Berlin-Sie haben es wieder getan. Jedenfalls manche von ihnen. Unter dem Hashtag #allesaufdentisch haben sich 108 Schauspieler, Wissenschaftler und Künstler zu Gesprächspaaren formiert, um in bis zu halbstündigen Interviews über die Folgen der Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu reden, „Corona und Kinder“, „Inzidenzen“, „Antidemokratische Sprache“, „Evidenzbasierte Medizin“, „Angstkommunikation“ lauten die Themen. Der Schauspieler Volker Bruch und Wotan Wilke Möhring sind dabei, wie schon bei #allesdichtmachen. Volker Bruch zeichnet im Impressum als Verantwortlicher. Die 54 Videos sind über verschiedene Plattformen erreichbar: Vimeo, Soundcloud, YouTube. Die Künstler fordern außerdem zur Unterstützung einer Petition auf.
„Mein Name ist Volker Bruch, ich bin Schauspieler.“ Mit diesem Satz beginnt Bruchs Video bei #allesaufdentisch, mit demselben Satz beginnt sein Video, mit dem er sich vor fünf Monaten bei #allesdichtmachen beteiligt hat. Die Videoserie knüpft also formal ganz bewusst an die heftig umstrittene Aktion im April an, in der überwiegend Schauspieler gegen die weitgehende Schließung kultureller Einrichtungen und die Corona-Maßnahmen protestierten und damit in zugespitzter Form auf die prekäre Lage insbesondere von Bühnenkünstlern aufmerksam machten.
Aber es fällt auf, dass bis auf Bruch und Möhring von den prominenten Schauspielern der ersten Runde keiner dabei ist. Die Zugpferde von #allesdichtmachen hießen etwa Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Ulrich Tukur oder Meret Becker. Ebenfalls nicht mehr dabei ist das Stilmittel der Ironie. Das neue Format #allesaufdentisch ist spürbar nüchterner angelegt. Die Interviews kommen sachlich daher, es werden Experten befragt. Statt ein paar Minuten wie bei #allesdichtmachen, dauern die neuen Videos fast eine halbe Stunde. Es ist viel eher der Versuch, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Nach der Aufregung also die Aufklärung?
Viele der Gespräche lassen sich eindeutig so verstehen. Der Liedermacher Felix Meyer und der Schriftsteller Ulf Erdmann Ziegler sprechen über die Kulturkrise, die über die Erfahrung der Pandemie sichtbar geworden ist. Dabei spielt die neue Wahrnehmung und Nutzung digitaler Medien eine zentrale Rolle, Felix Meyer aber ist sich sicher, dass das Digitale nicht alle Formen der menschlichen Begegnung sowie künstlerischen Darbietung überformen werde. Ulf Erdmann Ziegler hingegen erklärt, warum er die nächtlichen Ausgangssperren während des Lockdowns problematischer fand als die Schließung der Museen. Bei den Ausgangssperren habe es sich um unwiederbringliche Eingriffe in Freiheitsrechte gehandelt, so Ziegler. Immerhin aber sei es ihm gelungen, der Frankfurter Polizei bei einem Abendspaziergang am Mainufer deutlich zu machen, dass die Zurücklegung des Wegs Teil seiner künstlerischen Arbeit sei. Die Polizisten, so Ziegler, haben ihm darauf einen guten Heimweg gewünscht.
Der Vorwurf der Manipulation
Der Staat erscheint in dieser Perspektive also nicht als Feind, sondern als ein Akteur, der viele Fehler in der Pandemie gemacht habe. Eine andere Stimmung spiegelt das Gespräch zwischen dem Dokumentarfilmer Jan Gabriel und dem Salzburger Psychologen Manuel Schabus wieder. Letzterer hat die psychischen Folgen der Corona-Maßnahmen untersucht und dabei deren erhebliche Einwirkungen insbesondere auf das Schlafverhalten festgestellt. Wer wollte dabei widersprechen? Schabus aber verfolgt auf einer zweiten Ebene seines Vortrags das Narrativ, dass die Risiken einer Corona-Infektion dramatisch überschätzt und die psychischen Folgen insbesondere in den Medien vernachlässigt worden seien. Hier taucht der zuletzt oft erhobene Vorwurf einer manipulierten Öffentlichkeit erneut auf.

Volker Bruch spricht mit dem Münchner Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen, der vorschlägt, den Begriff Faktenchecker in die Mülltonne zu werfen. „Fakten sind immer etwas Gemachtes“, sagt Meyen. Niemand sei im Besitz der Wahrheit. Faktenchecks hatten in der Corona-Zeit Hochkonjunktur, wenn es darum ging Argumente von Kritikern der Corona-Maßnahmen zu widerlegen. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sagt im Interview mit der österreichischen Schauspielerin Nina Proll, dass die Ausgrenzung auf der Basis des Impfstatus den Gleichheitsgrundsatz verletzt, der in der Demokratie gilt.
Als ein WDR-Mann Liefers kündigen wollte
Der Schauspieler Wotan Wilke Möhring spricht mit dem Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel über Meinungsfreiheit. Auch dieses Gespräch ist betont ruhig, der Schauspieler fragt interessiert, will viele Beispiele ausgeführt haben. Schwerpunkt ist dabei Steinhöfels Beschäftigung mit dem Begriff „Hassrede“, der nach seiner Erfahrung sehr dehnbar ist. Auf Beleidigungen in sozialen Netzwerken seien nicht nur Strafanzeigen, Sperrungen von Accounts und Unterlassungsklagen, sondern bereits Hausdurchsuchungen erfolgt. „Alternativlosigkeit gibt es in einer Demokratie nicht“, sagt Steinhöfel, aber in der öffentlichen Darstellung der Pandemie sei die Diskussion unterbunden worden. Sie kommen im Gespräch auf #allesdichtmachen und verweisen auf den WDR-Rundfunkrat, der nach Veröffentlichung der Videos die Kündigung von Jan Josef Liefers und Ulrich Tukur forderte. YouTube habe entschieden, alles, was gegen die Aussagen der WHO verstoße, gelöscht wird. Dagegen habe Steinhöfel in einigen Fällen protestiert.
Angesichts der Verwerfungen, die die Aktion #allesdichtmachen hervorgerufen hat, fragt man sich, ob so viel Rauch um ein paar Spielszenen und Worte angemessen waren. Bei #allesaufdentisch, so jedenfalls der Eindruck nach stichprobenartiger Wahrnehmung der Gespräche, kommt längst nicht alles auf den Tisch. Einiges wiederum wurde schon sehr oft von diesen oder anderen gesagt. Widerstreit und Kommunikation, so ein vorläufiges Resümee sind gut und wichtig, machen aber mitunter viel Arbeit. In der Welt der digitalen Medien begegnen einem viele Talking Heads, was die gleichnamige Popband einst zu der ironisch-verzweifelten Parole veranlasste: Stop Making Sense.




