Die Stimmung auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters hätte am sonnigen Sonntagabend schöner kaum sein können. Eine Brasskapelle schepperte punkig-kämpferische Songs in die Menge, während diese angeregt aufgestachelt, Drinks und Futtereien in den Händen, den harten Takt dazu wippte. Ja, im 13. Jahr der Autor:innentheatertage weiß das DT-Team, wie Festival geht: mit Paukenschlag zu Beginn. Im Theatersaal selbst dann wechselte es schnell in einen konzentrierten, ja melancholischen Ernst, der die ganze Besonderheit, auch Größe dieses Abends spürbar machte. Es war die letzte Festivaleröffnung Ulrich Khuons, der nach 14 Berliner DT- und 30 Intendantenjahren insgesamt am Spielzeitende in den Ruhestand wechselt.
Dass er die Gelegenheit nutzte, das Festival sowie das Theater überhaupt noch einmal aus persönlicher, biografischer Sicht zu betrachten, erinnerte nebenbei daran, dass Khuon selbst die Autorentage 1995 ins Leben rief. Es beglaubigte zugleich auf berührende Weise, wie sehr Theater nicht nur um Welt und Leben spielt, sondern tatsächlich auch Leben retten kann.
Die Türen sind immer viel zu klein
Aus der Ödnis einer vorgefassten, ungewollten Lebensbahn zum Beispiel, wie Khuon von sich erzählt. Eine Rettung in eine Sphäre hinein, die Widersprüchen und Ungereimtheiten Platz gibt, aber diese Widersprüche nicht einfach als Diktat der Wirklichkeit akzeptiert, sondern als Antrieb nimmt, weiterzudenken. Auch die Stücke im Theater, zitierte er den Dramatiker Wolfram Lotz, sind immer viel zu groß, viel zu unhandlich für ein Haus. Dessen Türen sind immer viel zu klein, weshalb es wichtig sei, zu überlegen, wohin man will mit einem Stück.

Womit wir auch schon im Sprung auf die große Bühne des DT sind, wo nach der traurig-schönen Khuon-Rede die „Lange Nacht der Autor:innen“ mit gleich drei Uraufführungen folgte. In den vergangenen Jahren waren immer alle drei DT-Bühnen parallel damit betraut und zwei weitere Theater halfen zu produzieren. Diesmal ein Kraftakt des DT allein und ohne vorherigen Stückewettbewerb, dafür mit Auftragsarbeiten an die zwei Nachwuchsautorinnen Caren Jeß und Nele Stuhler sowie den Büchnerpreisträger Lukas Bärfuss. Ein auf Nachhaltigkeit setzendes Festprogramm also, das noch bis Saisonende gespielt wird.
Was die erwähnte Lotz’sche Unhandlichkeit angeht, trifft sie allerdings in eher spezieller Weise auf die Stücke zu: nicht materiell, wohl aber in ihrer rhetorischen Konstruiertheit. Im besten Fall, wie in Caren Jeß’ bizarrer Psycho-Heimatstudie „Dem Marder die Taube“, verzahnen sich skurrile Tierbeobachtungen in einer norddeutschen Kleinstadt mit untergründig aufbrechenden Songtexten und gespannten Dialogen zweier Außenseiterinnen zu einem kleinen Gruselstück.
Stephan Kimmig hat mit dem fantastischen Paul Grill als eigenbrötlerischer Stadtbeobachter, Anja Schneider als überspannte Aussteigerin und Linn Reusse als nette Nachbarin mit schizophrener Schlagseite das subtil Nerdige dieses artistischen Kipptextes gut inszeniert. Im schlechtesten Fall, wie in Nele Stuhlers pseudomythischer Schöpfungs- und Theaterparodie „Gaia am Deutschen Theater“ sprudeln einfach tausend Diskursversatzstücke und theaterhistorische Signalhappen in ein unendlich flachwitziges Workshop-Blabla über Anfang und Ende von allem und nichts.

Ähnlich wie Caren Jeß begibt sich Lukas Bärfuss in seinem Stück „Verführung“ auf das dünne Eis eines psychologischen Fangspiels, das einerseits die Doppelbödigkeiten eines sich gegenseitig manipulierenden Dreiergespanns ausmisst; charismatisch besetzt mit Ulrich Matthes als Heiratsschwindler Hauke in Haft, Birgit Unterweger als dessen Therapeutin und Julia Windischbauer als plötzlich auftauchender Tochter. Andererseits dekonstruiert Bärfuss das kammerspielhafte Lügenlabyrinth in eine historische Collage, die so überhaupt nicht funktioniert. Denn Hauke, der einer liebeshungrigen Milliardenerbin sieben Millionen Euro abgezwackt hat, will das nur getan haben, weil jenes Vermögen auf nie kompensierter Zwangsarbeit in der Nazizeit beruht. Ob das stimmt, ob es nur eine Schutzbehauptung ist und wer hier wen manipuliert, bleibt das giftig flirrende Feuer des Spiels.


