Biografie und Brüche

Nacktszenen: „Sei doch nicht so prüde!“

Als junge Frau erlebte Désirée Nosbusch Demütigung und Missbrauch. Jetzt erzählt sie, warum sie dennoch an ihrem Traum festhielt – und was ihr Berlin bedeutet.

Lebt in Luxemburg, Los Angeles und Berlin: Désirée Nosbusch.
Lebt in Luxemburg, Los Angeles und Berlin: Désirée Nosbusch.dpa/Christophe Gateau

Berlin-Wir erwischen Désirée Nosbusch in Amsterdam, wo sie gerade an ihrem neuen Film „Poison“ arbeitet. Es ist das erste Mal, dass die 57-Jährige Regie bei einem Langspielfilm führt – und man kann ihr die Freude, die Leidenschaft, die sie dabei entwickelt hat, förmlich anmerken. Nosbusch war in ihrem Leben schon vieles: Kinderstar, Moderatorin, Schauspielerin. Jetzt ist sie unter die Autorinnen gegangen und berichtet in ihrer Biografie von den Schattenseiten ihrer frühen Bekanntheit, von Abhängigkeitsverhältnissen und Zeiten, die sich Gott sei Dank geändert haben.

Frau Nosbusch, wer eine Biografie schreibt, betreibt eine Rückschau aufs eigene Leben. Warum war jetzt für Sie der richtige Zeitpunkt dafür?

Der Grund war Corona: Zum ersten Mal seit langem war man gezwungen, innezuhalten, hatte Zeit, konnte nirgendwo hinreisen. Also habe ich angefangen, Begegnungen aufzuschreiben, die etwas über mein Leben erzählten.

Ihre Karriere begann mit zwölf. Sie bekamen den Stempel der „frechen Jungmoderatorin“ aufgedrückt, etwa weil Sie in einer TV-Show Ihr Unverständnis über den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß zum Ausdruck brachten. Damit handelten Sie sich ein längeres Auftrittsverbot ein.

Das war 1981, es waren andere Zeiten. Damals wurde es nicht gern gesehen, dass ein junger Mensch in einem erwachsenen Umfeld ungebeten seine Meinung äußert. Wie kommt man dazu, einem Herrn Strauß zu widersprechen? Dabei war ich einfach nur ehrlich, was ich immer bin, weil ich sonst ein Problem vor mir selbst hätte.

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Ullstein
Zur Person
Désirée Nosbusch kam 1965 in Luxemburg zur Welt. Sie begann als Radiomoderatorin im dortigen Rundfunk, später wechselte sie zu TV und Film. 2019 erhielt sie für ihre Darstellung einer skrupellosen Bankerin in der ZDF-Serie „Bad Banks“ den Grimme-Preis. Sie hat einen Sohn und eine Tochter aus der Ehe mit dem österreichischen Komponisten Harald Kloser.

„Endlich noch nicht angekommen“ ist im Ullstein-Verlag erschienen. Am 19. März stellt Nosbusch ihr Buch im Berliner Renaissance-Theater vor.

Mit 15 sind Sie los nach San Francisco, um Klaus Kinski zu interviewen. Er hat Sie in seine Hütte gebeten und Sie dann dort stundenlang allein eingesperrt. Warum ließen Sie sich am nächsten Tag dennoch auf das Interview mit ihm ein?

Weil mein gesamtes Erspartes in diesem Projekt steckte. Aus der Nummer wollte ich nicht als Verliererin gehen, das konnte ich mir gar nicht leisten. Als Kinski dann sagte, ich habe vier Stunden mit ihm, bin ich draufgesprungen, obwohl die Stunden in seinem Haus nicht schön waren und ich natürlich auch Angst hatte. Aber ich bin ja rausgekommen, es ging alles gut. Wahrscheinlich schützte mich eine gewisse Naivität, der Glaube an das Gute. Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, dass Menschen so sind wie sie sind.

Mit Kinski entstanden 45 Minuten Film, ein Gespräch, an dessen Anfang er sehr ruppig zu Ihnen ist. Später legt er Ihnen den Kopf in den Schoß und lässt seinen Gedanken freien Lauf.

Der Film lag vier Jahre lang auf Eis, ich kriegte das Material nicht verkauft. Erst mit 19, als ich schon den Grand Prix moderiert hatte, kaufte die ARD es mir ab. Nach der Ausstrahlung fragten alle, wie banal und naiv ist die Nosbusch denn drauf? Aber heute ist es ein interessantes Zeitdokument, das auch schon auf einer Kinski-Retrospektive in New York lief. Es ist wie so oft in meinem Leben: Man muss nur lang genug warten, dann wird es Zivilcourage oder cool. Ich bin da etwas asynchron unterwegs. (lacht)

Im Spiegel wurde der Film so angekündigt: „Mit ihrer kindlichen Ausfragemanier hat sich das hübsche Nichts Désirée Nosbusch erneut an einen älteren Herrn herangemacht.“ Das muss auch in der Rückschau geschmerzt haben.

