Kommentar

Vorbild Spanien: Enttabuisiert endlich die Menstruation!

Spanien will einen gesetzlichen Menstruationsurlaub einführen. Frauen mit starken Regelschmerzen sollen Zusatzkrankheitstage bekommen. Warum das progressiv ist.

Berliner Zeitung/Pajović

Seit dieser Woche müssen Bildungsstätten und öffentliche Einrichtungen in Schottland kostenfreie Menstruationsartikel zur Verfügung stellen. So will man der sogenannten Periodenarmut entgegenwirken. Auch Deutschland zeigte 2019 guten Willen, als unter Finanzminister Olaf Scholz für Periodenprodukte die Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent gesenkt wurde. Leider kein langfristiger Erfolg, denn Hersteller und Drogerieketten hoben die Preise sogleich wieder an.

In Spanien dagegen wird derzeit eine ganz andere Debatte geführt: Sollten Frauen, die während ihrer Periode unter besonders starken Schmerzen leiden, mindestens einen gesetzlich verankerten, bezahlten Krankheitstag pro Monat bekommen? Die Regierung findet: Ja. Und hat im Mai einen entsprechenden Gesetzesentwurf für den Menstruationsurlaub vorgelegt. Dieser ist etwa in nicht-europäischen Ländern wie Japan seit 1947 gängige Praxis. So auch in Südkorea, Taiwan, Indonesien, Sambia und China.

Ein Urlaub, der eigentlich keiner ist

Unterleibskrämpfe, Schwindel, Kopfschmerzen und Schwäche: Diese Beschwerden sind für viele Frauen häufige Begleiterscheinungen ihrer Monatsblutung. Bei jeder zehnten Frau sind die Schmerzen sogar so stark, dass sie ihren Alltag teils tagelang nicht wie gewohnt bewältigen kann – oft ist Endometriose in Verdacht. Dabei wuchert die Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter, was heftige Regelschmerzen verursachen kann. Betroffene erzählten mir, sie müssten sich vor Schmerzen manchmal übergeben oder würden sogar ohnmächtig.

Endometriose wird viel zu selten diagnostiziert, weil die Periode nach wie vor tabuisiert wird und weil viele Betroffene die Schmerzen für normal halten – und dabei nicht wissen, wie die Periode und ihre Begleiterscheinungen bei anderen ausfallen. Nicht wenige schleppen sich mit Schmerzmitteln zur Arbeit oder in die Schule. Frauen belasten ihren Körper schon früh mit Hormonen der Antibaby-Pille, um funktionieren zu können. Alle anderen machen es ja auch so. Dass eine Kollegin sich freinimmt, „weil sie ihre Tage hat“, ist die Ausnahme. Im Zweifel leugnen Frauen lieber ihre Beschwerden und schieben „Bauchschmerzen“ als Ausfallgrund vor. Warum eigentlich?

Die Periode ist nach wie vor ein Tabu

Der römische Gelehrte Plinius schrieb, die „Frau mit Blutfluss“ verderbe Ernten und töte Bienen; „berührt sie den Wein, so wird er zu Essig“, auch Milch werde sauer. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Frauen in französischen Raffinerien verboten, während ihrer Periode eine Fabrik zu betreten. Sonst würde der Zucker schwarz. Und der Wiener Arzt Béla Schick glaubte, erkannt zu haben, seine Blumen seien nur deshalb verwelkt, weil das Dienstmädchen seine Periode gehabt hätte – das war 1919. Wer denkt, knappe 100 Jahre später hätten wir uns von derartigen Stigmata losgesagt, irrt.

Tampons werden in Büros immer noch wie verbotene Drogen ausgetauscht. Menstruationsblut ist in Werbungen teils nach wie vor blau, das wirkt weniger bedrohlich und steriler. Und nicht wenige Männer lässt der Satz „Ich habe meine Tage“ eher beschämt zusammenzucken. In der Schule hatte ich einmal Unterricht bei einer Referendarin, auf deren Hose ein Blutfleck war. Immer wenn sie sich zur Tafel drehte, fingen alle an zu kichern. Nach dem Unterricht hat eine Schülerin sie aufgeklärt. Sie lief an dem Tag nur noch mit heruntergezogenem Pullover durch die Flure.

Frauen schämen sich für ihre Periode, weil Männer entschieden haben, dass sie das sollen. Stets galt die Periode als Beweis für die Fehlerhaftigkeit der Frau und ihre vermeintliche Abnormität vom patriarchalen Maßstab – dem Mann. Wie wenig wir heute über die Periode sprechen, ist auch ein Indiz dafür, dass wir noch lange keine aufgeklärte Gesellschaft sind. Etwas Urweibliches wird kleingemacht und stigmatisiert. Der Mann ist die Norm. Und da sein Reproduktionssystem vergleichsweise simpel ist, hat in den Augen der Gesellschaft auch das der Frau simpel zu sein – oder zumindest soll sie so tun, als ob es das wäre.

