Diesen Text wollte ich schon Ende letzter Woche geschrieben haben, aber ich musste mich erst mal beruhigen. Auch Journalisten sind nur Menschen. Ich dachte lange Jahre, sie seien die besten, doch weit gefehlt. Wenn der Spiegel über den Osten schreibt, winke ich eigentlich inzwischen ab, drücke mich vorm Lesen – und tue es dann doch. Mit seiner Berichterstattung in den vergangenen 35 Jahren hat mich der Spiegel erst zur Ostdeutschen gemacht, die ich gar nicht sein wollte. Fand ich als junge Journalistin die Häme, derer sich das Blatt bedient, eher cool, sehe ich heute, wie viel Schaden eine tendenziöse und diffamierende Berichterstattung anrichten kann. Ich schäme mich für meine Zunft.
Haltungsjournalismus (exemplarisch verfochten von Philipp Oehmke im Spiegel-Text „Die Zeit der Neutralität ist vorbei“ aus dem Jahr 2020) ist nicht mein Ding, das haben mir meine Journalismus-Lehrer aus dem Westen auf der Hamburger Henri-Nannen-Schule einst anders beigebracht. Haltungsvorschriften hat man mir zuletzt in der DDR gemacht. Endgültig entzweit mit dem „Sturmgeschütz der Demokratie“ aber hat mich der Umgang des Blattes mit Juan Moreno, der dem Fälscher Claas Relotius das Handwerk legte. Mich erschütterte zutiefst, wie niederträchtig man ihn behandelte. Als die Vorwürfe noch nicht geklärt waren, erwog man, ihn zu entlassen. Und nachdem klar war, dass Relotius Texte für den Spiegel gefälscht hat, schnitten den Aufklärer Moreno manche Kollegen beim Spiegel noch monatelang. Einen Kollegen, der seine Existenz aufs Spiel gesetzt hatte, um einen Fälscher zu entlarven!

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