Man lasse sich zwei Spielzeiten lang von der „blöden Seuche“ nicht unterkriegen, berichtet der Mannheimer Intendant Christian Holtzhauer beim Dank für die Ehrung seines Hauses durch das Theatertreffen. Man gehe mit jeder Produktion ins Risiko, justiere die Bedingungen neu, nehme immer wieder voller Hoffnung Anlauf – und dann klatscht man voll gegen eine Wand. Am Tag der Gastspielpremiere von „Jungfrau von Orleans“ wurde direkt vor der letzten Probe bei einem Mitglied des Ensembles beim für alle Künstler und Mitarbeiter vor dem Betreten des Hauses der Berliner Festspiele obligatorischen Corona-Test das Virus nachgewiesen. Das Ergebnis des PCR-Tests kam erst um 17 Uhr: auch positiv. Das ist der Moment mit der Wand.
Gefangen im Saal
Man entschied sich dafür, das Publikum nicht nach Hause zu schicken, sondern ihm im großen Saal des Festspielhauses 90 Minuten der Videoaufnahme zu zeigen, die im Juni 2021 als Livestream bei der ebenfalls von dem Virus verhinderten Premiere am Nationaltheater Mannheim zu sehen war. Lediglich die letzte halbe Stunde, die im Wesentlichen aus zwei komplizierten Monologen im Nebel bestand, wurde live gespielt. Das Eintrittsgeld konnte man sich erstatten lassen.
Mails mit diesen Informationen wurden verschickt, die Journalisten durchtelefoniert. Aber viele waren schon auf dem Weg, ließen sich nicht abhalten oder hatten es, wie der Berichterstatter, geschafft, von alledem erst bei der Ansage von Yvonne Büdenhölzer etwas mitzubekommen. Eine kleine Anstandspause hätte sie mal für die lassen sollen, die die Inszenierung dann doch lieber mit dem Laptop auf dem Balkon gesehen hätten. Schließlich gehört die Produktion zu den „Starken Stücken“, die 3sat aufgezeichnet und in der Mediathek zur Verfügung gestellt hat.
Zu der Inszenierung lässt sich nicht allzu viel sagen, weil die Aufzeichnung nur einen sehr unvollständigen und verzerrenden Eindruck mit zu vielen Großaufnahmen, Schnitten und schlecht abgemischtem Ton bietet. Wie das so ist mit Theateraufzeichnungen, die ehrlich gesagt noch schwerer zu ertragen sind, wenn man nicht die Beine hochlegen und sich einen Drink holen kann.
Hochreflektierende Arbeit der polnischen Regisseurin
Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei der Inszenierung der polnischen Regisseurin Ewelina Marciniak um eine hochreflektierte Arbeit handelt, die vorbildlich zeitgemäß, aber auch ein wenig spielbremsend den Kanon und vor allem die weibliche Repräsentation kritisch hinterfragt. Das liegt ziemlich nah bei Schillers pathetischer Frauenfigur, die zum Wohle patriotischer Ziele auf die Liebe verzichtet. Lustig ist das, wenn die Schauspieler ins Zoffen kommen und der Kampf um das Ideal der Geschlechtergerechtigkeit mit einem Konkurrenzkampf der Eitelkeiten um den besseren Auftritt auf dem Boden der Wirklichkeit aufkommt.
Danach gab es besagte Ehrung, die – ebenfalls aus Gründen des Infektionsschutzes – jetzt immer direkt im Anschluss der Gastspielpremiere vollzogen wird und nicht erst im Foyer. Das ist aus mehreren Gründen keine gute Idee, denn eigentlich sollte die Kunst das letzte Wort haben und der Schlussapplaus den Punkt setzen. Es macht auch keinen Spaß, immer wieder Urkunde mit allen Namen der Jury vorgelesen und die „Mission“ der nachhaltigen Trophäe erklärt zu bekommen, die aus einem aus Bodensubstrat und Samen geformten Pokal besteht und statt in die Vitrine in die Erde kommen soll. Und weil die Zuschauer keine Chance haben, sich nach französischem Stil heimlich zu verdrücken, gehen einige ungeniert während des Danksagewechsels hinaus, was wirklich unhöflich den Künstlerinnen und Künstlern gegenüber ist. Theater, das ganz viel richtig macht, kann sehr anstrengend sein.



