Theater

„Drei Schwestern“: Tschechow-Exorzismus am Gorki

Verunglückt: Zum 70. Geburtstag des Gorki-Theaters zerfleddert das Haus seine größte Legende mit einem Reenactment. 

Zweimal die drei Schwestern Irina, Mascha und Olga: Hinten: Swetlana Schönfeld, Ursula Werner, Monika Lennartz, vorn: Karim Daoud, Oscar Olivo und Amre Aksızoğlu (jeweils v.l.)
Zweimal die drei Schwestern Irina, Mascha und Olga: Hinten: Swetlana Schönfeld, Ursula Werner, Monika Lennartz, vorn: Karim Daoud, Oscar Olivo und Amre Aksızoğlu (jeweils v.l.)Ute Langkafel/Maifoto

Gut 120 Jahre ist es her, dass Tschechow „Drei Schwestern“ geschrieben hat. Und seit der Premiere der legendären Inszenierung von Thomas Langhoff am Gorki-Theater sind auch schon über vierzig Jahre ins Land gegangen. „Die Zeit? Wird vergehn“, sagt Monika Lennartz als Olga. „Man wird uns vergessen. Aber unsere Leiden werden sich für die, die nach uns kommen, in Freude verwandeln. Glück und Friede werden auf der Erde sein. Und die Menschen werden sich mit guten Worten derer erinnern, die jetzt leben.“ Tschechow, Thomas Langhoff und die DDR sind tot, Lennartz aber sitzt am vergangenen Sonnabend jung und tapfer im Gorki-Studio, lächelt und sieht sich selbst diese damals fernsehverfilmten Worte sprechen.  

Die Zukunft ist da

Das seit 2013 von Shermin Langhoff, Thomas Langhoffs ehemaliger Schwiegertochter, geleitete Theater widmet sich anlässlich des 70. Geburtstags des Theaters dieser Inszenierung, die das eher brave Gorki seinerzeit aus dem Schatten der anderen Berliner Bühnen treten ließ. Volker Braun schrieb das Werk weiter mit der „Übergangsgesellschaft“, die zehn Jahre später in derselben Besetzung ins Repertoire kam und offenbarte, wie tief diese drei Schwestern in die Seele und in den Abgrund der DDR blickten und wie groß und unbestimmt die Sehnsucht war nach einer Zukunft, die nun eingetreten ist – leider ohne Friede.

In einem kaltherzigen und gleichzeitig mitleiderregend verfummelten Reenactment-Verfahren (Regie: Christian Weise) sollte nach den geplatzten Utopien im Studio offenbar wenigstens die Erinnerung festgehalten werden. Oder doch ausgetrieben? Sechs Männer drängeln sich in grünen Catsuits auf der kleinen grünen Bühne und stellen zum Live-Geklimper einer E-Orgel jene TV-Bilder nach, die von einer schadhaften Videokassette eingespielt werden. Sie versuchen, Text, Arrangement, Gesten, Atem, Augenzwinkern synchron zu absolvieren. Es kommt zu Verzerrungen, Loops und kleinen Ausbrüchen. Eingeschoben werden Interviews mit den Beteiligten, die die Schauspieler ebenfalls live mitsprechen.  

Ah, wie das schmerzt!

Im Ergebnis färbt das technische Gehampel und das tote Nachsprechen auf die zerfledderte und aus dem Zusammenhang gerissene Vorlage ab, die nun selbst lächerlich und pathetisch wirkt. Ah, wie das schmerzt: sinnloses Bemühen, vergurkte Liebe, zerkrümelter Respekt, versehentliche Kränkung, leere Gegenwart vor der erdrückenden Vergangenheit. Wo ist ein Tschechow, wenn man ihn braucht?  

Drei Schwestern, 3., 28., 29., 30. Oktober, Karten und Informationen unter Tel.: 20221115 oder www.gorki.de