Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst erinnert am historischen Ort der deutschen Kapitulation in Berlin an die Geschichte des Deutsch-Sowjetischen Krieges. Im Trägerverein sitzen Deutschland, Russland, Belarus und die Ukraine.
Nun führen drei dieser Länder miteinander Krieg. Was das für sein Haus bedeutet, erklärt der Historiker Jörg Morré im Interview.
Herr Morré, wie wird Ihr Haus den 8. Mai in diesem Jahr begehen?
Es wird anders sein als in den Jahren zuvor. Wir beschränken uns am 8. Mai auf unsere museale Tätigkeit. Das Haus ist geöffnet, auch der historische Ort, also der Saal, in dem die Oberbefehlshaber der Wehrmacht in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 vor Vertretern der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs die bedingungslose Kapitulation unterzeichneten. Wir haben eine Ausstellung über das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg und eine weitere zum Thema Zwangsarbeit von Memorial Russland. Es gibt Führungen und um 22 Uhr eine Mahnung für den Frieden. Diese ersetzt den Toast auf den Frieden, den wir normalerweise am Ende des Fests machen. Statt eines Glases Sekt für die Besucher gibt es eine Schweigeminute.
Und der Grund für diese Veränderungen ist der Krieg?
Es ist der Krieg. Es sind ja die Länder, die in unserem Trägerverein sitzen, die gegeneinander Krieg führen: Russland unterstützt von Belarus gegen die Ukraine. Wenn geschossen wird, wird nicht mehr miteinander geredet. Wir haben 30 Jahre lang einen Ansatz des Dialogs verfolgt, und obwohl sich die Ukraine seit 2014 berechtigterweise in einem Krieg mit der Russischen Föderation sieht, haben wir das überbrücken können. Aber jetzt geht das nicht mehr. Wir sind an einem Nullpunkt angekommen.

Seit 2009 ist er Direktor des Museums Berlin-Karlshorst. Zuvor arbeitete er in den Gedenkstätten Sachsenhausen und Bautzen.
Der Historiker ist Mitglied der Deutsch-Russischen Historiker-Kommission.
Können Sie auch das historische Ereignis von der Gegenwart nicht frei halten?
Das historische Ereignis steht für sich. Und wir sträuben uns gegen schräge historische Vergleiche. Geschichte wiederholt sich nicht. Was sich aber verändert, ist die Sicht auf die Geschichte sowie den 8. Mai, und da spielt dieser Krieg eine enorme Rolle. Wir merken, dass alles, was wir in unserem Haus erzählen, von den gegenwärtigen Ereignissen überwölbt wird.
Wie verändert denn der Krieg die Sicht auf den 8. Mai?
Zum einen zieht man unmittelbare Vergleiche zwischen der Geschichte und der Gegenwart. Auch gibt es nationale Zuschreibungen. In der Ukraine wird mitunter ein Narrativ gepflegt, dass alles Schlechte aus Moskau, aus Russland kommt: die großen Opfer während der Hungersnot durch die Kollektivierung Ende der 1920er-Jahre – dem sogenannten Holodomor – wie auch politische Verfolgung und Terror im Stalinismus; nur um ein paar Beispiele zu nennen. Für die Geschichtswissenschaft aber ist das nicht so eindeutig. Russland dagegen ist es nicht gelungen, den Stalinismus aufzuarbeiten und damit auch die Ängste seiner Nachbarstaaten ernst zu nehmen. Und aktuell sehen wir: Russlands Nachbarn haben diese Ängste zu Recht. Aber das ist jetzt nicht der Moment, das zu diskutieren. Wir in Karlshorst haben in den letzten 30 Jahren versucht, nationale Zuschreibungen auszuleuchten und womöglich aufzubrechen. Aber nun erfahren sie wieder eine Konjunktur. Das ist fatal für unsere inhaltliche Arbeit.
Spielt dabei eine Rolle, dass Russland den jetzigen Krieg als eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs, als Krieg gegen den Faschismus deutet?
Das ist eine Geschichtsverdrehung. Aber leider sind solche Verdrehungen durchaus handlungsleitend. Ich würde schon sagen, dass Putin das wirklich glaubt. Wir als Geschichtswissenschaftler sind vollkommen konsterniert, dass unsere jahrzehntelangen Fachdiskussionen, auch mit russischen Kollegen, offenbar so wenig gefruchtet haben. Wenn man einem Nachbarland wie der Ukraine seine nationale Unabhängigkeit abspricht, liegt die Wurzel wahrscheinlich in einem übersteigerten Nationalismus. Denn der negiert alle Grundsätze des Völkerrechts oder der Menschenrechte wie eben die Souveränität von Staaten und die Unantastbarkeit ihrer Bevölkerung. Nur wenn ich all das negiere, kann ich das tun, was die russische Armee jetzt macht; und das auch noch im Unrechtsbewusstsein.

