Kolumne

Verhaltensfrage: Darf ich mich im Voraus bedanken?

Mit dieser passiv-aggressiven Grußformel gibt man sich unterwürfig und erteilt zugleich Befehle. Das funktioniert auch bei Entschuldigungen und Einladungen.

Wer sich im Voraus bedankt, hat sich im Nachhinein vielleicht zu früh gefreut.
Wer sich im Voraus bedankt, hat sich im Nachhinein vielleicht zu früh gefreut.imago stock&people

Ist doch passend, wenn ein Unternehmen Boomerang heißt und sich für den Rücklauf von E-Mails interessiert. Es hat eine Studie dazu in Auftrag gegeben, welchen Einfluss die Grußformel bei E-Mails auf deren Beantwortung hat. Das Ergebnis ist recht eindeutig. Den schlechtesten Wert erzielten die gängigen Formeln „Beste Grüße“ (51,2 Prozent), „Freundliche Grüße“ (52,9 Prozent) oder nur „Grüße“ (53,5 Prozent). E-Mails, die mit Dankesformeln beendet werden, sind deutlich erfolgreicher, und absolute Spitze mit 65,7 Prozent ist „Danke im Voraus“. Da bleibt nicht viel Interpretationsspielraum, mancher wird die Studie als Tipp nehmen und künftig seine Grußformel anpassen. Man sollte zumindest kurz darüber nachdenken.

Denn wie lässt sich diese Effizienz erklären? Löst diese Formel so viel Endorphin bei dem E-Mail-Empfänger aus, dass er vor guter Laune nicht anders kann, als zu antworten? Oder wird er von ihr nicht eher unter Druck gesetzt? Geht, wer sich im Voraus bedankt, nicht davon aus, dass seine Bitte erfüllt zu werden hat. Und was unterscheidet eine Bitte, die erfüllt zu werden hat, von einer Dienstanweisung oder einem Befehl? Insofern wäre „Danke im Voraus“ nur ein verklausuliertes Peitschenknallen, es lässt sich auch so lesen: „Aber ein bisschen plötzlich!“

Der Dank ist eine Reaktion auf etwas. Streng genommen kann man nicht im Voraus auf etwas reagieren. Es muss erst einmal eingetreten sein. Sich im Voraus zu bedanken, bedeutet eigentlich, den anderen in einem Dialog bei vollem Bewusstsein zu ignorieren, für ihn zu sprechen und die nächsten Schritte schon einmal allein vorauszugehen. Wenn statt des Voraus wenigstens ein Konjunktiv eingebaut wäre: „Ich würde mich bedanken, wenn ...“ Aber das ist vermutlich zu locker genagelt.

Indem man den Lohn in Dankesform auszahlt, bevor überhaupt die Gelegenheit zur Erfüllung der Bitte gegeben ist, pocht man auf die Einhaltung der „erbetenen“ Leistung. Man verschafft sich mit diesem rhetorischen Winkelzug Zugang zum Karma-Management des Adressaten, pfuscht ihm in seine Handlungsautonomie und nimmt ihn in den Schwitzkasten der Höflichkeit. Einerseits bemüht man auf semantischer Ebene die Unterwerfungsgeste des Dankes, in performativer Hinsicht aber stellt man ein hierarchisches Gefälle her, indem man den anderen zu einem Handlanger erniedrigt, der gar nicht anders kann, als der Bitte nachzukommen. Eine typisch passiv-aggressive Verhaltensweise.

Rhetorisches Judo

Wo kämen wir hin, wenn wir solche prophetische Parade auch auf andere bilaterale Abmachungen anwenden würden? Wir würden auf diese Weise überall dort, wo das Verhältnis zwischen Absender und Adressat thematisiert oder impliziert wird, die Hoheit an uns reißen und den Dialogpartner in einer Art Vorwegnahme-Judo auf die Matte knallen. Zum Beispiel könnten wir im Voraus freudig eine Einladung annehmen, die vielleicht nie ausgesprochen werden würde.

Oder was ist, wenn wir einen Konflikt mit jemandem haben und eigentlich nicht mehr miteinander reden? In dem Fall könnten wir einfach den zweiten Schritt vor dem ersten machen und erklären: „Ich bin im Voraus tief befriedigt, dass Sie einsehen, im Unrecht zu sein.“ Oder wir erklären jemanden kurzerhand zum Kleinbeigeber, indem wir ihm im Voraus und mit aller Herzlichkeit verzeihen, obwohl er uns nie um Verzeihung gebeten hat. Zumal wir ihn mit unserer vorausgeschickten Vergebung möglicherweise überhaupt erst in Kenntnis davon setzen, dass er sich unserer bescheidenen Meinung nach einer Schuld bewusst sein müsste. Kein Wunder, dass da eine Antwort kommt.