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Festival im HAU: Es geht nicht nur gegen das Patriarchat, sondern auch gegen Israel

Verstörende Kunst von Marina Otero und wirre Propaganda bietet das „¡Protagonistas!“-Festival am HAU. Eine Panne jedoch erinnert fatal an die Documenta-15-Debatte.

Marina Otero im Kreis der nackten Männer, die für sie tanzen
Marina Otero im Kreis der nackten Männer, die für sie tanzenMaca de Noia

Eine subversive Provokation auf dem Feminismus-Festival „¡Protagonistas!“ am HAU gerät zur politischen Panne und erinnert unheilvoll an die Documenta 15. Damals lösten durchgerutschte Karikaturen eine Antisemitismusdebatte aus, unter der das Gespräch über die eigentliche Kunst und ihre kritischen politischen Positionen einfach absoff. Es wäre schade. Wir werden später darauf zurückkommen.

Zuerst die gute Nachricht: Es gibt noch Verwendung für Männer. Zumindest hat sich die 1984 in Buenos Aires geborene Marina Otero gleich fünf Exemplare für ihre Performance „Fuck me“ mit ins HAU gebracht, wo am Mittwoch das „¡Protagonistas!“-Festival eröffnet wurde. Die fünf sitzen zu Beginn im Publikum, wo sie ihre Luxuskörper entkleiden, dann nackt auf die Bühne steigen und dort heftige Bewegungsloops ableisten, bis sie, bei diesen Temperaturen innerhalb kurzer Zeit, von einem kleidsam schimmernden Schweißfilm überzogen sind.

Marina Otero lässt nackte Männer gegen patriarchale Strukturen antanzen

Otero hingegen setzt sich an den Rand, raucht erst mal eine und besieht sich das wackelnde und zitternde Fleischpumpengetümmel, das sie in Betrieb gesetzt hat, um, wie sie sagt, ihren Narzissmus auszuleben. Der autofiktionale Hintergrund ist die lädierte Karriere der Tänzerin Otero, die schon als Kind vor ihrem Großvater, einem Marinesoldaten im argentinischen Geheimdienst während der Militärdiktatur, und seinen Verwandten und Freunden, getanzt hat. Das Tanzen wurde zu ihrer Obsession, der künstlerische Ausdruck ein Versuch, den Familiengeheimnissen auf die Spur zu kommen, sich gegen die militärischen, patriarchalen Strukturen zu wehren. Sie filmt, wie ihre krebskranke Großmutter die Geheimnisse mit ins Grab nimmt und wie sie auf den Verdiensturkunden des Großvaters herumtrampelt. Ob das echt ist?

Die argentinische Performerin Marina Otero feiert ihren Narzissmus mit Unterstützung von fünf schwitzenden nackten Tänzern.
Die argentinische Performerin Marina Otero feiert ihren Narzissmus mit Unterstützung von fünf schwitzenden nackten Tänzern.Nora Soruco

In ihren autobiografischen Tanztheaterkreationen arbeitet sie sich schonungslos an sich selbst und ihrem zumeist nackten Körper ab – so heftig, dass sie sich irgendwann das Rückgrat verletzt. Nun sitzt sie da, tut so, als könnte sie kaum laufen, und bringt die Nackten auch mal mit dem voll aufgedrehten Megafon dazu, sich an ihrer Stelle und für sie zu verausgaben – guter selbstreflexiver und auch humorvoller Move.

Das Lachen bleibt einem aber spätestens dann im Hals stecken, wenn die Bilder von Oteros angeblich letzter Performance eingespielt wird. Sie sind mit einer Handykamera im Selfiemodus von Otero selbst aufgenommen. Sie lächelt und lässt sich von Männern herumschleudern, begrabschen, abknutschen und durchrammeln. Man sieht das Echo der Gewalt in ihrem lächelnden Gesicht. Es sind dieselben Männer, die der Lädierten nun dienen, und die die Performance live und synchron nachstellen, einer von ihnen nimmt die Rolle Oteros ein. Am Ende werden sie mit schwarzen Strumpfhosen über dem Kopf aneinandergeschnürt aus dem Saal kriechen. Marina Otero lässt das Saallicht hereinfahren und beginnt zu rennen, rennt auch noch auf der dunklen Bühne weiter, als der Applaus abgeschwollen ist und die Leute das Theater verlassen. Vielleicht rennt sie immer noch.

In seiner einnehmend-abstoßenden Wirkung ist „Fuck me“ ein mutiges, komplexes Kunstwerk, das verunsichert und wehtut, über den Fetisch von Macht, Leistung, Geschlechterhierarchie, Gewalt und Freiheit nachdenken lässt, das einem das eigene bürgerliche Leben auf eine Weise um die Ohren haut, wie man es von der Choreografin Florentina Holzinger und ihren heftigen und verstörenden, aber auch befreienden Gewalt- und Schmerzperformances kennt.