Die mit der deutschen Wiedervereinigung getroffenen Vereinbarungen über den Abzug der sowjetischen Streitkräfte legten fest, dass die Bundesrepublik Deutschland und die UdSSR am historischen Ort der deutschen Kapitulation in Berlin gemeinsam an die Geschichte des Deutsch-Sowjetischen Krieges erinnern wollen. So kam es zur Gründung des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst.
Sie sprachen ja gerade über die Zusammensetzung Ihres Trägervereins aus Russland, Belarus, der Ukraine und Deutschland. Wie ist das entstanden?
Der Verein ist 1994 von der Russischen Föderation und Deutschland gegründet worden. Damals zogen die letzten russischen Soldaten aus Deutschland ab, und wir befanden uns in einer Gorbi-Manie. Und wir waren Gorbatschow sehr dankbar für die deutsche Einheit. Der Kalte Krieg war zu Ende, und es schien alles von Frieden, Freundschaft, lichter Zukunft und Zusammenarbeit geprägt. 1997/98 traten die Weltkriegsmuseen aus Kiew und Minsk in unseren Trägerverein ein. Damit saßen vier Nationalitäten am Tisch. Es gibt jedoch ein durch die Gründungsgeschichte bedingtes Ungleichgewicht in Richtung der Russischen Föderation, obwohl wir jüngst auch die Ukraine und Belarus im Beirat verankert haben. Aber das kam zu spät. Der Krieg hat uns überholt. Wir haben jetzt keine Chance mehr, das weiterzuentwickeln. Ob wir das jetzt für mein Haus ganz abbrechen – das wird zu klären sein.
Wie könnte die Zukunft Ihres Hauses aussehen?
Ich plädiere ganz stark für eine Konzentration auf museale Zusammenarbeit. Aber machen wir uns nichts vor: Ein großes nationales Museum der Russischen Föderation wie auch von Belarus, der Ukraine und auch von Deutschland ist immer auch eine staatliche Einrichtung. Das wird nichts Zivilgesellschaftliches. Und man kann natürlich fragen, ob das eine arbeitsfähige Zukunft hat. Aber derzeit gibt es gar keine Zusammenarbeit. Das zu verfestigen, dagegen sträubt sich alles in mir. Ich möchte als Museum arbeiten, ich möchte Ausstellungen machen. Und jetzt muss ich gucken, wie das gehen kann, und wie ich ein Hintertürchen einbaue, sodass irgendwann vielleicht doch wieder eine Zusammenarbeit lebendig werden kann.
Sie nannten vorhin die Ausstellung von Memorial zum Thema Zwangsarbeit, die bei Ihnen wieder zu sehen ist. Diese NGO ist in Russland verboten worden. Wie haben denn Ihre russischen Partner reagiert?
Es gab keine Proteste. Darin sehe ich auch die Stärke musealer Zusammenarbeit. Das ist eben nicht die große Politik, auch wenn große nationale Museen nicht frei von politischen Beeinträchtigungen sind. Aber als Museumsleute verstehen wir uns da. Auch wenn das Symbolhafte der Reaktivierung einer Ausstellung von Memorial jedem sofort klar ist. Aber wir reden hier über den Spätherbst 2021.
Mussten Sie denn auch schon Kompromisse machen?
So richtig hart eigentlich nicht. Uns ist ein großer Handlungsspielraum zugestanden worden. Auch wenn uns zwischendurch vorgeworfen worden ist, wir seien zu leisetreterisch. Es ist auch tatsächlich so, dass ich manches weicher formuliert habe, weil ich drei andere Nationen am Tisch sitzen habe.
Als zunehmend problematisch wird der Name Ihres Hauses empfunden: Deutsch-Russisches Museum Karlshorst. Schon anlässlich des 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion, zu dem Bundespräsident Steinmeier bei Ihnen eine Rede hielt, hat der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk die Veranstaltung boykottiert und das mit dem Namen des Museums begründet. In diesem kommen die anderen beteiligten Nationen nicht vor. Was machen Sie mit diesem Namen?
Wir trennen uns davon. Ab sofort nennen wir uns Museum Berlin-Karlshorst. Dieser Name stand schon immer im Vereinsregister. Die Bezeichnung Deutsch-Russisches Museum geht auf die Gründungsphase zurück, als nur zwei Nationen beteiligt waren. Das war damals unproblematisch, und selbst als Belarus und die Ukraine dazukamen, wurde es zunächst nicht als Problem empfunden. Das kam eigentlich erst mit der fortschreitenden Nationalstaatsbildung von Belarus und der Ukraine. Wie die Nationen formierte sich auch die Erinnerungskultur immer stärker. Bereits vor der Annexion der Krim drifteten die Erinnerungskulturen auseinander. Schon die Vorgängerin von Herrn Melnyk saß bei mir – wir unterhielten uns fließend auf Russisch – und sagte, dass wir diesen Namen diskutieren müssten.
Der Name Deutsch-Russisches Museum steht ja auf einer Mauer vor Ihrem Haus. Wird dieser Schriftzug entfernt?



