Kos Calling

Wie man Geld mit gestressten Berlinern machen kann

Mögen Sie Griechenland und haben Lust auf eine andere Art von Urlaub? Dann werden Sie womöglich schon bald mit Farbe und Pinsel von Insel zu Insel wandern.

Ruhe vor dem Massenansturm der Touristen.
Ruhe vor dem Massenansturm der Touristen.Imago

Ein im Baustellenbusiness tätiger Bekannter und passionierter Wortspielhöllenhund fragte früher bei jeder drittbesten Gelegenheit: „Weißt du eigentlich, was Selbstständigkeit bedeutet?“ Nein, leider schon wieder vergessen, aber ja, bitte sag es mir doch unbedingt noch mal. „Dass man selbst und ständig arbeitet.“ Dann schlug er immer seine im Baustellenbusiness gestählte Pranke auf meine schlappe Angestelltenschulter und lachte ohne Anspruch auf Gesellschaft nur für sich allein.

Selbstständigkeit ist eher nichts für mich, dafür ist mein Sicherheitsbedürfnis zu groß, meine Risikobereitschaft zu klein. Aber manchmal im Urlaub, wenn ich es nach ein paar Tagen schaffe, die meisten Gedankenbrücken nach Berlin abreißen zu lassen, stelle ich mir vor, wie es wäre, einfach mal auszuwandern und irgendwo irgendeine Geschäftsidee zu entwickeln, diese selbst und ständig zu verbessern, bis aus ihr ein Geschäftsmodell erwächst, ein Imperium womöglich. Neulich in Griechenland wollte ich zum Beispiel ein imperialistischer Maler werden. Also jemand, der schwungvoll Farbe auf Hausfassaden aufträgt. Es scheint da einen riesigen Bedarf zu geben.

Dazu muss man wissen, dass es eine Saison neben der Nebensaison gibt, und in dieser Nebennebensaison ist die griechische Insel Kos eine zwischen Meer und Bergen eingespannte Blumenwiese, aber eben auch eine Baustelle. Überall wird gebohrt und gehämmert, hier was verlegt, dort was verputzt. Noch ist ja Zeit, wieder auf Postkartenmodus zu schalten. Denn März und April, das sind die Monate vor dem Massenansturm der Touristen, die erst ab Mai über die Ägäis einschweben, in Mietwagen umsteigen und die nicht mal ein Zehntel vom Saarland große Insel Kos in eine deutsche Exklave verwandeln.

Aber noch haben viele Geschäfte, Restaurants und Bars geschlossen, in den verwinkelten Gassen sind mehr Katzen als Menschen unterwegs, an den Stränden herrscht feie Liegeplatzwahl, und 17 Grad Wassertemperatur sind gut für die Abwehrkräfte, man muss sich nur trauen, sie zu aktivieren. Das türkische Festland ist jedenfalls nur fünf Schwimmkilometer entfernt.

März und April, das sind vor allem aber die Monate der alten Malermeister, die mit Fluppe im Mundwinkel die im Winter leicht bräunlich oder gelblich verfärbten Häuser mit strahlendem Weiß übertünchen und selten den Eindruck vermitteln, als hätten sie es eilig. Sie sitzen auf wackeligen Hockern oder stehen waghalsig auf Leitern, tauchen Pinsel in Eimer, tragen Schicht für Schicht auf, während die Schatten wandern und irgendwann in der Nacht verschwimmen. So einem alten Malermeister bei der Arbeit zuzuschauen, das ist wie Detox für die gestresste Großstadtseele. Das Leben hier ist mehr Mastodon als Twitter.

Und jetzt kommt die Geschäftsidee: Kos ist ja nur eine von über 3000 griechischen Inseln, also stelle ich mir vor, wie gestresste Berliner immer ab März mit Pinsel und Farbe bewaffnet auf Wanderschaft gehen und den Insulanern die Arbeit abnehmen. Wie die Ruhe der Nebennebensaison so erholend auf sie abfärbt, dass sie jedes Jahr wiederkommen wollen. Könnte funktionieren, oder? Wird Zeit, den alten Bekannten aus dem Baustellenbusiness anzurufen. Er könnte selbst und ständig als Farbwanderführer arbeiten. Nur eben für mich.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.