„Der Vergewaltiger bist du!“

Dieser energetische Impuls muss sich am Eröffnungstag im HAU gegen einen Wust an ideologisch-propagandistischem Aktivismussprech durchsetzen, der das Programmheft füllt und Gegenstand der neuen, noch unfertigen Performance der chilenischen Protestgruppe Lastesis ist: „Canciónes para Cocinar“ (Songs zum Kochen). Lastesis sind für eine viral gegangene Straßenchoreografie bekannt, in der sie sich gegen Gewalt gegen Frauen richten. Frauen überall auf der Welt haben das auf ihren Demos nachgetanzt und sich mit der wiederkehrenden Zeile „El violador eres tú!“ (Der Vergewaltiger bist du!) die Wut von der Seele geschrien.

Die chilenische Protestgruppe Lastesis spielt im HAU ihre „Canciónes para Cocinar“ ab
Die chilenische Protestgruppe Lastesis spielt im HAU ihre „Canciónes para Cocinar“ abLastesis

Die neuen Protest-Canciónes finden nun im Rahmen des HAU-Kulturfestivals statt, als eine Art Albumrelease mit Technomusik und einer fast epilepsieauslösenden Schriftinstallation. Eine veritable Gehirnwaschanlage mit einem Input von feministischen Schlüsselgedanken, die miteinander verwoben werden und sich mühelos in dem in der Programmschrift veröffentlichten Essay von Lastesis unterbringen lassen. Darin rufen die Chileninnen eine transkulturelle, intersektionale und dekoloniale feministische Revolution aus. Weggefegt werden sollen die eingefahrenen Praktiken der patriarchalen und neoliberalen Gegenwart: „Die Binarität der Geschlechter, die Kernfamilie, die Reproduktion und die Fürsorge für die zukünftige Arbeitskraft erfüllen diesen Zweck: den Erhalt einer kolonialen Struktur genozidaler und extraktivistischer Prägung.“

Was für ein Rundumschlag! Aber gut, wo eine Revolution ausgerufen wird, muss man keine Bahnsteigkarten knipsen. Und das Festival führt das Wort nicht nur in der Unterzeile, sondern hat die Beteiligten um Videobotschaften gebeten, in denen sie den Satz „Feministische Revolution heißt …“ vervollständigen sollen. Viel Kluges, auch Integratives ist da zu sehen und zu hören, aber auch dieser Beitrag der in Berlin lebenden israelisch-palästinensischen Soziologin und feministischen Aktivistin Himmat Zoubi: Sie hält bunt beschriftete Pappen mit Definitionen in die Kamera.

Die Band Kofia machte mit antizionistischen Liedern von sich reden

Feministische Revolution bedeutet für sie Antikapitalismus, Antikolonialismus und eine kollektive Emanzipation, getragen von befreiten Individuen, sowie Gender-Diversität. So weit, so gut. Wenn sie aber die letzte Pappe wegnimmt, bleibt ein Plattencover der schwedisch-palästinensischen Band Kofia sichtbar, die in den Siebzigern mit antizionistischen Liedern von sich reden machte, in denen zur Zerschlagung und Vernichtung des Zionismus aufgerufen wird, in denen Steine und Raketen des palästinensischen Befreiungskampfes besungen werden. Was soll das heißen? Ist der Hamas-Terror jetzt auch eine feministische Sektion?

Zwei Videostills aus der Botschaft von Himmat Zoubi: Links eine der Pappen, die den Begriff Feministische Revolution definieren sollen. Rechts das enthüllte Plattencover der Band Kofia
Zwei Videostills aus der Botschaft von Himmat Zoubi: Links eine der Pappen, die den Begriff Feministische Revolution definieren sollen. Rechts das enthüllte Plattencover der Band KofiaScreenshot/Montage BLZ

Die Berliner Zeitung hat die Leitung des HAU, der das Plattencover der ihr unbekannten Band nach eigenen Aussagen nicht aufgefallen ist, damit konfrontiert. Angesprochen auf das Kofia-Lied „Leve Palestina, krossa sionismen“ (Deutsch: Es lebe Palästina, vernichte den Zionismus) schreibt die Intendantin Annemie Vanackere: „Wir können nur sagen, dass für uns als Institution das Existenzrecht und die Sicherheit Israels unverhandelbar sind. Der Inhalt des Liedes war den Kurator:innen bisher nicht bekannt und steht auch nicht im Zusammenhang mit dem Festivalprogramm.“ Das Haus prüfe noch, wie es mit der Videobotschaft umgehen will und suche dafür das Gespräch mit Himmat Zoubi.

¡Protagonistas! – Resistance, Feminisms, Revolution. Noch bis 2. Juli im Hebbel am Ufer. Programm und Karten unter www.hebbel-am-ufer.de