diente als israelischer Botschafter in Südafrika, Namibia, Botswana und Simbabwe. Dr. Alon Liel diente als israelischer Botschafter in Südafrika und als Generaldirektor des israelischen Außenministeriums.