Erinnerung

Theater aus Daten: Ein Möbelstück erzählt vom Holocaust

Im Berliner Ensemble wird das Zimmer von Felix und Erna detailgenau visualisiert und die Geschichte der beiden ermordeten Mainzer Juden von ihrem Urenkel erzählt. 

Blick in den gekippten Raum des Judenhauses, in dem Felix Ganz mit seiner Frau Erna lebte, bis man sie deportierte und ermordete. Die Personen im Bild sind Mitarbeiter von ScanLAB: meriko borogove, Matt Shaw, James White (v.l.).
Blick in den gekippten Raum des Judenhauses, in dem Felix Ganz mit seiner Frau Erna lebte, bis man sie deportierte und ermordete. Die Personen im Bild sind Mitarbeiter von ScanLAB: meriko borogove, Matt Shaw, James White (v.l.).Moritz Haase

Der Londoner Regisseur, Autor, Drehbuchprofessor und Spezialist für immersives Erzählen Adam Ganz würde gern eine Kommode zum Sprechen bringen. Das Möbelstück gehörte seinem Urgroßvater Felix Ganz (1869–1944), einem erfolgreichen Geschäftsmann und Kunstsammler aus Mainz, der 1942 zusammen mit seiner Frau Erna in ein Judenhaus ziehen musste, wo die beiden einen kleinen Raum bewohnten, bis sie 1944 erst nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden.

Die Kommode stand in jenem Mainzer Judenhaus-Zimmer, wurde später im örtlichen Landesmuseum gefunden und restituiert. Nun steht sie – ein glänzendes, geschwungenes Gründerzeitstück aus poliertem Holz – auf der Probebühne des Berliner Ensembles, in einem von metallbeschichteten Gazen abgespannten Geviert in den Originalabmaßen jenes Raums.

Der technische Clou der von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Koproduktion mit Beteiligung des Berliner Ensembles und der Komischen Oper besteht darin, dass alle verfügbaren Bilder jenes Zimmers nach Skizzen von Felix und Fotos räumlich nachmodelliert und eingescannt wurden und nun mithilfe von fünf Hochleistungsprojektoren auf den Gazen erscheinen.

Die Zukunft der Vergangenheit

Entstanden ist das millimetergenaue, datengenerierte, räumliche Abbild „Felix’s Room“. Die Visualisierungstechnik des Londoner ScanLAB-Studios erinnert an die Arbeiten unter anderem von Forensic Architecture, die mit ähnlichen Bildgebungsverfahren politische Aufklärung betreiben. Da kommt man leicht ins Schwärmen über künftige Möglichkeiten der Wahrnehmung und Rekapitulation von Wirklichkeit.

Am Mittwochvormittag konnte die Presse die Installation in Augenschein nehmen, die später noch mit eigens komponierter Musik, Soundeffekten, sängerisch und darstellerisch bespielt wird. Ein Bild wird aber schon jetzt im Kopf bleiben: Wie Adam Ganz, der Urenkel, dessen Familienzweig rechtzeitig fliehen konnte, in diesem Raum, zwischen den aus Licht nachgebildeten Einrichtungsgegenständen und Wandbildern, dem Bett mit der zurückgeschlagenen Decke, dem Tisch mit den Tassen auf einem ebenfalls aus Licht bestehenden Knüpfteppich steht und sich an die Kommode lehnt, in der sein Urgroßvater und seine Frau die wenigen Habseligkeiten aufhoben, die man ihnen noch gelassen hatte. Es ist ein trauriges Bild. Und die Kommode spricht.

Ab dem 28. Juni wird „Felix’s Room“ im Berliner Ensemble zehn Tage lang gezeigt. Informationen und kostenlose Karten unter www.berliner-ensemble.de