Der Londoner Regisseur, Autor, Drehbuchprofessor und Spezialist für immersives Erzählen Adam Ganz würde gern eine Kommode zum Sprechen bringen. Das Möbelstück gehörte seinem Urgroßvater Felix Ganz (1869–1944), einem erfolgreichen Geschäftsmann und Kunstsammler aus Mainz, der 1942 zusammen mit seiner Frau Erna in ein Judenhaus ziehen musste, wo die beiden einen kleinen Raum bewohnten, bis sie 1944 erst nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden.
Die Kommode stand in jenem Mainzer Judenhaus-Zimmer, wurde später im örtlichen Landesmuseum gefunden und restituiert. Nun steht sie – ein glänzendes, geschwungenes Gründerzeitstück aus poliertem Holz – auf der Probebühne des Berliner Ensembles, in einem von metallbeschichteten Gazen abgespannten Geviert in den Originalabmaßen jenes Raums.
Der technische Clou der von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Koproduktion mit Beteiligung des Berliner Ensembles und der Komischen Oper besteht darin, dass alle verfügbaren Bilder jenes Zimmers nach Skizzen von Felix und Fotos räumlich nachmodelliert und eingescannt wurden und nun mithilfe von fünf Hochleistungsprojektoren auf den Gazen erscheinen.
Die Zukunft der Vergangenheit
Entstanden ist das millimetergenaue, datengenerierte, räumliche Abbild „Felix’s Room“. Die Visualisierungstechnik des Londoner ScanLAB-Studios erinnert an die Arbeiten unter anderem von Forensic Architecture, die mit ähnlichen Bildgebungsverfahren politische Aufklärung betreiben. Da kommt man leicht ins Schwärmen über künftige Möglichkeiten der Wahrnehmung und Rekapitulation von Wirklichkeit.
Am Mittwochvormittag konnte die Presse die Installation in Augenschein nehmen, die später noch mit eigens komponierter Musik, Soundeffekten, sängerisch und darstellerisch bespielt wird. Ein Bild wird aber schon jetzt im Kopf bleiben: Wie Adam Ganz, der Urenkel, dessen Familienzweig rechtzeitig fliehen konnte, in diesem Raum, zwischen den aus Licht nachgebildeten Einrichtungsgegenständen und Wandbildern, dem Bett mit der zurückgeschlagenen Decke, dem Tisch mit den Tassen auf einem ebenfalls aus Licht bestehenden Knüpfteppich steht und sich an die Kommode lehnt, in der sein Urgroßvater und seine Frau die wenigen Habseligkeiten aufhoben, die man ihnen noch gelassen hatte. Es ist ein trauriges Bild. Und die Kommode spricht.

