Die Sommergäste am Nordufer des Müggelsees werden so etwas höchstens in ihren kühnsten Träumen schon mal gesehen haben. Ganz langsam steigt da ein eiserner Kranz aus dem glatten Wasser auf, an dem plötzlich sieben nackte Frauenkörper sichtbar werden. Schlapp und zerknittert hängen sie da, wie aussortiertes Schlachtvieh. In meditativer Langsamkeit zu sphärisch untermalten Live-Rhythmen, die vier nackte Drummerinnen vom Strand her dazu trommeln, wird der Kranz wie ein morbides Fleisch-Mobile in den Abendhimmel gezogen und ebenso langsam heben sich die Oberkörper darin allmählich synchron auf, erst in die Waagerechte, dann senkrecht, strecken die Beine, spreizen sie und bilden bald selbst einen Kreis, der vor Kraft und Grazie nur so strotzt.
Da hängen sie dann an einem gewaltigen Schiffskran, die athletischen Grazien der Florentina Holzinger, die an diesem wunderbaren Sommerabend über dem Müggelsee einmal mehr die Grenzen zwischen überholten Naturmythen, harter Arbeit, Kunst, Geschäft und Leben ad absurdum führen, indem sie deren Verwicklung in schönster Nacktheit vor Augen halten.

„Kranetüde“ heißt dieses wie aus dem Nichts entsprungene Happening, dessen Zustandekommen vor wenigen Tagen noch völlig unklar war, nun aber samt schwerem Gerät – schwimmender Hebekran, Flyboards und Jetskis – nicht nur das spektakuläre Saisonende der Sophiensäle am Müggelsee feiert, sondern dort draußen, vor dem hundert Jahre alten Seebad Friedrichshagen zugleich Bilder in den Himmel turnt, die mit Kraft, Leidenschaft und Witz eine ganze Kulturgeschichte umstülpen. Die Geschichte romantisch umflorter Frauenbilder nämlich, die sich aus wasserweichen, floral umrankten Hübschgesichtern speist und hier in bildstarke Stunts und wassersportige Lebenslust umgeschmiedet wird.
Die Lust, ihren Körper zu befreien, indem sie ihn immer mehr unter die eigene Kontrolle, zugleich damit an immer neue Grenzen bringt, diese Lust am Widerspruch hat die 37-jährige Wienerin vom Kraftsport zum Tanz gebracht. Seitdem reißt sie mit grenzenlosem Körpereinsatz und immer absurd hohem Maschinenaufwand der Kunst den Illusionsschleier vom Gesicht. Dabei wird auch gern mal auf die Bühne defäkiert, Kolleginnen lassen sich an ihren durchstochenen Nackenhäuten aufhängen oder in alle möglichen Körperöffnungen penetrieren.
Sirenen in Sicherheitskorsetts
Das alles nicht als Schauereffekt, (aber auch), sondern als trickreicher Akt der Selbstermächtigung. An diesem familienfreundlichen Müggelsee-Abend aber bleiben die Fleischerhaken verpackt. In vergleichsweise bequemen Sicherheitskorsetts hängen die Sirenen am Kran, biegen ihre Körper nach außen und innen und spielen graziles Wasserblütenballett, das ganz konsequent in martialische Totenstarre kippt. Und das Publikum am Strand klammert sich fasziniert irritiert an seine Mini-Pommes für 4,50 Euro.
Das eigentlich Lebendige sprudelt dann von weit hinten heran: zwei Performerinnen schweben mit der Wasserkraft der Flyboards wie Wesen aus der Zukunft über den See, tauchen ein und springen wieder heraus wie fantastische Delphine. Mensch, Tier und Maschine könnten so freundlich miteinander. Würden sie nur!