Ich freue mich, dass Sie das so sehen. Damals sah das niemand so. Diese ganzen älteren weißen Männer in wichtigen Positionen, diese ganzen Schlagzeilen, von denen diese nur ein Beispiel war: Ich musste lernen, solche Dinge links liegen zu lassen. Klar tut das weh, wenn du so etwas über dich liest. Ich meine, wer ist diese Person zu sagen, dass ich ein Nichts bin? Nur hätte ich mich zu lange darüber aufgeregt, dann wäre ich ein verbitterter, kranker Mensch geworden. Ich möchte in Frieden darauf zurückblicken. Denn das Schöne ist doch: Ich bin immer noch da und kann noch immer das tun, was ich am liebsten tue.

Was war Ihr Antrieb dabei?

Ich hatte schon früh den Drang, etwas zu bewegen, zu zeigen, dass ich mehr kann als nur hübsch sein und ein paar nette Sätze in drei Sprachen zu sagen. Ich litt lange darunter, kein Abitur zu haben, das war sicher ein Minderwertigkeitskomplex. Vor laufenden Kameras habe ich dann versucht weiterzumachen, weiter zu lernen.

Im Buch erzählen Sie auch von dem Mann, der in Ihr Leben trat, als Sie ein Teenager waren. Er wurde so etwas wie Ihr Manager, Sie nennen ihn „Ihren Schatten“ und schreiben: „Er kam mir sehr viel näher, als ich es je wollte.“ Wie schwer war es für Sie, diese Missbrauchsgeschichte öffentlich zu machen?

Ich habe lange überlegt, es ganz wegzulassen und gar nicht darüber zu schreiben. Aus Angst, dass mein Buch am Ende darauf reduziert wird. Aber ich habe gemerkt, dass sich ohne diesen Teil meines Lebens mein Weg nicht erklärt. Jeder hätte sich gefragt: Was ist ihr Problem, warum rennt sie ständig von links nach rechts? Also habe ich geschrieben, was nötig ist. Mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen. Mein engstes Umfeld kennt diese Geschichte, und sie ist längst verarbeitet. Ich werde den Namen dieses Menschen nicht mehr in den Mund nehmen, das tue ich schon seit Jahren nicht mehr. Und mehr Raum gebührt dem auch nicht.

Es war immer Ihr Traum, Schauspielerin zu sein. Doch schon eine Ihrer ersten Rollen begann mit einem Vertrauensbruch. In „Der Fan“ von 1982 sind Sie minutenlang nackt zu sehen. Sie gingen ohne Erfolg gerichtlich gegen die Veröffentlichung vor, später sagten Sie, es seien Zusagen nicht eingehalten worden, die Szenen zu schneiden. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Es gab viele Jahre, in denen ich meine Spontanität und meine Offenheit verloren hatte – das hat mit solchen Erfahrungen zu tun. Ich war 16, suchte den Fehler bei mir selbst. Heute herrschen Gott sei Dank andere Zeiten. Kinder und Jugendliche, die vor der Kamera stehen, werden ganz anders geschützt. Damals hieß es bei Nacktszenen nur: „Ja, sei doch nicht so prüde!“ Das können viele meiner Kolleginnen bestätigen.

Heute wären viele Erlebnisse, die Sie schildern, ein Fall für MeToo. Wie erleben Sie diese Debatte in Deutschland?

Ich habe das Gefühl, dass hier schnell unter den Teppich gekehrt wird. Es flammt etwas auf, dann wird den Frauen unterstellt, dass sie Öffentlichkeit brauchen und sie trauen sich nicht, weiterzusprechen. So richtig an den Pranger wird keiner gestellt. Leute verschwinden, werden beurlaubt, aber ist das die richtige Weise, damit umzugehen? Es müsste lauter im Wald rascheln. Man darf nicht auf halber Strecke kehrtmachen in der Debatte, sonst wird sich nie etwas ändern.

In „Bad Banks“ spielt Nosbusch die skrupellose Bankerin Christelle Leblanc.
In „Bad Banks“ spielt Nosbusch die skrupellose Bankerin Christelle Leblanc.ZDF/dpa

Eine andere Debatte, die auch Frauen betrifft, haben Sie ebenfalls aus eigener Anschauung erlebt. Kurz vor Ihrem gefeierten Auftritt in der Serie „Bad Banks“ hatten Sie Ihre Agentin beauftragt, Sie aus der Kartei zu nehmen, weil einfach keine interessanten Rollen mehr kamen. Wieso haben es Frauen im Film ab einem gewissen Alter so schwer?

Die Rolle der Christelle Leblanc war eine tolle Chance, und ich hatte großes Glück. Aber ich sehe, was das Alter angeht, immer noch ein Missverhältnis im Vergleich zu unseren männlichen Kollegen. Das gleiche gilt in Sachen Bezahlung. Dass es da ein Gefälle gibt, kann man nicht schönreden. Bis zu echter Gleichberechtigung ist noch sehr viel zu tun.

Wir müssen noch über Berlin sprechen, die Stadt, in der Sie neben Luxemburg und Los Angeles auch leben. Wie kam es dazu?

Ich liebe Berlin. Auf der Funkausstellung begann meine Karriere, Berlin war die große weite Welt für mich, das Mädchen aus der luxemburgischen Provinz. Die Berliner waren immer gut zu mir, hier wurde ich nie dafür bestraft, den Mund zu schnell oder zu weit aufgemacht zu haben.