Der erste neue „Tatort“ nach zehn Wochen Sommerpause startet mit einem echten Schockmoment: Eine Investmentbankerin wird am Abend nach einem erfolgreichen Deal in der Tiefgarage von einem vermummten Mann im Tarnanzug entführt. Tags darauf finden die Ludwigshafener Ermittler am Rhein ihre verkohlte Leiche. Die Frau wurde mit einer perfiden Prozedur in Flammen gesetzt und wie eine Hexe auf einem Scheiterhaufen bei lebendigem Leib verbrannt.
Die Spuren des auffälligen Fahrzeugs vom Tatort führen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), Johanna Stern (Lisa Bitter) und Co. schnell zu einem Hauptmann der Bundeswehr (Götz Otto). Der Mann wird in der Kaserne gerade von seiner schneidigen Vorgesetzten (Katrin Röver) zusammengefaltet, hat aber überhaupt keine Beziehung zum Opfer und damit kein Motiv für den Mord. Der Offizier verabredet sich bereitwillig im militärischen Jargon um „Null-Achthundert“, sprich um acht Uhr, zur Befragung im Präsidium, die er merkwürdigerweise immer wieder verlängert, sodass sie sich den ganzen Tag über hinzieht. Obwohl die Vorgesetzte des Hauptmanns Kommissarin Odenthal zuvor versichert hatte: „Männer, die bellen, beißen nicht“, beißt der Kerl im Verhörraum bei der Speichelprobe der Kollegin Stern schließlich schmerzhaft in den Finger. Später provoziert er Lena Odenthal durch üble sexistische Sprüche.
Dramatischer Countdown
Der 76. Ludwigshafener Fall baut formal wie inhaltlich auf Motive, die im vergangenen Jahr bereits mehrfach im ARD-Sonntagskrimi eine Rolle spielten. So kreiste schon der Kieler „Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer“ um organisierten Frauenhass. Der Münchener „Polizeiruf 110: Bis Mitternacht“ konzentrierte sich ganz auf das Verhör eines hochverdächtigen Sexualstraftäters durch eine Kommissarin, und das fast in Echtzeit. Das aktuelle Drehbuch von Stefan Dähnert ist sogar cleverer konstruiert als vergleichbare Fälle, wartet mit einem echten Clou und einem dramatischen Countdown auf. Die Inszenierung durch Regisseurin Esther Wenger ist zwar nicht so kompromisslos wie die von Dominik Graf im Münchner „Verhör“-Krimi, führt aber immer noch zu einem Thriller, der deutlich über dem Schnitt der oft durchwachsenen Ludwigshafener „Tatorte“ liegt.
Das liegt natürlich zuallererst am Duell im Verhörraum, der hier von Kamerafrau Cornelia Janssen effektvoll ausgeleuchtet und erfasst wird. Götz Otto, der gerade erst im letzten Franken-„Tatort“ einen zynischen Oberschurken aus der Pharmabranche gespielt hatte, wechselt geschmeidig zwischen jovial, süffisant und herrisch-aggressiv. Mit seinen knapp zwei Metern Körpergröße wirkt er im Sitzen fast so groß wie seine Gegenüber im Stehen. Die Rolle von Ulrike Folkerts bietet erwartungsgemäß nicht so viele Facetten, denn die Kommissarin kann und will sich ja nicht auf das schillernde Spiel des Verdächtigen einlassen.
Dieser „Tatort“ setzt also auf die moralische Empörung von Lena Odenthal. Sie wirft dem Hauptmann vor, er stünde mit seinem Frauenbild in unserer Gesellschaft ziemlich alleine da. Doch dessen Erwiderung „Eine kameradschaftliche Geste ist noch keine Belästigung“ ist ja an sich noch keine extreme Meinung – und die Grenzen verlaufen keineswegs so klar, wie es Lena Odenthal gern hätte.
Wertung: 4 von 5 Punkten