Menstruationsurlaub wäre ein Hebel der Veränderung

Nähme man sich dieser Realität politisch an, könnte das grundlegende Veränderungen herbeiführen. Der Menstruationsurlaub könnte zum gesetzlichen Hebel der Enttabuisierung der Menstruation werden, indem weibliche Lebensrealitäten Einzug ins Gesetz finden. Frauen, die aus Scham und Versagensangst mit starken Regelschmerzen zur Arbeit gehen, würden merken, dass sie das nicht müssen – und auch keine erfundene Erkrankung vorschieben müssen. Sie würden lernen, dass das Phänomen der Monatsblutung in einer männlich dominierten Arbeitswelt ein legitimer Grund ist, zu Hause zu bleiben.

Der weibliche Zyklus und Krankheiten wie die Endometriose sind übrigens nach wie vor weitgehend unerforscht. Neue Medikamente werden aufgrund der Hormonkonstante meist an Männern getestet. Dabei reagieren Frauenkörper unter hormoneller Schwankung oft völlig anders. Zu Erektionsstörungen beim Mann gibt es fünfmal mehr Studien als zum prämenstruellen Syndrom. Und das, obwohl die männliche Störung vergleichsweise viel seltener vorkommt. Würde die Periode politisch anerkannt, könnte dies auch Druck auf Pharmakonzerne ausüben, ihre Forschung endlich zu verstärken.

Schadet so ein Gesetz Frauen nicht auch?

Klar ist auch: Eine Arbeitnehmerin, die eine Möglichkeit auf mehr bezahlte Urlaubstage hat, kann teurer werden als der männliche Kollege. Hier könnte man es mit der Angst zu tun bekommen, Frauen könnten neue Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt erfahren. Oder gar, dass Frauen im Zweifelsfall gar nicht erst eingestellt würden, um Unternehmen vor finanziellen Einbußen zu bewahren.

Deutschland hat nach den USA, China und Japan das weltweit höchste Bruttoinlandsprodukt. Nicht ganz unbedeutend sind dafür einige Tugenden, die man Deutschen nachsagt: Fleiß, Disziplin und eine gewisse Aufopferungsbereitschaft für den Arbeitgeber. Letzterem scheint auch Krankheit nur selten einen Abbruch zu tun: 47 Prozent der Männer gaben bei einer Umfrage an, trotz Krankheit zur Arbeit zu gehen. Unter den Frauen ist der sogenannte Präsentismus mit 56 Prozent sogar noch verbreiteter. Dass die Einführung eines Menstruationsurlaubs das übersteigerte Pflichtbewusstsein durch schlagartige Ausfälle ersetzen würde, scheint fernliegend. Ein menstruationsbedingter Wirtschaftseinbruch ist somit eher abwegig.

Auch gibt es in Deutschland, anders als etwa in Spanien, etwas, das sich Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nennt: Wer unter seiner Menstruation stark leidet, kann bei uns also bezahlt zu Hause bleiben. Nur ist die Menstruation eben keine Krankheit – und wird daher noch weniger wie eine behandelt.

Die Realität des Arbeitsmarktes zeigt letztlich einmal mehr, dass er großteils von Männern für Männer gemacht wurde. Auch hier wird deutlich, wie weitreichend die Debatte um Männer, die über Frauenkörper entscheiden, tatsächlich ist. Die in den USA vom Supreme Court gekippte Grundsatzentscheidung für Abtreibung, Roe v. Wade, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wenn wir einen Menstruationsurlaub mit Verweis darauf ablehnen, dass Frauen neue Diskriminierungen bei der Einstellung erfahren müssten, drehen wir uns im Kreis. So wären es am Ende nämlich wieder Männer in Machtpositionen, die über den Umgang mit dem weiblichen Körper entscheiden.

Gleichberechtigung und Gleichheit sind keine Synonyme

Es gibt zwei Wege, Regelbeschwerden und die Arbeitswelt unter einen Hut zu bringen. Entweder, man macht weiter wie bisher und tut so, als gäbe es die Beschwerden nicht. Oder die Arbeitswelt kommt der weiblichen Lebensrealität entgegen, wobei ein Menstruationsurlaub schon ein Schritt in die richtige Richtung wäre.

Weibliche und männliche Körper haben unterschiedliche Voraussetzungen. Frauen haben einen Monatszyklus, um Kinder zur Welt bringen zu können. Wer behauptet, ein freier Tag wegen Regelschmerzen ließe Frauen schwach wirken, hält das weibliche Reproduktionssystem an sich für eine Schwäche und legt noch immer das männliche Maß an. Gleichberechtigung meint aber eben nicht eine Angleichung der weiblichen an die männliche Norm, sondern die Errichtung von Verhältnissen, die an die Voraussetzungen aller angepasst sind. Periodenschmerzen als Grund für Abwesenheit von der Arbeit zu nennen, sollte nicht mit Scham und Angst verbunden sein. Dafür kann ein gesetzlicher Menstruationsurlaub den Weg ebnen.

Darüber hinaus würde die Politik zeigen, dass Tabus rund um die Periode der Vergangenheit angehören – und dass es an der Zeit ist, die einst sagenumwobene Periode weiter zu erforschen. Béla Schicks Theorie wurde 1958 übrigens widerlegt. Immerhin, seit 64 Jahren ist die westliche Medizin sich einig: Menstruationsblut lässt keine Blumen verwelken.