Filmkolumne „Das fliegende Auge“

Retrospektive beim Jüdischen Filmfestival: Aus der Hölle nach Hollywood

Als einziger in seiner Familie überlebte Jack Garfein die Shoah. Mit 16 lernte er in New York Lee Strasberg kennen und wurde zu einer wichtigen Figur Hollywoods.

Jack Garfein 1960 am Set von einem Film „Something Wild“. Seine Ehefrau Caroll Baker (rechts) spielte die Hauptrolle. 
Jack Garfein 1960 am Set von einem Film „Something Wild“. Seine Ehefrau Caroll Baker (rechts) spielte die Hauptrolle.

„Wenn es ihn nicht gegeben hätte, hätte Hollywood ihn erfunden“, soll Orson Welles über Jack Garfein gesagt haben. Der Satz fällt in dem Dokumentarfilm „The Wild One“ von Tessa Louise-Salomé, einem posthumen Porträt des 2019 verstorbenen Method-Acting-Pioniers, Schauspiellehrers, Autors, Produzenten sowie Kino-, TV- und Theaterregisseurs. Als Regisseur hat Garfein nur zwei Spielfilme realisieren können: 1957 das Kasernen-Mobbing-Drama „The Strange One“ und 1961 das Co-Abhängigkeits-Kammerspiel „Something Wild“. Beide stießen bei den großen Verleihern Columbia und United Artists auf Vorbehalte und waren kommerziell wenig erfolgreich. Nach diesen Erfahrungen zog er es vor, sich auf Arbeiten zu konzentrieren, bei denen ihm niemand dazwischenredete.

Garfeins Werkbiografie stellt sich dadurch auf den ersten Blick zwar schmal dar, gleichzeitig gehört er zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des amerikanischen Kinos. Und – da hatte Welles zweifellos recht – sein eigenes Leben liest sich wie das Drehbuch für einen Hollywoodfilm.

Mit 14 aus dem KZ Bergen-Belsen befreit

Garfein wurde 1930 in dem transkarpatischen Städtchen Mukačevo (heute Ukraine) geboren – in jenem Zipfel zwischen Polen, Ungarn und Rumänien, der lange zum K.-u.-k.-Imperium gehörte und 1918 an die neu gegründete Tschechoslowakei fiel. Aufgewachsen in Bardejov, knapp 200 Kilometer nordöstlich, erlebten er und seine Familie im Jahr 1939 die Installation des Marionettenregimes „Slowakischer Staat“ durch Adolf Hitler. Zügig wurden hier die rassistischen Gesetze Deutschlands übernommen und damit der Völkermord logistisch vorbereitet. 1942 wurde der Vater deportiert. Mutter und Kinder konnten sich zunächst nach Ungarn absetzen, von wo aus aber auch sie zwei Jahre später nach Auschwitz verschleppt wurden. Als einziger Überlebender seiner Familie wurde Garfein 1945 im Alter von 14 Jahren in Bergen-Belsen befreit.

1946 konnte er nach New York übersiedeln, dort belegte er bald Theaterkurse, unter anderem bei Erwin Piscator. Durch ihn lernte er den Method-Acting-Erfinder Lee Strasberg kennen, der ihn quasi adoptierte; Garfein lebte zeitweilig im Haus der Familie. Der Rest ist Kulturgeschichte. Denn der Einfluss dieses (auf Konstantin Stanislawskis Theorien basierenden) Schauspielunterrichts auf Hollywood und damit auf das Erscheinungsbild der gesamten Unterhaltungsindustrie kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. 1966 gründete Garfein mit Paul Newman in Los Angeles eine Filiale von Strasbergs „Actors Studios“. Ungezählt die Namen späterer Stars, die durch diese Schule gegangen sind.

1984 reiste Jack Garfein noch einmal in seine alte Heimat, begleitet von dem kanadischen Journalisten Eric Malling. In Bardejov trifft er die letzten Leidensgefährten, in Auschwitz stapft er wacker durch den Schnee an der Rampe, spricht vital gestikulierend von der Begegnung mit Mengele, erinnert sich an kleinste Details. Am einstigen Krematorium findet er kleine Reste von menschlichen Knochen. Er verstummt, dann steigen unendliche Wut und Trauer in ihm auf.

Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg / Hommage Jack Garfein, diverse Kinos, am 16. und 17. Juni sind die Regisseurin Tessa Louise-Salomé („The Wild One“) und Helene Pivette, die frühere Assistentin von Jack Garfein, zu den Vorführungen anwesend.